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Ausgabe:

1905 Nr. 3

Spalte:

75-77

Autor/Hrsg.:

Schermann, Theodor

Titel/Untertitel:

Eine Elfapostelmoral oder die X-Rezension der „beiden Wege“ 1905

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 3.

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geliebten Jefus, dem Herrn des ihm von Gott verliehenen
Volkes, andrerfeits vom präexiftenten Gottesfohn geredet
wird, kann den Kenner nicht überrafchen. Ebenfowenig,
daß ein Autor Anführungen aus dem A.T. das eine Mal
in ihrem fchlichten Wortverftande, das andre Mal, wenn
fie zu fpröde find, in allegorifcher Umdeutung bringt.
Ein ernft zu nehmendes Kriterium wäre es höchftens,
wenn wirklich die Betrachtung, die der Autor dem Gefetze
des A.T. zuteil werden läßt, in fich widerfpruchs-
voll wäre. Aber davon kann im Ernft keine Rede fein.
Die in Barn, vorliegende Beurteilung des Gefetzes ift die,
es habe niemals im Wortverftande zu Recht beftanden,
feine Erfüllung fei nie von Gott gewollt worden. Der
Rahmen diefer bekanntlich fehr eigenartigen Auffaffung
wird nicht gefprengt, wenn im Briefe einerfeits das Gefetz
in feinen einzelnen Teilen, als Faften, Opfer, Sabbat,
Befchneidung, mit Hilfe der Propheten kritifiert wird,
andrerfeits (da diefe Gebote nun einmal in fehr kate-
gorifcher Form in der heiligen infpirierten Schrift ftehen)
die allegorifche Methode angewandt wird, um den tiefern
Sinn, die Dafeinsberechtigung der Gebote nachzuweifen.
Kein altchriftlicher Schriftfteller konnte fich mit der negativen
Thefe zufriedenftellen: die Gebote des Pentateuch
haben ,nie und nimmer dem Willen Gottes entfprochen'.
Daß Abraham, als er die Befchneidung vornahm, unter
dem Einfluß eines böfen Engels ftand (was nach V.,
S. 457, die Anficht des urfprünglichen Brieffchreibers
gewefen fein muß), wäre rein gnoftifche Problemlöfung.

So wird demnach das Buch in all dem, was es an
literarkritifcher UnterfuchungNeues bringt, mit fämtlichen
darangeknüpften Folgerungen zurückzuweifen fein. Andres,
was über die eigentliche Literarkritik hinaus geboten wird,
ift ohne Zweifel von bleibenderem Werte, ich verweife
befonders auf vieles Material, was in der Erklärung des
Herrn, und Barn, geboten wird. Ich bin indes darauf
nicht eingegangen, weil mir eine entfchiedene Ablehnung
der von V. geübten Literarkritik notwendig erfchien.

Marburg i/H. Rudolf Knopf.

Auf Wunfeh des Herrn Rezenfenten bemerken wir, daß obiger
Artikel bereits vor Erfcheinen von Jülicher's Rezenfion über dasfelbe
Werk in der Deutfchen Litztg. vom 17. Dez. 1904 in unfern Händen war.

Schermann, D. Theodor, Eine Elfapostelmoral oder die
X Rezension der „beiden Wege". Nach neuem hand-
fchriftlichem Material herausgegeben und unterfucht.
(Veröffentlichungen aus dem Kirchenhiftorifchen Seminar
München. Herausgegeben von A. Knöpfler.
II. Reihe Nr. 2.) München, J. J. Lentner 1903. (VI,
90 S.) gr. 8« M. 2 —

Wieder ein neuer Rekonftruktionsverfuch der Grund-
fchrift der Didache wird uns hier geboten — nicht auf
Grund von neuen Funden, aber doch durch Benutzung
neuen handfehriftlichen Materials. Es handelt fich um
die 1864 von Pitra (Iuris Eccl. Graec. hist. et monum.
I p. 75 ff.) aus dem Ottob.gr. 408 herausgegebene kürzere
Rezenfion der Apoftolifchen Kirchenordnung, welche
der Verf. im Ottobonianus nochmals verglichen und für
die er im Cod. Paris, gr. 1555 A (saec. XIV) und Cod.
Nagold II C 34 (saec. XV) zwei neue Zeugen gefunden
hat. Diefe Rezenfion (X), welche unter dem Titel
,£Siirottrj oqcov xmv ayieov aitoGxdXmv xa&oXixrjq staga-
öoGecoq' den Text von Did. 1—4 (ausgenommen 1,8—2,1,
2,4b, 4, 5. 7. 10—11) enthält, wurde bisher allgemein als Auszug
von der Apoftol. Kirchenordnung (K) angefehen.
Sch. macht nun den Verfuch, in diefem Text eine alte
chrittliche Grundrezenfion der urfprünglich jüdifchen
beiden Wege nachzuweifen, welche neben B und L einerfeits
und der Grundlage von D andererfeits als eine der
Quellen für die Ipäteren Mifchrezenfionen (Cod. Bryen-
nios, Apost. Const. u. A.) felbftändigen Wert befitze.

Da nun X die Kapitel D 5 und 6 nicht enthält,
welche doch in D und L eng mit 1—4 zufammen-
I gehören, und deren guter formeller Abfchluß im latei-
j nifchen Text erhalten ift, fo muß ihre nachträgliche
| Entflehung zunächft erklärt werden.

Die allerdings fchwankende und unfichere Überlieferung
des Schluffes in Kap. 6 ift nach Sch. ein Beweis
I für feinen fekundären Quellenwert. Der Redaktor von
D foll diefen Paffus eingefchoben haben, um einen Über-
I gang zum Folgenden herzuftellen. Er hätte das aller-
I dings möglichft ungefchickt angefangen. Liegt doch
darin gerade die Schwierigkeit von D 6, 1—8, daß es
weder zum Vorhergehenden noch zum Folgenden paffen
will, daß ihm alfo der Übergangscharakter gerade
mangelt. Die Form des Schluffes in L in Parallele zu
D 6, 1 zeigt aber zweifellos ficher den formellen Abfchluß
der Grundfchrift, für deren Bearbeitung in B und
K die Sätze freilich aus ganz natürlichen Gründen nicht
geeignet waren. B konnte doch in feinen Brief, K in die
Worte der einzelnen Apoftel nicht folche Schlußfätze
aufnehmen. — Ebenfo unzureichend fcheinen mir die
Gründe für die Streichung von C. 5 aus der Grundfchrift.
Auch wenn die korrefpondierenden fikv und de am Anfang
des Lebens- und des Todesweges nicht urfprünglich find,
fo fordert die gefamte Überlieferung gebieterifch, daß
auf die Befchreibung des Lebensweges auch die des
Todesweges folgte. Nach Sch. foll erft B C. 5 aus den
D 1—4 entfprechenden Ausführungen- der Grundfchrift
zufammengeftellt und deswegen D II, 1—0 weggelaffen
haben. Später habe dann D diefe freie Zufammen-
ftellung nach Matth 19, is und Rom 1, 2» fyftematifch
geordnet. In diefer geordneten F'orm fei dann D 5 weiter
überliefert worden.

Es ift zuzugeben, daß dies eine Erklärung für den
Unterfchied von B und D fein würde. Aber warum foll
nicht B die Grundfchrift hier teils ganz frei (5, 1), teils
| wörtlicher (5, 2) wiedergeben, während D im wefentlichen
die Ordnung der Grundfchrift beibehielt, einzelne Varia-
tionen nicht ausgefchloffen, für die uns L ein Zeuge ift?
1 Der Hauptgrund dafür, daß B der Schöpfer von C 5 fei,
j würde doch immer darin liegen, daß X das Kapitel nicht
hat. Das fleht ja aber gerade zum Beweis, daß folcher
Textbeftand nicht eine Auslaffung ift. Mit dem Zählen
| von Vokabeln in C 1—4 einerfeits und 5. 6 refp. 7—16
I andererfeits ift bei dem fehr geringen Umfang der Quelle
gar nichts bewiefen. Ich kann den Beweis dafür, daß die
Grundfchrift nur D 1—4 enthalten habe, nicht als erbracht
gelten laffen.

Was nun den Text von X felbft angeht, den Sch.
auf Grund feiner neuen Kollationen p. 16—18 abdruckt,
fo kann ich mich noch weniger für den primären Wert
' desfelben begeiftern. Schon die Überfchrift fcheint mir
fekundär zu fein — ejcixo/it) bedeutet viel wahrfchein-
licher ,Auszug' als .Kompendium'. Ebenfo weckt der
! Zufatz xa&oXixrjq stagadoGeoiq wenig Vertrauen. Damit
j ift natürlich nicht gelagt, daß X ein Auszug aus der
längeren Rezenfion von K fein muß, denn K zeigt in der
Tat Beeinfluffungen durch B, die in X noch fehlen. Die
Apoftellifte am Anfang von K kann aus den einzelnen
Sätzen von X zufammengefetzt fein. Zugegeben alfo,
daß der Text des Ottobonianus nicht länger als ssrixofir]
von K gelten darf, fondern eher als eine Vorftufe von
■ K anzufehen ift, fo entfeheidet das noch nichts über
feinen primären Quellenwert gegenüber B, L und D.
In fehr forgfältigen, wenn auch nicht gerade fehr über-
1 fichtlichen Erörterungen vergleicht der Verfaffer den X-
j Text mit B, L, M, K, 2, N fowie einigen fpäteren Re-
I zenfionen und entfeheidet fich gegenüber B für die
Selbftändigkeit, gegenüber L und M für die überwiegende
Priorität von K. Ich kann hier auf diefe verwickelten
] hünzelunterfuchungen, denen zu folgen durch den Stil des
; Verfaffers erfchwert wird, nicht eingehen, möchte aber
| die Hauptkennzeichen hervorheben, die mir den fekun-