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Ausgabe:

1905

Spalte:

119-120

Autor/Hrsg.:

Titius, Arthur

Titel/Untertitel:

Religion und Naturwissenschaft 1905

Rezensent:

Rolffs, Ernst

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Seite 1

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H9

Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 4.

befferungen unberührt, was auch Granderath felbft ge- I
fühlt haben muß, wenn er am Schluffe feiner Einleitung ■
fchreibt: ,Die katholifche Lehre fetze ich alfo ftets bei j
meiner Darfteilung als wahr voraus. Die Tatfachen be- i
richte ich genau, wie ich fie finde, ich beurtheile fie aber j
katholifch. Wollte mich darum jemand der Parteiauf- j
faffung befchuldigen, fo müßte ich mit ihm das Gebiet
der Gefchichte verlaffen und ihm durch die Beweisgründe
der Apologetik zeigen, daß mein Standpunkt j
richtig ift' (I 9.)

Bremgarten. Lic. A. Bruckner.

Titius, Prof. D. Arthur, Religion und Naturwissenschaft.

Eine Antwort an Profeffor Ladenburg. Tübingen,
J. C. B. Mohr 1904. (III, 114S.) gr. 8° ' M. 1.80

Herausgewachfen aus einem Vortrage, der anläßlich
des vielbefprochenen, jetzt fchon fafl verfchollenen Vortrages
von Ladenburg ,über den Einfluß der Naturwiffen-
fchaften auf die Weltanfchauung' gehalten worden ift, I
gliedert fleh die gedankenreiche und gründliche Arbeit
in drei Teile. Der erfte ,die Naturwiffenfchaft und das j
geiflige Leben' zeigt zunächft in einleuchtender Weife,
wie die Naturforfchung felbft nur als ein Glied innerhalb j
der geiftigen Gefamtentwicklung betrachtet werden kann, I
um dann auf Kantifcher Grundlage den überzeugenden
Nachweis zu führen, daß das geiftige, bewußte Leben
das einzige urfprüngliche Datum ift, von dem aus über- [
haupt eine Erkenntnis des Wefens der Dinge gewonnen
werden kann. Weniger durchfichtig ift die Erörterung,
die zu den fleh im wefentlichen an Rickert anfchließen-
den Ausführungen über die Eigenart der Gefchichts-
wiffenfehaften überleiten foll (S. 17 f.). Als das charak- |
teriftifche Unterfcheidungsmerkmal der letzteren gegen- j
über den Naturwiffenfchaften wird die teleologifch-kaufale
Methode hervorgehoben, die mit Rickert ,als eine auf
Erfchließung von Werten ausgehende und durch Beziehung
auf allgemein gültige Werte normierte' zu denken
ift. Da Wert und Unwert Kategorien des Gefühls und
des Willens find, fo läßt fich bei diefer Methode das
fubjektive Element nicht ausfchalten, fondern gehört zum
Wefen der Wertbeftimmung. Aber während der die
Werte beftimmende ,Wille zum Leben' fich bei der ungeheuren
Mehrzahl der Menfchen die Intelligenz unterwirft
, hat die Wiffenfchaft ihre Erfolge nur erreicht, weil
ihre Arbeiter ,zu völliger Selbftvergeffenheit, zu gänzlicher
rückfichtslofer Plingabe an die Sache felbft, an die
Wirklichkeit felbft in ihrer Objektivität, rein und unbeirrt
von aller fubjektiven Willkür' (S. 25) fähig find. Daß fich
hier etwas von unferm Willen, unferm Belieben Unbedingtes
uns erfchließt und nun die volle ganze Hingebung
um feiner felbft willen verlangt, ift die eigentümliche
Erfahrung, die den Kern aller fittlichen Erlebniffe ausmacht
. Titius trifft hier mit Nietzfche zufammen, der
darin das ,asketifche Ideal' wiedererkennt. Aber er
fchließt daraus im Gegenfatz zu jenem, daß im menfeh-
lichen Wefen eine derartige Verbindung des Ideals mit
dem Willen zum Leben von vornherein angelegt ift. Die
darauf bezüglichen Ausführungen find der Glanzpunkt
feines Buches. Sie führen zu dem Ergebnis, daß ,für die
Beantwortung der Weltanfchauungsfragen das menfeh-
liche Innenleben mit feinen geiftigen Intereffen und
Werten die höchfte Inftanz bilden müffe.

Der zweite Teil ,die chriftliche Religion' verfucht
nach einer gedrängten Darftellung der Rolle, welche die
chriftliche Religion im geiftigen Leben der Gegenwart
fpielt, den Beweis ihrer Wahrheit unter dem Gefichts-
punkt, daß ,wie der idealiftifche Philofoph im Leben
nicht zweifelt, daß feine Sinnesorgane ihm, wenn auch
in eigenartiger Sprache, wefentlich richtige Kunde von
den Dingen zutragen', ebenfo der religiöfe Glaube in
feiner unausrottbaren Kraft auf die Realität feiner Objekte
hinweift. Nicht die Wiffenfchaft, fondern das Leben

der Völker entfeheidet endgültig über die Wahrheit des
Chriftentums (S. 56). Es bedeutet einen Sprung in der
Beweisführung, wenn Titius von hieraus mittels des Satzes
,Man muß eine beftimmte Stufe der Entwicklung erreicht
haben, wenn man für feine Wahrheit empfänglich
fein foll' zu einer Analyfe des Entwicklungsgedankens
kommt, in der er ausführt, wie durch die gefchichtliche
Entwicklung eine Bereicherung des geiftigen Lebens herbeigeführt
wird, die in der Individualifation der Menfch-
heit begründet ift. Durch die Individualifation wird nun
die Bildung einer einheitlichen Weltanfchauung auf
das äußerfte erfchwert. Jede Weltanfchauung trägt
individuelles Gepräge. Das erhöht den Reichtum des
geiftigen Lebens; jedoch hat das Recht der Individualität
auf diefem Gebiet feine Grenze an der Wahrheit,
die immer nur eine fein kann. Es muß daher eine die
Differenzen der Weltanfchauung überbietende Einheit
und Gemeinfamkeit geben. Da nach Schleiermacher das
eigentlich geftaltende Prinzip aller individuellen An-
fchauung nicht Wiffen und Denken, fondern Gefühl und
Phantafie ift, fo muß auf dem Gebiet des Gefühls und
der Phantafie auch das einheitliche Prinzip der Weltanfchauung
zu fuchen fein, das von allen Individualitäten
angeeignet werden foll, d. h. ,es muß die nicht begrifflich
, fondern anfehaulich dargeftellte Idee eines umfaf-
fenden, allgemeinen Wertes, eines höchften Gutes fein',
die Titius dann in der Perfon Chrifti findet, in der das
religiöfe Verhältnis in urbildlicher Vollkommenheit ausgeprägt
fein foll. Leider ift feine Beweisführung in dem
darauf bezüglichen Abfchnitt zu gedrängt und abftrakt,
um den gewünfehten Eindruck zu machen. Um bei den
außerhalb der chriftlichenGlaubensgemeinfchaft Stehenden
Verftändnis für den Wert der chriftlichen Religion zu
wecken, ftellt er dann einige Zeugniffe ihrer Wirkungen,
zumal auf die Naturwiffenfchaft zufammen.

Der dritte Teil behandelt die vermeintlichen Konflikte
zwifchen Naturwiffenfchaft und Chriftentum'. Es
werden darin die Probleme erörtert, die dem chriftlichen
Glauben erwachfen aus der Unendlichkeit der Welt,
der Gefetzmäßigkeit des Gefchehens und der natürlichen
Entwicklung der Organismen. Mit bemerkenswertem
Nachdruck wird dabei der Pantheismus abgelehnt;
ebenfo nachdrücklich wird der Wunderglaube als Ausdruck
unferer prinzipiellen Überordnung des Zweckgedankens
über den Naturmechanismus feilgehalten und
der Glaube an ein perfönliches Leben nach dem Tode
verteidigt.

Osnabrück. Rolffs.

Stechow, Leopold von, Philosophisch-religiöse Betrachtungen
und Fernblicke. Heidelberg, C. Winters Univerfitäts-
buchhandlung 1904. (IV, 583 S.) gr. 8" M. 7 —

Diefes Buch gehört zu denen, die den Schrecken
des Rezenfenten bilden. Man denke: faft 600 große,
ziemlich eng gedruckte Seiten mit philofophifch-religiöfen
Betrachtungen, und kein Inhaltsverzeichnis, kein Regifter,
ja, keine Überfchriften, nur drei oder vier größere Zwi-
fchenräume, aber auch ohne Ziffer oder andere Kennzeichen
: und fonft eine große unendliche Ebene — es ift,
um davonzulaufen. Ein folches Buch kann nur verlangen,
daß man eilig hindurch läuft; man kann nicht bei jeder
Seite lange verweilen. Beim Durchblättern ftoßen einem
häufig Ausdrücke auf, die man bei Schelling oder Hegel
finden kann: das Anderfein im Unterfchied vorn Andersfein
, die feiende abfolute Wirklichkeit, das notwendige
Sein und das notwendige Sein, die Formen der Einheit
, der Unmittelbarkeit, der Andervermittlung, der
Selbftvermittlung, der abfoluten Unmittelbarkeit, und
ähnliche Gedankenruinen. Von allem möglichen ift
fcheints die Rede — von Jefus Chriftus, dem abfoluten
Sein, lange wird vom Opfer gehandelt, vom indifchen,
perfifchen, griechifchen, römifchen Geift, von Shakefpeare,