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Ausgabe:

1906 Nr. 6

Spalte:

186-187

Autor/Hrsg.:

Galle, R.

Titel/Untertitel:

Konrad Bitschins Pädagogik. Das vierte Buch des enzyklopädischen Werkes: ‘De vita coniugali’ 1906

Rezensent:

Knoke, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 6.

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ausgezeichnet hat. Aber auch hier wiederholt fich das,
was bereits bei den Dokumenten gefagt wurde: Neben
dem Landfchaftlichen, Lokalen und Perfönlichen tritt
uns auch hier wieder das Typifche in der Lntwicklung
entgegen. Typifch ill z. B., daß das Volksfchulwefen in
der einen Landfchaft einen Vorfprung gegenüber andern
Landfchaften gewinnt und dadurch einen führenden und
fortbildenden Einfluß auf die Nachbargebiete ausübt. Das
ift z. B. der Fall mit dem Schulwefen des älteften darm-
ftädtifchen Territoriums, der Landgraffchaft H.-D. Hier
entwickeltefichdieVolksfchule bereits verhältnismäßig früh,
wie der Verf. zeigt. Das kam dann den in pädagogifchen
Dingen weit zurückgebliebenen Landfchaften fehr för-
derfam zuftatten, welche feit 1605 mit der Land
graffchaft zu einem größern Gemeinwefen verbunden
wurden. Ihr Schulwefen wurde von dorther Schritt für
Schritt gehoben. Auch in anderer Hinficht begegnen wir
hier einer Entwicklung, die etwas Typifches an fleh hat.
Ich führe beifpielsweife an, daß es die Kirche ifl, welche
die Volksfchule in Pflege nimmt, daß ihre Diener durch
zwei Jahrhunderte hin ihre geiftigen Nutritoren waren, daß
der Religionsunterricht die Bildungsaufgabe der Volksfchule
beherrfcht, daß diefer feinem Wefen nach Katechismusunterricht
ift und daß als das wichtigfte Lehrbuch
der Schule der Katechismus angefehen wird, daß der
Geift, in welchem diefer Unterricht erteilt wird, fleh nach
dem Geifte der Zeit durch die Stadien der Orthodoxie,
des Pietismus und des Rationalismus umwandelt ufw.
Der Wandel der Zeiten zeigt fich befonders auch in dem
Wechfel der Katechismen, die im Gebrauche find. Anfangs
ift es Luthers Kleiner Katechismus allein, dann
der im Sinne der lutherifchen Orthodoxie exponierte
Darmftädter Katechismus, dann das Handbüchlein für
Kinder von J. J. Rambach im Zeitalter des Pietismus und
endlich in der rationaliflifchen Periode u. a. die Lehrfätze
der Religion von dem Göttinger Profeffor Peter Miller.
Sehr intereffant find Diehls Mitteilungen über die Verhandlungen
betreffs Einführung des Hannoverfchen Katechismus
vom Jahre 1790 in Darmftadt S. 185 ff. Diefer
Katechismus erfreute lieh bekanntlich einer großen Verbreitung
. Er wurde nicht nur in den kurhannoverfchen
Staaten, fondern auch mehr oder weniger in allen benachbarten
Territorien, namentlich in der preußifchen
Provinz Sachfen, in Heffen-Kaffel und Bückeburg gebraucht
. Man hatte ihn in Baden und Straßburg eingeführt
. Seine Einführung auch in Darmftadt wurde fehr
ernftlich erwogen. Die Bedenken gegen fie überwogen
fchließlich die Gründe für fie. Aber man geftattete
doch neben andern Büchern auch den Gebrauch des
,Neuen Katechismus der chriftlichen Lehre nach Anleitung
des Hannoverfchen', welcher 1804 bereits eine
vierte Auflage erlebte. Es war noch die Zeit, wo die
hannoverfche Landeskirche die Führung auf dem Gebiete
der katechetifchen Literatur und der katechetifchen Unter-
weifung im proteftantifchen Deutfchland befaß. Die Zeit
liegt jetzt für immer abgefchloffen hinter uns. Würde
Diehl feine Überficht über die Entwicklung der heffifchen
Volksfchule bis in unfre Gegenwart fortfetzen, ihm
würde fich fchwerlich eine Gelegenheit bieten, von
einem ähnlichen Einfluffe Hannovers auf die Katechefe
in der Volksfchule zu reden, wie er uns in der vorliegenden
Arbeit entgegentritt. Die Erwähnung jener Verhandlungen
, welche in das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrh.
fallen, find ein Beweis dafür, wie forgfältig Diehl ge-
forfcht hat, aber auch dafür, daß man aus feinem Buche
fich nicht nur über die Gefchichte der Heffen-Darm-
ftädtifchen Volksfchule orientieren, fondern auch vieles
fonft noch lernen kann, was für die Entwicklung der
Schule im gefamten Deutfchland höchft beachtenswert
ift. Es fei darum das Studium diefes Buches beftens
empfohlen.

Göttingen. K. Knoke.

Galle, Dr. R., Konrad Bitfchins Pädagogik. Das vierte Buch
des enzyklopädifchen Werkes: ,De vita coniugali'. Nach
der lateinifchen Handfchrift zum erftenmal herausgegeben
, mit deutfeher Überfetzung, hiftorifch-lite-
rarifcher Einleitung, fowie mit Erklärungen und Anmerkungen
verfehen. Mit zwei Probefeiten der
Handfchrift in Lichtdruck. Gotha, E. F. Thienemann
1905. (LX, 216 S.) gr. 8° M. 6 —

In den ,Mitteilungen für deutfehe Erziehungs- und
Schulgefchichte II (1892) S. 1 ff. war erftmals von Prof.
Dr. Hipler in Frauenburg auf das Vorhandenfein der
Pädagogik von Konrad Bitfchin hingewiefen und deren
Veröffentlichung nach den in der Königsberger Bibliothek
vorhandenen Handfchriften in nahe Ausficht geftellt.
Dr. Hipler wurde durch den Tod (f 1897) an der Ausführung
feines Planes verhindert. Die Veröffentlichung
ift nunmehr durch Dr. Galle erfolgt. Der Herausgeber
ftellt feiner Publikation eine .Einleitung' S. XI—LXI
voran. In ihr handelt er 1. über ,die bisherige Kenntnis
von K. Bitfchin', indem er u. a. auf die einfehlägigen
Arbeiten von Toppen, Steffenhagen, Franz Schultz und
Hipler verweift. Er fchildert 2. die .Zuftände des (Heimat-)
Landes zur Zeit Bitfchins und Bitfchins Leben'. Hier
erfahren wir, daß Bitfchin, der wahrfcheinlich aus der
fchlefifchen Stadt Pitfchen flammt (S. XXI), in der Zeit
1430—1438 Stadtfchreiber in Kulm gewefen, d. h. in den
Jahren, wo man ernftlich daran dachte, dort eine Uni-
verfität zu begründen, für welche die Privilegien bereits
am 9. Februar 1386 durch Papft Urban VIII verliehen
waren (S. XXV). Nachdem er fein Amt in Kulm verloren
, fcheint er fich in Danzig niedergelaffen zu haben.
Hier muß er bis über 1472 hinaus gelebt haben (S. XXVI).
In die Zeit feiner Kulmer Amtstätigkeit fällt die Abfaffung
feines enzyklopädifchen Werkes, dem er den Namen De
vita conjugali gegeben. Das vierte Buch diefer Schrift
ftellt die pädagogifchen Anflehten des Verfaffers dar. Der
Herausgeber macht uns 3. mit den .Schriften K. Bitfchins
und ihrer Überlieferung bekannt', handelt 4. über .Inhalt
und Gliederung feiner Enzyklopädie'. Daran fchließt fich
5. eine Analyfe des vierten Buches diefer Schrift, der
.Pädagogik' Bitfchins. In den folgenden Abfchnitten berichtet
der Herausgeber 6. über ,die Wiffenfchaft des
Mittelalters im allgemeinen', 7. über ,die Pädagogik
Bitfchins und ihre Grundlagen', 8. über die .Quellen', die
B. benutzt hat, um der ganzen Unterfuchung 9. ein
.Schlußwort' hinzuzufügen.—Der ,Einleitung' folgt dann
S. 1—84 ein Abdruck des lateinifchen Textes des vierten
Buches der Enzyklopädie de prole et regiminc filiorum.
Daran reiht fich eine deutfehe Überfetzung diefes Ab-
fchnittes S. 85 —190. Den Abfchluß bilden .Anmerkungen'
zu dem Texte S. 191—216. Hinzugefügt find noch als
Beilagen die photographifchen Fakfimiles von zwei Seiten
der vorhandenen Handfchriften.

Nach der etwas pomphaften Ankündigung Dr. Hiplers
von dem Vorhandenfein diefer .erften und älteften fyfte-
matifchen Pädagogik der Deutfchen', die bis dahin der
Beachtung der Forfcher entgangen war, durfte man ihrer
Veröffentlichung mit Spannung entgegenfehen. Es ift
daher als ein verdienftliches Unternehmen von Dr. Galle
zu bezeichnen, daß er uns mit diefer Pädagogik durch
die Herausgabe feines Buches in einer fo eingehenden
Weife bekannt gemacht hat, daß wir uns über ihren
Wert ein ficheres Urteil bilden können. Verdienftlich
ift nicht nur, daß er einen, bis auf wenige Kürzungen,
vollftändigen Abdruck des lateinifchen Originales veranlaßt
und für die des Lateinifchen unkundigen Lefer
eine deutfehe Überfetz.ung hinzugefügt hat, fondern vor
allem die Veröffentlichung feiner forgfältigen Studien
über Bitfchin und feine Pädagogik, die er uns in feiner
.Einleitung' und in feinen .Anmerkungen' darbietet. In
diefer Beziehung find befonders feine Unterfuchungen