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Ausgabe:

1905 Nr. 5

Spalte:

136-139

Autor/Hrsg.:

Drummond, James

Titel/Untertitel:

An inquiry into the character and authorship of the Fourth Gospel 1905

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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135 Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 5. 136

gefetzlichen Geift Judas und der prophetifch freien Re- 1
ligiofität des Nordreiches, bezw. Samarias. Eine in das
chriftliche Gebiet fich erftreckende Fortfetzung diefer Kon-
ftruktion bot am 1. Sept. 1904 fein Vortrag auf dem
religionsgefchichtlichen Kongreß zu Bafel; vgl. auch den
Auffatz .Simon Petrus und Johannes Markus' in der ,Zeit-
fchrift für neuteft. Wiffenfchaft' 1904, S. 191—203. Ganz
im gleichen Rahmen bewegt fich zwar erkennbarft auch
vorliegende, eine Bemerkung im ,Philologus' (1900, S. 196f.)
weiter ausführende Abhandlung (vgl. S. 2 f.), fofern das
Drama des Lebens Jefu den Gegenfatz der Laienpredigt
des Propheten von Kapernaum zum nach Galiläa einfallenden
Schriftgelehrtentum Judäas behandelt. ,Der Stadt I
Kapernaum und dem ganzen Lande drohte die Herrfchaft
des jüdifchen Gefetzes' (S. 38). ,Ein Agent der Pharifäer,
ein Mitglied der judaiftifchen Partei' foll es gewefen fein,
der Mark. I23 als ,Menfch in unlauterem Geift', d. h. ,der
fich rein wähnte vor dem Gefetz, und der doch unrein
war in feinem Innern', gleich das erfte Auftreten Jefu in
Kapernaum mit feinem Gefchrei zu ftören verfuchte (S. 15 f.).
Wir andere halten freilich den dvd-gcosioq hv scvsvfiarc
dxa&ÜQTcp mit dem Parallelbericht Luk. 4.33 hartnäckig
für einen Dämonifchen, der exorzifiert wird, und verftehen
das GvvCflTElv 127 von der Befprechung diefes Vorganges
(fo übrigens auch der im Vorwort angerufene Wellhaufen
im Markuskommentar S. 10), während unfer Verf. aus
fprachlichen Gründen darin die Andeutung einer Disputation
zwifchen Jefus und den von Jerufalem gekommenen
Schriftgelehrten (folche gibt es freilich erft Mark. 71,
welches Stück übrigens S. 23. 40 als ort- und zeitlos gilt,
diesmal mit Wellhaufen), alfo eines ganz verfchiedenen
Vorganges fieht und auf folche Weife dem Markus einen
Exorzismus und Disputation zufammenarbeitenden ,Dop-
pelbericht' aufbürdet (S. 12.26), welchen dann Lukas allerdings
vereinfacht habe. Unfer Verf. behauptet freilich,
,daü man das Markusevangelium nach feinem eigenen
Werte beurteilen muß und nicht nach feiner Uberein-
ftimmung mit der Lukastradition' (S. 15). An fich richtig! |
Nur wird hier Nicht-Übereinftimmung mit Lukas künft-
lich erzwungen. Laffen wir es dahingeftellt, ob mit dem
löyoq auch Luk. 436, wie zweifellos 432 der Fall, die I
ÖLÖayji gemeint ift (fo A. Meyer, wie übrigens unfer Verf.
weiß), fo zeigt doch, wie es fich mit der ggonöra Mark. 127
verhält, gerade wieder Wellhaufen (S. 12). Das der Redaktion
Luk. 4,3.1 eigentümliche Wörtchen ea aber, das
fchon Luther auch bei Markus für unentbehrlich gehalten
(S. 15) und nach der Lesart des Codex Cantabrigiensis
aufgenommen haben foll (S. 13), fehlt ja gerade in diefem
Codex, von welchem Luther überdies gar nichts gewußt
hat und nichts wiffen konnte. Eine unumftößliche Wahrheit
zieht fich durch die ganze Abhandlung: es ift die
quellenmäßig durchaus feftftehende Bedeutung des Eröffnungstages
der öffentlichen Wirkfamkeit Jefu (S. 20. 24).
Hier fieht und urteilt der Verf. richtiger, als manche,
von allzuviel Skrupelfucht geplagte Theologen. Auch
der paulinifierende Ton von Mark. 1 15 (S. 24) und die
von Lukas beliebten Umftellungen und Änderungen der
Akoluthie (S. 32 h 37) find richtig gewürdigt. Aber nicht j
unterfchreiben möchte ich es, daß Mark. I 1-15 dem Redaktor
angehören, der wahre Anfang des Markus aber
gelautet haben foll wie bei Marcion und feinem Nachfolger
Lukas 31. 431 (S. 9h i6f. 23f. 42f.); daß der echte
Markus 2 Kor. 818 erwähnt (S. 39, vgl. auch Zeitfchrift
für neuteft. Wiffenfchaft S. 199); daß die Bergpredigt auf
Grund der Didache entftanden fein foll (S. 26f. 29); daß
Mark. 134 zu überfetzen fei: ,ließ es nicht zu, daß die
Dämonen fagten (es fleht aber lalelv, nicht llyeiv), daß
fie ihn kannten' (S. 17. 19, richtig dagegen Wellhaufen |
S. 11); daß 132 xal rovq öaiuovi^oulvovq ein überflüffiger,
nachträglich angebrachter Zufatz fein foll(S. 18 f.), während
doch eine bewußte, konfequent durchgeführte Unterfchei-
dung der Geifteskrankheit von leiblichen Gebrechen gerade
ein Unterfcheidungsmerkmal des Markusevangeliums

bildet, wie Pieper (Theologifche Arbeiten aus dem rheini-
fchen wiffenfchaftlichen Predigerverein 1891, S. 61 f.),
Schürer (Jahrbücher für proteftantifche Theologie 1892,
S. 633 f.) und Joh. Weiß (Real-Enzyklopädie für proteft.
Theologie und Kirche1 IV S. 413) gezeigt haben. Auch
diefe Kritik dürfte fich jedenfalls das augufteifche ,Eile
mit Weile' zu Herzen nehmen.

Straßburg i. E. H. Holtzmann.

Drummond, James, M.A., LL.D., Hon. Litt.D., An inquiry
into the character and authorship ol the Fourth Gospel.

Published for the Hibbert Trustees. London, Williams
& Norgate 1903. (XVI, 528 p.) 8» s. 10.6

Die englifchen Theologen haben vor uns Deutfchen
voraus, daß fie auch bei breitefter, umftändlichfter Darlegung
ihrer Gedanken bezüglich der Ungeduld ihres
Publikums nicht allzu ängftlich zu fein brauchen. Zumal
für Gegenflände, wie der hier behandelte, ift dasfelbe
immer zu haben, immer gleich aufgelegt, fich möglichft
ausgiebig belehren zu laffen, während wir, wenn unfere
Bücher gekauft werden follen, uns einer möglichft be-
fcheiden begrenzten, bündig zufammenfaff enden Darftellung
befleißigen und jedenfalls auf Reproduktion des gefamten
Gedankengangs, den wir hinter uns haben, verzichten
müffen. So bietet uns der rühmlich bekannte Principal
of Manchester College (Hauptfeminar für unitarifche Geift -
liche, jetzt in Oxford) in vorliegendem Werke eine Einleitung
in das johanneifche Evangelium oder mindeftens
einen hauptfächlich die Autorfrage betreffenden Aus
fchnitt aus einer folchen, von einem Umfange, der, wenn
nur Sachkundige, nicht auch Laien als Publikum gedacht
wären, recht wohl auf ein Drittel hätte zurückgebracht
werden können. Nicht minder kennzeichnet fleh die eng-
lifche Methode und Denkweife befonders dadurch, daß
faß; die Hälfte des Ganzen unter die Überfchrift ,external
evidence' fällt (S. 72—351). Was vorhergeht, betrifft den
general character' des johanneifchen Evangeliums und
ift allerdings von ganz anderer Art: Betrachtungen über
die antike Gefchichtfchreibung überhaupt, der man ein
hiftorifches Intereffe in unterem heutigen Sinn nicht bei-
meffen darf (S. 29 h), und über das Johannesevangelium
infonderheit, das nicht Begebenheiten der nackten Wirklichkeit
berichten, fondern ,pneumatifch' im Sinne des
alexandrinifchen Clemens, alfo vor allem auch allegorifch
verftanden fein wolle (S. 32 h). Der Widerfpruch mit dem
fynoptifchen Bericht wird im weiteften Umfange eingeräumt
. Im Vorteil ift der johanneifche eigentlich nur
bezüglich der Chronologie der Leidenswoche (S. 47—59),
nicht aber bezüglich des Täuferbildes, der Tempelreinigung
, der wiederholten Züge nach der Hauptftadt ufw.
Die Lazarusgefchichte bewegt fich mehr im Land der
Träume, als auf dem Boden nüchterner Wirklichkeit (S.
64, vgl. auch S. 381). Die Reden des johanneifchen
Chriftus find von den Reflexionen des E-vangeliften nur
durch flüffige Grenzen geichieden (S. 34f.); fie nehmen
auf fpätere Kontroverfen Bezug (S. 37) und geben wieder,
was Johannes nicht mit fleifchlichen Ohren, fondern mit
dem Senforium des Geiftes vernommen hat (S. 39f.). Ihre
dominierende Stellung im Evangelium bringt es mit fich,
daß in diefem zwar ein Zufammenhang des Gedankens,
nicht aber eine gefchichtliche Ordnung anzutreffen ift
(S. 408). Die andächtige Begeifterung für diefes ätherische
Chriftusbild begreift fich nur daraus, daß es als
Interpretation eines fchon hinlänglich bekannten, fefte gefchichtliche
Züge aufweifenden empfunden wird (S. 64f.).
So weit alfo gehen die Nachwirkungen, welche der einft
bei des Verf.s Amtsvorgängern J.J. Taylor und J. Martineau,
deren Andenken das Werk Drummonds gewidmet ift,
genoffene Unterricht zurückgelaffen hat.

Nun aber der Rückfchlag! Den faft unvermeidlich
fich ergebenden negativen Folgerungen aus dem befchrie-