Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1905 Nr. 2

Spalte:

59

Autor/Hrsg.:

Trübe, Otto

Titel/Untertitel:

Rudolf Euckens Stellung zum religiösen Problem. Diss 1905

Rezensent:

Lülmann, Christian

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

59

Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 2.

60

Wahrheitsgehalt der Religion ihm ,eine glückliche Verarbeitung
und Weiterbildung Hegelfcher Prinzipien' ih l
Als das Hauptverdienft Hegels betrachtet er die Ein-
ftellung der Religion in den getarnten Lebenszufammen-
hang. Dies Hauptverdienft fucht er näher zu begründen
und zu veranfchaulichen, zum Teil in polemifcher Aus-
einanderfetzung mit der Schule A. Ritfchls. Dabei will
er doch vieles fpezififch Hegelfche befeitigt wiffen, z. B.
die dialektifche Methode, die logifche Fundamentierung,
den pantheiftifchen Charakter und die intellektualiftifche
Faffung der Religionsphilofophie. Das Bemühen des
Verf., das Individuell-Myftifche als Charakteriftikum des
Hegelfchen Typus hinzuftellen, halten wir für vergeblich.
Wenn auch Hegel eine myftifche Phafe durchlebt hatte,
fo war feine Innerlichkeit am Ende doch nicht die des
Gefühlslebens, fondern die des Denkprozeffes.

Stettin. Lülmann.

Trübe, Dr. Otto, Rudolf Euckens Stellung zum religiösen

Problem. Diff. Erlangen, Hofbuchdruckerei Vollrath
1904. (70 S.) gr. 8°

In dem Vorwort zur dritten Auflage feines Buchs
über die Grundbegriffe der Gegenwart begrüßt R. Eucken
mit Freuden die feinen Schriften fich zuwendende und
unerwartet rafch wachfende Teilnahme des aufzeigenden
jüngeren Gefchlechts. Diefe Teilnahme richtet fich zumal
auf E.s religionsphilofophifche Grundanfchauung.
Auch O. Trübe hat fie fich in herzlicher Sympathie zu
eigen gemacht und gibt nun in feiner Differtation eine
kurze und klare Charakteriftik, die wohl geeignet ift zur
Einführung in E.s Gedankenwelt und zur vorläufigen
Orientierung über die dort behandelten großen Probleme.
Der Darfteilung ift namentlich E.s Buch über den Wahrheitsgehalt
der Religion zugrunde gelegt. In den beiden
Schlußabfchnitten fucht der Verf. E.s Stellung zu
fixieren in der Gefchichte des deutfchen Idealismus und
in der religionsphilofophifchen Bewegung der Gegenwart,
namentlich gegenüber Claß, Siebeck, A. Dorner, Tröltfch.

Stettin. Lülmann.

Verhandlungen der Zweiten Eisenacher Konferenz. 8., 9. und

10. Juni 1903. Herausgegeben von Dr. Joh. Lepfius.
Berlin, Deutfche Orient Miffion E. V. 1903. (160 S.)
gr. 8° M. 2 —

Dies Protokoll bietet außer einigen Begrüßungsan-
fprachen und zwei Morgenandachten folgende Vorträge:
1. Lütgert: Die Lehre von der Rechtfertigung durch den
Glauben. 2. Zeller-Magdeburg: Rechtfertigung und Heiligung
in ihrer Einheit und Unterfchiedenheit. 3. Warneck:
Was lernen wir f. d. Heidenmiffion aus d. Gefch. d.
Ausbreitung d. Chriftentums in den erften 3 Jh.? 4. Käh-
ler: Der gegenwärtige Stand der Theologie. 5. Lepfius:
Die gefchichtlichen Grundlagen der chriftlichen Weltan-
fchauung. Die regelmäßig folgende Diskuffion ift von
auffallender Dürftigkeit. Wirklicher Widerfpruch gegen
die Aufftellungen der betreffenden Referenten erhebt fich
aus dem eignen Kreife in keinem Falle. Selbft über die
erftaunlichen Behauptungen von Lepfius fchüttelt man nur
leife den Kopf, erwartet aber, daß diefer biblifche Tief-
finn bei weiterem Nachdenken fich auch dann noch fruchtbar
erweifen werde, wenn man nicht alle feine Refultate
annehmen könnte. Zu bedauern bleibt, daß diefe Weitherzigkeit
fich namentlich bei Lütgert und Lepfius nur
auf die Gefinnungsgenoffen erftreckt, Anderen nicht gleiche
Gerechtigkeit widerfahren läßt.

Die beiden Genannten hätten bei der Gewagtheit
ihrer eigenen Hypothefen allen Grund, mit möglichfter
Befcheidenheit aufzutreten. Lepfius entrollt in Anlehnung
an allerneuefte religionsgefchichtliche Forfchungen, aber
zugleich mit giftigften Ausfällen gegen feine modernen

Arbeitsgenoffen, eine Weltanfchauung d. h. ein Weltbild
der Bibel, das fich als religionsgefchichtliche Konftante
von den Zeiten der ,Urreligion der gefchichtlichen Kultur-
menfchheit' bis in das Urchriftentum (Apoc. 42-7) nachweifen
läßt. Nicht nur hinter Kopernikus (d. h. Ariftarch),
fondern auch hinter das mittelalterlich dualiftifche Weltbild
führt dasfelbe zurück. Fechner hat es in unferen
Tagen der modernden Naturforfchung wieder zugänglich
gemacht, nachdem zuvor nur Dante und Jak. Böhme noch
etwas von demfelben verftanden hatten. Die kultifche
Symbolik Ifraels (Ezech. 14—as) ift auf feiner moniftifchen
Anfchauung aufgebaut. Denn in ihr Hellt fich ein vollkommenes
Abbild der himmlifchen Geifterwelt, der behielten
Geftirne mit ihren Fixftern- und Planetenordnungen
dar. Merkwürdig, daß der Referent unter feinen testes
veritatis den Areopagiten oder die Bulle Unam Sanctam
vergeffen hat! Jener Monismus ift aber ein dreifach
gegliederter und die dreifache Gliederung Hellt fich in räumlichen
(Ober-, Mittel-, Unterwelt), phyfikalifchen (Licht,
Wechfel, Finfternis), biologifchen (ewiges, fterbliches
Leben, Todeszuftand), ethifchen (gut, Mifchung, bös), me-
taphyfifchen (Göttliches Sein, Sein im Fleifche, Sein im
Geifte = Gefpenft S. 152) Kategorien dar. Dem Bericht
über diefe Phantafien habe ich nur hinzuzufügen, daß ,die
I Apoftel — von ihrem Meifter gar nicht zu reden —, die
j der Welt die Erkenntnis der göttlichen Erlöfungstaten
: gefchenkt haben, vielleicht auch in dem Verftändnis der
: Prinzipien der Schöpfungswelt alle Zeitalter überragen-.

Ernfter wird man wohl Lütgert nehmen dürfen. Wir
hören zunächft, daß nicht nur Paulus ein Jude war. Auch
über der Erfcheinung Jefu liegt die ganze Ferne des
! Jüdifchen. Was aber das nun näher zu bedeuten habe,
I erfahren wir nicht. Die Rechtfertigung wird von vornherein
über menfchliche Maßftäbe hinausgehoben. Sie
ift etwas Wunderbares, weil fie etwas Göttliches ift. Sie
ift mehr als Vergebung. Diefe ift nur ein Wort Gottes,
jene eine Tat Gottes, nämlich, wenn ich recht verliehe,
eine einmalige Tat Gottes am Kreuze Chrifti. Da ift fie
Zufammenfaffung von Gericht und Gnade. Da kommt
Gott zu feinem Rechte, denn Jefus erkennt zuerft Gottes
(d. h. des Gefetzes) Recht an, fucht zuerft Gottes Ehre.
Es kommt aber zugleich der Menfch (d. h. der Glaube)
zu feinem Rechte. Denn über die Vergebung hinaus
(Pf. 32) wird er in das Himmelreich aufgenommen. (Ift
die Wiederherftellung der alten Beziehungen zu Gott, die
der Vergebung zugetraut wird, keine Aufnahme ins
Himmelreich?) Es kommt aber nun darauf an, wie diefe
einmalige Tat Gottes in ihren Wirkungen an den Men-
fchen gelangt. Mit Erfahrung oder Gefühl foll es nicht
getan fein. Indem Schleiermacher in Kants Nachfolge
Allesauf jene gründet, wird ihm die Theologie zurPfycho-
logie, uns heute die Wiffenfchaft von Gott zur Religions-
wiffenfchaft. Und die Predigt, die fich dann an das
chriftliche Bewußtfein wendet, als gäbe es noch Gemeinden
von Gläubigen, gründet fich auf eine Illufion. Die
Erweckungspredigt umgekehrt macht die Kindererziehung
zu einer unlösbaren Aufgabe, ift alfo nicht zu gebrauchen.
Ritfehl fucht der Sache abzuhelfen, indem er die Rechtf.
auf die Gemeinde bezieht. Aber die Wirkung Chrifti werde
dann nur naturhaft befchrieben, fie erbe fich fort wie
Rechtsbewußtfein und Sitte. Die fo geftaltete Gemeinde
bilde nur eine Herde. ,Eine Gemeinde entlieht nur aus
folchen, die felbft und allein vor Gottes Angefleht liehen
und fich dann vereinigen'. Alfo muß die Rechtfertigung
etwas Individuelles fein. Wie das nach der kläglich
fchiefen Kritik Ritfchls — weiß Lütgert wirklich nicht,
was Ritfehl unter Gemeinde oder Kirche verftanden hat?
— mit der Behauptung zu vereinigen ift, daß die Rechtf.
fich am Kreuz vollzieht, darüber fucht man in den fchil-
lernden Sätzen auf S. 44 vergeblich eine klare Antwort.
Ganz deutlich, freilich, wie ich meine, zu feinem eignen
Schaden deutlich, wird Ref., wenn er nun nach den Kennzeichen
der Erwählung oder der fubjektiv angeeigneten