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Ausgabe:

1906 Nr. 6

Spalte:

183-185

Autor/Hrsg.:

Diehl, Wilhelm (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Monumenta Germaniae Paedagogica. Bd. XXXIII: Die Schulordnungen des Großherzogtums Hessen, 3. Bd 1906

Rezensent:

Knoke, Karl

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183 Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 6. 184

und mit befonderer Sorgfalt geprüfte Faffung des Un-
fterblichkeitsglaubens, der mächtige Dreiklang, der feine
religiöfe Stimmung und Anfchauung beherrfcht, Geift,
Leben, Liebe, alle diefe Punkte kommen hier zur Sprache.
Vielleicht wird man aus der Darftellung des Verfaffers
nicht überall die innere Notwendigkeit erkennen, die ihn
in der Aufeinanderfolge der verfchiedenen Stücke be-
flimmte, und die Aneinanderreihung der einzelnen Probleme
dürfte zuweilen etwas willkürlich vorkommen.
Indeffen kann das hier beobachtete Verfahren nicht
ohne weiteres mißbilligt werden; denn einmal hat R.
die fehr lebendige, durchaus richtige Empfindung davon,
daß fich die Ausfprüche T.s nicht zu einer fyftematifchen
Lehre zufammenfügen laffen; zum anderen geht fein
Benreben dahin, die entfcheidenden Konzeptionen des
ruffifchen Propheten aus feinem inneren Erlebnis abzuleiten
, und er verfteht es, ihnen dadurch ihre Unmittelbarkeit
zu bewahren und den Pulsfchlag des Lebens auch in den
uns befremdenden Gedanken aufzuweifen. — Der letzte
Vortrag gilt der ,Kulturbedeutung Tolftois' (S. Iii
qis 148). Zunächft ftellt ihn R. in fein Milieu und fügt
zu den bereits angedeuteten Zügen noch andere hinzu,
die ihn uns als Ruffen verftehen lehren. Nicht nur ftellt
er die Reaktion und den Proteft gegen den Ritualismus
, den Traditionalismus und den Intellektualismus dar,
welche die orientalifche Form des Chriftentums charakteri-
fieren; fondern die Zufammenhänge find auch direkt
pofitiver Natur. So empfängt z. B, ,die Lehre vom Nicht-
widerftreben' eine ganz neue Beleuchtung, wenn wir daran
denken, daß der Ruffe keine Wahl hat, ,er muß entweder
rückfichtslos graufam oder unendlich geduldig fein; bei
T. hat die edlere Eigenfchaft eine religiöfe Verklärung
gefunden' (S. 118). Doch R. erweitert auch den Kreis
feiner Betrachtungen und wirft die Frage nach der allgemeinen
Bedeutung T.s für unfere Zeit auf; er beleuchtet
die Botfchaft Tolftois in ihrer Beziehung zur Wiffen-
fchaft, zur Kunft, zu den fozialen Kämpfen, zur Moral
und Religion der Gegenwart. Das Recht und die Befähigung
über alle diefe Probleme ein maßgebendes
Urteil zu fällen, erwächft dem Verf. fowohl aus feinem
lebendigen Verftändnis des reinen und vollen Evangeliums
als auch aus der freudigen Teilnahme, die er
allen Beftrebungen der modernen Gefellfchaft entgegenbringt
. Im Gegenfatz gegen die Pofition v. Leixners,
der feine Würdigung T.s in die Worte zufammenfaßt:
,Was kann bei der Löfung unferer pflichtgemäßen Aufgabe
T. für uns fein? Nichts', hat R. durch feine nach
allen Seiten hin Umfchau haltende Darftellung ein ganz
anderes Ergebnis gewonnen, und wer derfelben gefolgt
ift, wird dem Gefamturteil des gründlichen und geift-
vollen Kritikers zuftimmen: ,Tolftoi gehört zu dem geheimen
heiligen Orden derer, welche im Gewiffen der
Menfchheit weiter leben' (S. 111).

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Monumenta Germaniae Paedagogica. Schulordnungen, Schulbücherund
pädagogifche Miscellaneen aus den Landen
deutfcher Zunge. Im Auftrage der Gefellfchaft für
deutfche Erziehungs- und Schulgefchichte herausgegeben
von Karl Kehrbach. Band XXXIII: Die Schulordnungen
des Großherzogtums Heffen. Herausgegeben
von Pfr. DD. Wilhelm Diehl im Auftrage der
Gruppe Großherzogtum Heffen der Gefellfchaft für
deutfche Erziehungs- und Schulgefchichte. Dritter
Band. Das Volksfchulwefen der Landgraffchaft Heffen-
Darmftadt. Berlin, A. Hofmann & Comp. 1905. (XV,
574 S. m. 5 Bildniffen.) gr. 8° M. 12 —

Zur Befprechung liegt der dritte Band der von D.
Dr. Diehl herausgegebenen ,Schulordnungen des Großherzogtums
Heffen' vor, der ,das Volksfchulwefen der

Landgraffchaft Heffen-Darmftadt' behandelt. Er gliedert
fich in zwei Teile. Der erfte (S. V.—202) bringt einen
,Überblick über die Entwicklung des Volksfchulwefens
in der Landgraffchaft Heffen-Darmftadt' von 1567 bis
1806, wo das Land zum Großherzogtum erhoben wurde.
Der zweite Teil (S. 203—503) enthält den Abdruck von
Schulordnungen, Lektionsplänen, Schulvifitationsfragen,
Dekreten und Reverfen für Schullehrer, Protokollen über
Prüfungen, Prüfungszeugniffen und ähnlichen für die Schulgefchichte
Heffens wertvollen Dokumenten. An diefen
Abdruck reihen fich S. 504—537 noch einige ,Erläu-
terungen zu diefen Texten'. Den Schluß bildet ein ausführliches
,Namen- und Sachregifter' S. 539—574.

Es liegt in der Natur der Sache begründet, daß der
zweite Teil manches enthält, was mehr oder weniger
nur von landfchaftlich - hiftorifcher oder auch nur von
lokal-gefchichtlicher Bedeutung ift. Hiefür bieten die
47 abgedruckten Urkunden eine reiche Ausbeute, deren
Wert nicht hoch genug angefetzt werden kann. Sie
werden für die Forfchung auf dem Gebiet der heffifchen
Kirchen- und Schulgefchichte hinfort eine unentbehrliche
Fundgrube urkundlicher Notizen zur Veranfchau-
lichung der gefchichtlichen Wirklichkeit vergangener
Tage fein. Der Wert diefer Dokumente befchränkt fich
jedoch nicht auf diefe ihre Bedeutung für die Gefchichte
eines einzelnen Territoriums, fondern fie bieten dem
Forfcher auch mancherlei Belege für die gefchichtliche
Tatfache, daß in den Jahrhunderten, aus welchen fie
flammen, eine gewiffe Gleichförmigkeit, um nicht zu
fagen Solidarität der Anfchauungen hinfichtlich der
Kultur im allgemeinen und der Pädagogik im befon-
dern beftanden hat. Es würde fich dies leicht an einzelnen
der abgedruckten Dokumente, die hiefür als
typifch bezeichnet werden können, zeigen laffen, wenn
dies der Raum diefer Zeitfchrift nicht verböte, der hiefür
nicht in Anfpruch zu nehmen ift. Aber es mag ge-
ftattet fein, jüngere Pädagogen, von denen man fo oft
um Benennung von Themen für Promotionsdiffertationen
gebeten wird, darauf aufmerkfam zu machen, daß fich
in den hier gefammelten heffifchen Schulordnungen
mancherlei Stoff vorfindet, der es verdient, in befondern
Unterfuchungen wiffenfchaftlich ausgebeutet zu werden,
fei es in der angedeuteten Richtung oder nach irgend
einer andern Seite hin.

Ein großes Verdienft hat fich der Verfaffer auch
durch den Inhalt des erften Teiles feines Buches erworben
. Hier gibt er, wie bereits bemerkt wurde, einen
Überblick über die Gefchichte des Volksfchulwefens in
Heffen-Darmftadt bis 1806. Er hat hier den PLrtrag einer
mehr als zehnjährigen Durchforfchung zahlreicher Archive
innerhalb und außerhalb Heffens in überfichtlicher Ge-
fchichtsdarftellung zufammengefaßt. Man hat den Eindruck
, daß ihm in Heffen-Darmftadt felbft kein Fundort
bis herunter zu dem kleinften Kirchen- und Schularchive
entgangen ift, und daß er alles irgendwie Belangreiche,
was er dabei entdeckt hat, in verftändnisvoller Auswahl
bei feiner Darfteilung am geeigneten Orte verwertet hat.
Wenn er nicht immer bei jeder einzelnen Notiz, die er
bringt, die benutzte Quelle angibt, fo kann man das bedauern
, aber man muß bedenken, daß durch derartige
Hinweife die Darfteilung fehr an Uberfichtlichkeit eingebüßt
und das Buch fich wefentlich aus Fußnoten oder
ähnlichen Zitaten zufammengefetzt haben würde, wodurch
etwas Unleidliches entftanden wäre. — Es ift
felbftverftändlich, daß auch diefer Teil der Arbeit die
Farbe des Landfchaftlichen und Lokalen tragen muß.
Dazu kommt dann noch, daß fich hier auch der Einfluß
des Perfönlichen geltend macht, wie er von um das
heffifche Schulwefen verdienten Männern ausgegangen,
zu welchen u. a. Balthafar Mentzer f 1627, Joh. Heinr.
Tonfor 11649, Kilian Rudrauff f 1690, Joh. Heinr. May
fl7i9 und Joh. Jak. Rambach f 1735 gehören und deren
Andenken der Verf. durch Wiedergabe ihrer Bildniffe