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Ausgabe:

1906 Nr. 6

Spalte:

178-181

Autor/Hrsg.:

Rivière, Jean

Titel/Untertitel:

Le dogme de la rédemption. Essai d’étude historique 1906

Rezensent:

Lobstein, Paul

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177

Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 6.

178

keit diefes Kaufalnexus: mercatores Romani find nicht
römifche Kaufleute in unferem Sinne, fondern die Bankiers
der Kurie; fie flammen aus Siena, Lucca, Florenz etc.
Alfo fallt auch der letzte Grund fort, gerade an Orlini
zu denken und ihn gar als ,Finanzminifter Clemens' IV.
zu bezeichnen. Die Kombinationen darüber (S. 182),
wann und wo die Kardinäle den Archidiakon von Lüttich
kennen gelernt haben können, den fie 1271 zum Papfte
wählten, find müßig. Tedald Visconti hat nach allem, was
wir willen, feine Karriere an der Kurie, unter den Augen
der Kardinäle gemacht und war ihnen allen genau bekannt
. S. 2 wird gefagt: ,die Urgroßmutter Nikolaus III.
entflammte wohl dem uralten Patriziergefchlechte der
Creszentier', weil nämlich ihr Vater Crescentius hieß.
War denn diefer Name das Vorrecht eines Gefchlechtes?
Mehrfach mißverftanden hat St. S. 146 das Schreiben
des .Fifchers' an den ,custos carceris Tulliani'. Wenn
dies ein Brief Clemens' IV. an Orfini fein follte, fo ift es
einer in verabredeter Geheimfprache, den wir fchwerlich
noch deuten können, der alfo für das Verhältnis der
beiden Männer nicht als charakteriftifch gelten darf.
Keinesfalls aber wird hier der Adreffat abgemahnt, fich
zuviel um Kleinigkeiten in der Jurisdiktion zu kümmern.
Die Worte: ,nec judicet levia, quae promptum habent tran-
situm in exemplum' bedeuten das Gegenteil: er hüte fich,
Dinge für Kleinigkeiten zu halten, die leicht zu Präcedenz-
fällen werden können. Daß diefer Brief .einen Einblick
in die Beziehungen zweier hochgebildeter und klaffifch
gefchulter Kirchenfürflen' eröffne, ift vollends unrichtig.
Die darin angebrachten Zitate aus Ovid find nur die
allergewöhnlichfte Schulweisheit. S. 201 wird ohne
Belegftelle behauptet, der hl. Bonaventura habe die verweltlichte
Kirche mit der großen Babylonierin verglichen.
Geht das am Ende wieder auf jenes fenfationelle Zitat
bei Döllinger zurück, deffen Verdrehung ich fchon einmal
(Papfltum und Kirchenieform I, 19) nachgewiefen habe?
Das Schreiben Clemens IV., das bei Martene p. 141 unterm
18. Juni (1265) uberliefert ift, und deffen Schluß St. fich
S. 49 nicht zu erklären vermag, erklärt fich ganz zwanglos
, wenn man das Datum verbeffert. Diefes lautet in
einer von Martene mit Unrecht verworfenen Lesart XIII.
kal. Jim. (ftatt J11L). Wenn dies ein Schreibfehler für
,Jan} ift, fo ergibt fich der 20. Dezember, und auf diefe
Zeit paßt der Inhalt vortrefflich (vgl. S. 65 h). Das abfällige
Urteil über Urban IV. S. 33 ift inzwifchen durch
Hampes vortreffliche Unterfuchung widerlegt worden.
Die gelegentlich (S. 43 und 64) verfuchte Polemik gegen
Hampes Charakteriftik Clemens' IV. ift wenig glucklich;
was St. felbft an Pofitivem von diefem Papfte fagt, ftimmt
zu Hampes Worten aufs befte. Völlig verfehlt find die
Betrachtungen S. 205 f. über Karls Plan, dem franzöfifchen
Könige die Kaiferkrone zu verfchaffen. An Deutfchland
hat Karl fchwerlich dabei gedacht, um fo mehr an Italien,
wo fein Neffe als Kaifcr ihm die Alleinherrfchaft ohne
weiteres verfchaffen konnte und verfchafft haben würde.
Auch die Beurteilung Gregors X. muß entfchieden abgelehnt
werden; diefem Papfte ift bisher noch niemand
gerecht geworden, und St. wird es am wenigften, wenn
er ihn S. 306 mit Adrian VI. vergleicht. Aus den Lob-
fprüchen, die dem Unterhändler Rudolfs, Heinrich von
Isny, ,von den gewiegten Staatsmännern der Kurie' 1274
erteilt werden, darf man beileibe nicht fo viel folgern,
wie S. 219 gefchieht. Die fchönen Komplimente flehen
zwar in Briefen an den König, aber fie find für Heinrich
felbft beftimmt, der die Schreiben feinem Herrn überbringen
und überfetzen und den Schmeichlern zum Danke
ein königliches Trinkgeld erwirken wird. Noch weniger
bedeutet in dem Briefe Orfinis an Rudolf die Mahnung
zur Dankbarkeit gegen die Kirche, aus der St. wieder
ein ganzes politifches Programm herauszukeltern weiß.
Endlich noch eines, was in dem Buche fehlt, wo fo vieles
garnicht Hingehörige zu finden ift. Orfini war als Kardinal
Protektor des Barfußerordens. St. erwähnt es, zieht

auch gelegentlich Schlüffe daraus, wie fie feiner Methode
entfprechen, hat aber eine nähere Unterfuchung
diefer Beziehungen unterlaffen. Und doch wäre gerade
diefe vorausfichtlich fruchtbarer gewefen, als das Meifte,
was St. bevorzugt hat. Das vernichtende Urteil z. B.,
das Dante {Inferno XIX.) über Nikolaus III. fällt, und
mit dem St. (b. 302 f.) fo wenig anzufangen weiß, erklärt
fich vollftändig und wird auch auf fein richtiges Maß zurückgeführt
, nicht wenn man, wie St., an den angeblichen
,Ghibellinismus' des Dichters denkt1, fondern wenn man
— neben den Plänen, die Nikolaus III. in Toscana und
Florenz verfolgte — fich erinnert, daß der Barfüßerorden
eben damals die fchweren inneren Kämpfe der Spiritualen
und Fratizellen gegen die Kommunität durchmachte, die
fpäter Nikolaus III. beizulegen verfucht hat. In dem
Urteil Dantes, des Joachiten und Gefinnungsgenoffen der
Fratizellen, über den Papft klingt der Haß nach, mit
dem einft die Exaltierten des Ordens ihren Protektor
angefehen hatten (vgl. S. 35f.). Das Tatfächliche freilich
in Dantes Charakteriftik bezieht fich nicht auf eine
perfönliche Eigenichaft, fondern auf die weltlich-politifche
Richtung des Papftes, zumal auf die großen Summen,
über die Nikolaus III. infolge des von Gregor X. aus-
gefchriebenen Kreuzzugszehnten verfugte und mit denen
er feine italienifche Politik durchzufuhren vermochte.

Das Buch ift dem Andenken Scheffer-Boichorfts gewidmet
, innere Verwandtfchaft aber zeigt es höchftens
mit den gelegentlichen Verirrungen, die auch dem großen
Kritiker nicht erfpart blieben. Von dem Geifte des
Scheffer, den wir alle bewundern, ift es recht weit entfernt
.

Gießen. J. Haller.

Riviere, Prof. D. Abbe J., Le dogme de la redemption.

Essai d'etude historique. (lvtudes d'histoire des dog-
mes et d'ancienne litterature ecclesiastique.) Paris,
V. Lecoffre 1905. (XII, 519 S.) gr. 8°

Diefe mit dem Imprimatur des Erzbifchofs von
Albi verfehene, durch die katholifch-theologifche Fakultät
von Touloufe gekrönte Preisfchrift ift ein auch von der pro-
teftantifchen Forfchung fehr zu beachtender Beitrag zur
Gefchichte des Dogmas von der Erlöfung. Nach einer
die hiftorifche und die dogmatifche Stellung des Problems
betreffenden Einleitung (S. I—27), handelt der Verf. in
vier Abfchnitten von der Erlöfung in der heiligen Schrift
(S. 29—99), bei den griechifchen Vätern (S. IOI—209),
bei den lateinifchen Vätern (S. 211—278), im Mittelalter
(S. 279—372); in einem Schlußabfchnitt erörtert er eine
befondere Frage, das Problem von den Rechten des
I Teufels, das er in feiner Entwicklung von Origenes bis
1 auf Thomas von Aquino (S. 373—486) verfolgt. Eine
(lehrreiche Conclusion (S. 487—501), ein bibliographi-
fcher Index (S. 503—504) und ein die Brauchbarkeit
des Buchs wesentlich erhöhendes alphabetifches Regifter
(S. 505—515) bilden den Abfchluß des Ganzen.

In der Einleitung gibt R. zunächft einen fummarifchen
Entwurf der katholifchen Lehre von dem Erlöfungswerke
Chrifti (S. I—14), hierauf wirft er einen Blick auf die ,ra-
tionahftifchen Sylleme' der neueren Zeit (S. 15—27). Beide
Kapitel find in ihrer Art charakteriftifch. Bezeichnend
ift bereits die der ganzen gefchichtlichen Entwicklung
vorangeftellteDarfteilung des katholifchen Dogmas.welche
als fertigeGröße am Eingange des fpäter zurückzulegenden
Wegs das Ergebnis der nachfolgenden Evolution vorwegnimmt
. Soll diefes Verfahren etwa andeuten, daß der getarnte
gefchichtliche Prozeß von vornherein unter die Beil
Unbegreiflich, daß man immer noch Dante als ,den großen
j ghibellinifchen Patrioten aus Florenz' bezeichnen und ihn ,dem großen
guelfifchen Römerpaptle' gegenüberftellcn kann. Es follte doch nachgerade
bekannt fein, daß auch Dante urfprünglich Guelfe war und felbft
i nach feinem Austritt aus der Partei nie Ghibelline geworden ift.