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Ausgabe:

1905

Spalte:

53-54

Autor/Hrsg.:

Detmer, Heinrich

Titel/Untertitel:

Bilder aus den religiösen und sozialen Unruhen in Münster während des 16. Jahrhunderts. II. Bernhard Rothmann 1905

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 2.

54

Crohns, Dr. Hjalmar, Die Summa theologica des Antonin von
Florenz und die Schätzung des Weibes im Hexenhammer.

(Acta societatis scientiarurn Fennicae tom. XXXII
Nr. 4). Helfingfors 1903. (23 S.) 40

Hier wird der Nachweis geliefert, daß die fo niedrige
und zugleich bösartige Schätzung des Weibes, die durch
den Hexenhammer viel taufend unfchuldigen Frauen den
qualvollen Tod gebracht hat, der Niederfchlag einer
gelehrten Tradition ift, die fich in der befonders von
Dominikanern gepflegten Moralwiffenfchaft des Mittelalters
gebildet hatte, daß fpeziell Antonin von Florenz die
Autorität war, auf der die Beweisführungen des Mallcus
in diefer Hinficht beruhten. Man kann fich wohl fragen,
ob es einen Wert habe, heute jene verrückten und doch
fo verhängnisvollen Ausführungen fanatifcher Zölibatäre
auszugraben, die von dem wahren Wefen der Frau keine
Ahnung hatten, und deren wüftem Frauenhaß man den
inneren Brand der Lüfte überall anfpürt. Leider ifts ja
aber auch in unterer Zeit nicht unnötig zu zeigen, zu
welchen Verirrungen der Zölibat führen kann, und in
welche Abgründe ein Volk gefuhrt wird, das fich durch
folche ,heilige1 Männer leiten läßt.

Stuttgart. E. Lempp.

Detmer, Kgl. Oberbiblioth. Dr. Heinrich, Bilder aus den
religiösen und sozialen Unruhen in Münster während des
16. Jahrhunderts. II. Bernhard Rothmann. Kirchliche
und foziale Wirren in Münfter 1525—1535. Der täu-
ferifche Kommunismus. Münfter, Coppenrathfche
Buchh. 1904. (146 S.) gr. 8" M. 1.75

Hatte Detmer im erften Heft feiner Bilder aus den
religiöfen und fozialen Unruhen in Münfter während des
16. Jahrhunderts Johann von Leiden gewürdigt, fo be-
fchäftigt er fich im zweiten Heft mit Bernh. Rothmann,
der vom ,Katholiken zum Lutheraner, dann nach wenigen
Monaten zum Zwinglianer, alsdann zum Waffenberger
und endlich zum Ultraanabaptiften wurde' (S. 30) und
in jedem Stadium feiner rafchen Entwicklung das Volk
in Münfter auf feine Seite zog. Auch Detmer kann
nicht leugnen, daß der Mann ein pfychologifches Rätfcl
ift. Vgl. S. 122. So fehr er fich aber bemüht, die rätfel-
hafte Eigenart des Mannes verftändlich zu machen, und
dabei feine Ehrlichkeit und fein aufrichtiges Streben
gegenüber dem Vorwurf der Heuchelei betont, fo wenig
gelingt es ihm, zu zeigen, daß Rothmann fich in feiner
fiürmifchen Art je die Zeit gegönnt, feine jedesmalige
Überzeugung zu vertiefen und gründlich auszugestalten.
Hat ein neuer Gedanke ihn begeiftert, fo steigen fchon
wieder Dutzende von andern auf, und was der bewegliche
Mann kaum dem Augenblick als Wahrheitserkenntnis |
abgelaufcht, wirft er wortgewaltig und federgewandt fo-
fort wieder unter die Menge. Ein folcher unruhiger
Geilt konnte nicht den Mut und die Klarheit gewinnen,
um dem Fanatismus eines Jan Matthys die Spitze zu
bieten und Jan Bockclfon als das zu entlarven, was er
war. ein betrogener Betrüger und Verbrecher. Kaum
je ut das Amt eines Predigers fo tief erniedrigt worden,
als indem fich Rothmann zum ,Worthalter' des neuen
Königs von Zion hergab und ihm half, die niedrigften
Triebe in ein frommes Gewand zu hüllen und das Gewaltregiment
eines Tyrannen mit dem Heiligenfchein
des meffianifchen Reiches zu verklären. Ref gefleht, je
mehr er fich mit Detmers Zeichnung von Rothmanns
Geiflesart und Hntwicklung befchäftigt hat, um fo ichärfer
ift fein Urteil über diefen geworden. Ein geiftig fo begabter
, theologifch nicht ungebildeter Volksredner muß
auch mehr Rückgrat und mehr unbeftechliches Urteil
gegenüber dem Schwert und Blendwerk des unlautern
Egoiften haben und mit dem vollen Gewicht feiner
Perfönlichkcit ihm entgegenzutreten wagen. Aber foviel

I ift Detmer zuzugeben, Rothmanns Ende im Kampf für
j feinen Glauben ift würdiger und fympathifcher als das
eines Johann von Leiden und Knipperdolling.

Dank verdient der Verfaffer befonders für feine
Darfteilung des Kommunismus in Münfter, der Rothmann
urfprünglich ganz fern lag, aber unter dem Einfluß
der täuferifchen Ideen fich Bahn brach, wobei bald aus
der brüderlichen Liebe der härtefte Zwang bei der Einziehung
des Belitzes wurde, der fich bis auf die Kleidung
erftreckte und auch die Arbeit zu organifieren luchte,
aber zu dem glänzenden Hofhalt des Schneiderkönigs
und feiner .Hofordnung' im fchreiendften Gegenlatz ftand.

Nabern. G. Boffert.

Bibliotheca reformatoria Neerlandica. Geschriften uit den
tijd der hervorming in de Nederlanden, opnieuw uit-
gegeven en van inleidingen en aanteekeningen voor-
zien door Dr. S. Cramer en Dr. F. Pijper. Eerste
deel: Polemische geschriften der Hervormingsgezinden,
bewerkt door Dr. F. Pijper. 's-Gravenhage, M. Nijhoff
1903. (IX, 658 blz.) gr. Lex. 8"

Ein neues Unternehmen wird mit vorliegendem Bande
eröffnet, ein Quellenwerk zur niederländifchen Reforma-
tionsgefchichte, das feiten und fchwer zugängliche Schriften
durch Neudruck allgemein bekannt und benutzbar
machen will. Wie das Vorwort (S. VII) fagt, find manche
Schriften aus den glorreichen Tagen der Väter nur noch
in einem Exemplar erhalten, fie gilt es vor völligem
Untergang zu bewahren. Und wenn die Herausgeber von
ihrer Publikation Förderung des reformationsgefchicht-
lichen Studiums erwarten — und wir betonen ausdrücklich
: Förderung auch der deutfehen Reformations-
gefchichte; denn diefe Schriften find von deutfeh-refor-
matorifchem Geifte durchtränkt, oft nur Überfetzungen
deutfeher Fluglchriften — und Stärkung des religiöfen
Lebens erhoffen (ebda), fo wird ficher weder Hoffnung
noch Erwartung geiäufcht werden. Das Programm ilt
weit gefaßt:

,Alle geestestromingen, welke zieh in de veelbezvogen Hervor-
mingseeuw hebten voorgedaan, zullen verte genwoordigI zi/n: de Luther-
sche, de Etasmiaansche, de Sacramentarische, de Doopsgezinde, de Gere
formeerdc, de Bullingeiiaansche, de Calvinislische. Ook van onder-
scheidene tnsschenriehtingen, waaromlrent tot dwv/rre weinig zeiers
behend was, zal door de nieuwe uttgave van schrijtelijke getuigenissen
het bestaan en de aard duid/lijker dm vroeger aan het licht treden.
Ons voornemen is ook voorlbreneselen van Roomschc schriivers op te
nemen* (S. VIII).

So wird alfo Freund und Feind zum Worte kommen.
Mit befonderer Freude begrüßen wir die Ankündigung
im Profpekte, daß auch die z. T. nur in einem Exemplare
erhaltenen Schriften Mennos1 von Prof. Cramer (vgl.
fchon deffen Notiz in Haucks Realenzyklopädie;> XII,
594) hier abgedruckt werden follen. Finanziell fcheint
das grandiofe Unternehmen ficher geftellt durch die
Beiträge von Privaten und der Teylerfchen Gefellfchaft
zu Haarlem, der Haager Genoffenlchaft zur Verteidigung
der chrilllichen Religion, fowie der Utrechter Genoffen-
fchaft von Kunft und Wiffenfchaft.

Was die Editionsgrundfätze betrifft, fo hat im
vorliegenden Bande Prof. Pijper natürlich die Originaldrucke
zu Grunde gelegt; Varianten fpäterer Drucke,
foweit es folche gibt, find nicht mitgeteilt. Dagegen
ift wohl kaum etwas zu fagen, da es fich allem Anfchein

1) Eine Frage, die Hr. Prof. Krüger einmal gerprächsweife aufwarf,
fei hier weiter gegeben: Warum fagen wir Menno i Warum nicht Simons f
Wir gewiß in alter Tradition, fchon a Lasco fchrieb de Christi incar-
natione adversus Mennonem 1545, aber warum fchrieb er fo? Ift es
lediglich Zufall? Oder zur Unterfeheidung? Man hat ja auch einfach von
Martinus und Philippus gefprochen, aber das übliche war doch Luther
und Melanchthon. Vielleicht vermögen die Holländer uns Auskunft zu
geben.