Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1905

Spalte:

681-683

Autor/Hrsg.:

Bergmann, Julius

Titel/Untertitel:

System des objectiven Isealismus 1905

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 25.

682

um bei der Behauptung auszumünden, daß wir die
Schranken der Erfcheinungswelt nur durchbrechen und
in das wahre Wefen der Dinge allein eindringen können
durch die freie Tat. Indem wir wollen, indem wir handeln
, indem wir vertrauend und liebend uns felbft bejahen
, bejahen wir Gott und gelangen wir zur Gotteserkenntnis
. ,C'est 111 aimaut qtion trouve Dieu et /es aittres
etres et qu'o/i se trouve soi-meme.' Die in derartigen
Sätzen angedeutete, aber freilich nicht in allen Stücken
völlig durchfichtige apologetifche Methode wird nun in
zwei weiteren Auffätzen [eclaircissementssur ledogmatisme
Moral' und Je probleme rcligieu.v) gegen Einwände des
Intellektualismus und Rationalismus verteidigt. Sie wird
weiter empfohlen durch den Nachweis ihrer Ähnlichkeit
mit dem Verfahren Pascals (l'apologetique et la Methode
de Pascal). Endlich beruft fich der Verfaffer darauf, daß
alle wirkliche Erziehung ihrerfeits weiter nichts erftrebe
als mittels der Autorität freies Wollen und Handeln
herzuftellen [tkiorie de 1'educatiou), und konflatiert er
mit Genugtuung, daß die Gedanken eines anerkannten
modernen Myftikers, des Bifchofs Gray, fich mit den
feinen vielfach berühren (uu mystique au ig. sieclc).

Die Eigenart des Buchs und feine Stellung innerhalb
der katholifchen Theologie wird wohl am beften
durch den Umftand gekennzeichnet, daß der Autor fortwährend
fich veranlaßt fühlt feine Gefinnungsgenoffen und
fich gegen den Verdacht des ,Voluntarismus', ,Fideismus'
,Dogmatismus des Herzens', insbefondere aber des ,Kan-
tianismus' in Schutz zu nehmen. Charakteriflifch ift auch
daß der Generalfuperior des Oratoriums der Schrift in
einem ihr voraufgedruckten Brief zweierlei nachrühmt:
einmal, daß fie den durch die Bhilofophie Irregeführten
zeige, wie der Abgrund zwifchen der Erfcheinungswelt
und der Wirklichkeit überbrückt werden kann; und
dann, daß fie die Gläubigen wappne gegen die Gefahren
des Intellektualismus, gegen die Verfuchung ,den Glauben
mit einem verltandesmäßigen Fürwahrhalten dogmatifcher
Formeln zu verwechfeln' und ähnliches.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Bergmann, Prof. Julius, Syltem des objectiven Idealismus.

Marburg, N. G. Elwert 1903. (XII, 256 S.) gr. 8°

M. 4.80

Mit diefem kurzen aber inhaltsreichen Buche hat
der inzwifchen heimgegangene Verfaffer feine Gedankenarbeit
gekrönt. Es ift wie die bisherigen Abhandlungen
durch ungewöhnliche Schärfe, Knappheit und Beftimmt-
heit des Stils charakterifiert, in feiner komplizierten und
vielfach ineinandergreifenden Denkarbeit völlig ausgereift
und mit der Sicherheit des Meifters angelegt, der nur
vielfach Durchdachtes jedesmal am richtigen wohlüberlegten
Orte gibt. Darin liegt aber auch die außerordentliche
Schwierigkeit des an Konzentration und Abftrak-
tion die höchften Anfprüche ftellenden Buches, das ausdrücklich
nicht für .Sonntagsphilofophen' gefchrieben
fein will. Die Notwendigkeit, für ein folches Buch auch
einen völlig ruhigen Moment der Lektüre und Aufnahme
zu finden, hat die Anzeige des Buches verfpätet. Doch
liegt die Schwierigkeit des Buches keineswegs nur in
(liefen formellen Eigentümlichkeiten, fie liegt zumeift in
der dem heutigen Denken wenig geläufigen fachlichen
Richtung des Erkenntniswillens und in der durch diefe
Richtung bedingten logifchen Methode. Der Verfaffer
dringt auf metaphyfifch.es Denken, das der in Skepfis
zerfließenden Erkenntnistheorie und der in endlofer Stofflichkeit
erflickenden Pfychologie, den Hauptrichtungen
des heutigen Erkenntniswillens, erft einen feften Halt
und Maßftab gebe, das auch für jede wiffenfehaftliche
Behandlung der Religion, zu der ,doch wohl eine wiffen-
fchaftlich begründete und entwickelte ethifch-teleologifche
Weltanficht gehört', unentbehrlich fei. Es kommt auf
die Herausarbeitung deffen an, was die vom Vorgeftellt-

werden unabhängige, vielmehr felbft dem Urteil durch
Übereinftimmung mit ihr Wahrheit oder Unwahrheit verleihende
Realität ift. Die Herausarbeitung felbft vollzieht
fich in erfter Linie durch die Unterfuchung des im
Denken felbft enthaltenen Begriffes des Seins, durch lo-
gifche Feftftellungen der Bedingungen, unter welchen das
Denken feinem eigenen Wefen entfprechend das .Sein
eines an fich feienden Objektes' feftftellen kann und muß.

Es ift alfo eine Fortfetzung der Leibnizifch-Wolffi-
fchen Denkarbeit, aus dem Denken und Gedachten den
I Begriff des Seins zu finden, und es waltet auch hier die
rationaliftifche Vorausfetzung, daß das Denken aus fich
felbft und aus feiner Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit
heraus den Begriff des alles notwendig erfchöpfenden
Seins finden müffe. Freilich biegt Bergmann von Wolff an
I einer beftimmten Stelle fehr bemerkenswert ab. Er ftellt die
| allgemeinen vom Denken geforderten Bedingungen für
j die Möglichkeit eines Seins auf, den Begriff des wider-
j fpruchslofen Enthaltenfeins jedes Befonderen in einem
als feine Effenz gedachten Allgemeinen. Allein den
Übergang vom möglichen zum wirklichen Sein macht er
anders als Wolff mit feinem complcMcntum possibilitatis.
das dem möglichen Sein aus feiner Abhängigkeit von
einem feinem Begriff nach notwendig exiftieienden ab-
foluten Sein erft zuwächft. Hier akzeptiert er den Kanti-
fchen Einwurf, daß es unmöglich fei, aus dem Denken
das Sein herauszuklauben. Es handelt fich überhaupt
nicht um den Nachweis eines einzelnen Dings oder der
Welt als feiend, fondern um die Bedingungen, unter denen
das Seiende als feiend gedacht werden kann und muß.
Diefe Bedingungen aber ergeben fich dann, wenn man
beim einzelnen Sein an feinen Zufammenhang mit anderem
Sein denkt und erkennt, daß die feine Möglichkeit
bewirkende Widerfpruchslofigkeit ftets zugleich die Einreihung
in einen abfolut notwendigen Zufammenhang
nach dem Prinzip des zureichenden Grundes ift. Dann
ift alles Mögliche zugleich, co ipso notwendig, und
alles nicht aus dem Zufammenhang eines in aller Vielheit
und Veränderung mit fich felbft identifchen Syftems
gedachte ,Mögliche' eben in Wahrheit nicht möglich.
Das Denken alfo vermag zu fagen, daß Sein exiftieren
muß und was diefes Sein fei, nämlich ein in aller fimul-
tanen und fukzefforifchen Vielheit mit fich notwendig
identifches ewiges Syftem.

Damit ift freilich das Syftem nur als feiend bewie-
fen und feine formale Wefenheit beftimmt. Was es
inhaltlich ift, vermag nur die Erfahrung zu fagen, die in
dem Ichbewußtfein uns diefes Syftem als Erlebnis zugängig
macht. Damitgreift eine zweite von Cartefius, der Monadologie
und der Kantifch-Fichtefchen Lehre ausgehende
Gedankenmaffe ein. Das Ichbewußtfein ift die in unferer
Erfahrung einzige Erfaffung eines an fich Seienden. Gegen
Cartefius wirJ die Subftanzlofigkeit und reine Aktualität
diefes Ichbcwußtfeins behauptet; gegen Kant wird die
transfzendentale Realität des Ichbewußtfeins und feines
Inhaltes behauptet, welcher letztere nicht zur Elrfcheinung
eines fchlechthin unbekannten Ich-an-fich gemacht werden
darf; mit den Vertretern des Unbewußten und des
unterfchwelligen Bewußtfeins wird anerkannt, daß das
Ich feines an fich ihm gegebenen Bewußtfeins für fich
felbft nicht voll bewußt ift und die verfchiedenfte Be-
wußtfeinsintenfität haben kann. Als an- fich- feiendes
Reale ift das Ich ein ewiges mit fich Identifch-Sein des
Objektes mit dem Subjekt, was unter Vorausfetzung der
Realität der Zeit fehr wohl möglich ift. So entfpricht
das Ich den logifchen Forderungen des Seinsbegriffies,
und indem zu dem eigenen Ich die (freilich nicht völlig
überzeugend bewiefenen) fremden Iche hinzukommen,
ergibt fich der Begriff eines ewigen mit fich felbft identifchen
Syftems, wo in dem univerfalen Bewußtfein die
partikularen Bewußtfeine als ewige Beftandteile enthalten
und das Ganze nach dem Satze des zureichenden
Grundes eine mit fich felbft identifche Einheit bildet, wo-