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Ausgabe:

1905

Spalte:

705-706

Autor/Hrsg.:

Grabmann, Martin

Titel/Untertitel:

P. Heinrich Denifle, O. P. Eine Würdigung seiner Forschungsarbeit 1905

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 26.

700

magd (S. 380), — diefe Degradierung feiner Martha hat
der gute Lucas gewiß nicht geahnt!

Gießen. Köhler.

Francke's, A. H., Briefe an den Grafen Heinrich XXIV. j. L
Reuß zu Köftritz und feine Gemahlin Elenore aus den
Jahren 1704 bis 1727, als Beitrag zur Gefchichte des
Pietismus herausgegeben von Archivr. Dr. Barth.
Schmidt und Gymn.-Oberlehr. Lic. Otto Meufel.
Leipzig, Dürrfche Buchhandlung 1905. (IV, 170 S. m.
2 Taf.) gr. 8° M. 3—; geb. M. 4 —

Neunundneuzig Briefe A. H. Franckes aus den Jahren
1704—27 an den Grafen Heinrich XXIV j. L. Reuß zu
Köftritz und feine Gemahlin Elenore, dazu einige verwandte
Schriftftücke. Da die Zahl der veröffentlichten
Briefe Franckes (mit Ausnahme des Briefwechfels mit
Spener) nicht groß ift, ift diefe Sammlung wertvoll. Das
Charakterbild Franckes wird durch fie freilich nicht
wefentlich verdeutlicht, wohl aber lebendiger. Namentlich
tritt feine Betriebfamkeit kräftig hervor. Wie er auf
die Fiirften einzuwirken und den einen Hof durch den
anderen zu beftimmen fuchte, dafür ift befonders das
7. Schreiben intereffant. Für die neue Sprache Kanaans
vergleiche man z. B. den 67. Brief vom 23. Jan. 1725 an
den Grafen und die Gräfin: .Danke ich unterthänigft für
die mir gütigft verehrte 2 bouteillen ungrifch. Wein. Und
wünfche, daß denenfelben der HERR noch mehr gebe des
köftlichen Waffers, davon Er Ihnen fchon gegeben hat,
daß es in Ihnen ein Brunn des Waffers werde, das in
das ewige Leben quille. Joh. 4u und Sie davon getränket
werden mit wahrer himmlifcher Wolluft, wie mit
einem Strom, und trunken werden von den reichen Gütern
feines Haufes, Pf. 36. und es dann gehe nach Zachariä
9 v. 15. Dero unterthänigfter F'ürbitter A. H. Francke
ppm'.

Über den Grafen Heinrich XXIV., einen rigiden Pie-
tiften und bedeutenden Förderer der Bewegung, orientiert
die Einleitung; zahlreiche Anmerkungen klären über die
vielen Perfonen auf, die in dem Briefwechfel vorkommen.
Merkwürdig ift, daß Spener niemals genannt wird, nur
feine .Theologifchen Bedenken' werden erwähnt (S. 87).
Neben dem Perfonen- wäre ein Sachregifter erwünfcht
gewefen.

Berlin. A. Harnack.

Grabmann, D. Dr. Martin, P. Heinrich Denifle, 0. P. Eine
Würdigung feiner Forfchungsarbeit. Mainz, Kirchheim
& Co. 1905. (VII, 62 S.) gr. 8° M. 1.50

Man erhält hier eine dankenswerte und nicht zu
panegyrifche Überficht über das wiffenfchaftliche Lebenswerk
Denifles. Es war gewaltig; der Entfchlafene gehört
in die kleine aber ftolze Reihe der eifernen Arbeiter.
Was er erarbeitet hat, ift Monument und Fundament
zugleich.

An Luther durfte er nicht heran — ich zweifle nicht,
daß das einft das einftimmige Urteil der Nachwelt fein
wird, wenn auch Hr. Grabmann das nicht zugibt. Nicht
als ob Denifle nicht auch hier wertvolle kritifche Beiträge
geliefert hätte, aber im Vergleich zu dem, was zu einer
univerfalgefchichtlichen Würdigung Luthers gehört, find
fie recht befcheiden. Denifle war felbft eine mittelalterliche
Natur; fein Horizont war durch Thomas begrenzt. Wo er
diefe Grenzen verläßt, fehlt ihm jedes Steuer einer pofitiven
gefchichtlichen Betrachtung, und alle feine guten Geifter
verlaffen ihn. Methode, Maß, Interpretation — alles wird
unficher, rabuliftifch, inquifitorifch, falfch; er felbft als
Forfcher unzuverläffig, kleinlich, gehäffig und unwahrhaftig,
ohne es zu wiffen. Man muß das leider nach feinem
Tode noch ausfprechen, da kurzfichtige Freunde noch
immer fo tun, als ftünde auch der .Luther' auf der Höhe

der Forfchung. Und doch ift aus dem Buche über Luther
nichts zu lernen als das, was der Reformator nicht oder
fchlecht gewußt hat.

Man muß verfuchen, Denifle, den Biographen Luthers,
zu vergeffen, zu vergeffen ferner, daß diefer Mönch in
der Hitze des Kampfes — um Luther und Andere ins
Unrecht zu fetzen — allen Ernftes leugnete, daß das
mönchifche Leben auch als das Leben der Vollkommenheit
gelte. Sein Temperament und fein Glaube haben
ihn in Abgründe geführt; aber er hat ein Lebenswerk
hinterlaffen, welches er felbft nicht zu vernichten vermochte.

Berlin. A. Harnack.

Die Bibelfrage in der Gegenwart. Fünf Vorträge von
D. Kloftermann, Dr. Lepfius, D. Haußleiter,
D. Müller-Erlangen, D. Lütgert. Berlin, F. Zilleffen
1905. (IV, 116 S.) gr. 80 M. 1.50

,Die hier vorliegenden Vorträge find im Spätherbft
1904 im Saale der königlichen Kriegsakademie zu Berlin
unter erfreulicher Beteiligung weitefler Kreife gehalten
worden. Sie haben, ein jeder in feiner Weife, den
Nachweis unternommen, daß die moderne Ablehnung
der Bibel wiffenfchaftlich nicht begründet fei'. — Im 1.
Vortrag fpricht Kloftermann über die Zuverläffigkeit
der altteftam entlich en Berichterftattu ng, oder die
fog. fides humana, welche dem A. T. zukommt. Der
Verf. beginnt mit der Aufzählung einiger Befchränkungen,
die wir dem Ausdruck ,Berichterftattung' auferlegen müffen.
Es haben fich zahlreiche Schreibfehler in unferen Text
eingefchlichen, und zwar nicht bloß in der Überlieferung
von Namen und Zahlen; Zufätze und Auslaffungen, unfreiwillige
und abfichtliche, haben den urfprünglichen Text verändert
. Eine weitere Limitation muß angegeben werden,
wenn wir dieBerichterftattungin denpoetifchen und prophe-
tifchenBüchernheranziehen: dort kommt es nichtfowohl auf
die buchftäbliche Wirklichkeit als auf die religiöfe Wahrheit
an. Was das engere Gebiet der Erzählungen betrifft
, fo fragt es fich, in welchem Maße wir die Zuverläffigkeit
derfelben noch kontrollieren underproben können.
Als Kontrollmittel führt K. an: die Feftftellung der
Abfaffungszeit, den Vergleich der Ausfagen eines Bericht-
erftatters mit anderen Berichten über diefelbe Zeit aus
demfelben Volk oder aus anderen Völkern, die Prüfung
der Urkunden und Vorlagen der Erzähler. Diefe Kontrollmittel
gehen uns, der altteftamentlichen Berichter-
ftattung gegenüber, entweder ganz oder in hohem Maße
ab. Der Erfatz, den wir dafür befitzen, liegt in der Tatfache
, daß die altteftamentlichen Bücher Gemeindebücher
find. Nun kam es der Gemeinde, bei der Auswahl und
dem öffentlichen Gebrauch der Gemeindebücher, nicht
darauf an, möglichft viel Gefchichtsftoff für die Neugierigen
aufzuhäufen, fondern es kam ihr auf die rechte Beleuchtung
diefes Stoffes an. Diefe rechte Beleuchtung
war die religiös-prophetifche: die Erzählung von dem
Wirken des lebendigen Gottes in der Gefchichte, das
ift die Form der Unterweifung über Jahwe gewefen.
Der Maßftab lag alfo in den religiöfen Bedürfniffen der
Gemeinde. Die alte Gefchichtserzählung betrachtete die
Vergangenheit immer im prophetifchen Geilte, und dem
entfprechend wählte fie ihre Stoffe aus. ,Die Stoffe
aber haben die Erzähler nicht erdichtet, fondern fich
geben laffen durch das, was fie felbft wahrnahmen, durch
das, was ihnen Zeugen felbft erzählten, durch das, was
ihnen alte Schriften, alte Urkunden der verfchiedenften
Art darboten' (33). In diefem Satze lag der Kern der
zu löfenden Aufgabe, welcher der Verf. aber nicht weiter
nachgegangen ift. Er hat in treffender Weife den Geift
der altteftamentlichen Gefchichtsfchreibungcharakterifiert;
die daraus fich ergebenden Probleme hat er kaum ange-
ftreift. Von den Pentateucherzählungen, von den Genefis-
überlieferungen fagt er kein Wort. Wie fleht es da mit