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Ausgabe:

1905 Nr. 25

Spalte:

671-672

Autor/Hrsg.:

Haupt, Paul

Titel/Untertitel:

Kohelet oder Weltschmerz in der Bibel 1905

Rezensent:

Volz, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 25.

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und bei Dubletten den kürzeren und unvollftändigeren
Bericht fallen ließ. Die jetzige Struktur diefer bibhfchen
Bücher ift die richtige, die Berichte folgen regelrecht
aufeinander, und nur die Lücken und Defekte, die dem
Kompilator fchon vorlagen, find geblieben.

Der Hauptteil der Unterfuchung gehört nun der Frage
nach der Gefchichtlichkeit der Berichte, wobei Verf. Kapitel
für Kapitel durchnimmt und in eingehendfter Aus-
einanderfetzung mit den neueren Arbeiten zu einer überall
bejahenden Antwort gelangt. Esra 1 wird mit Hilfe der
altorientalifchen Gefchichte und der Infchriften von dem
Verdacht eines chronifiifchen Machwerks gereinigt; die
Gründe gegen die Rückkehr unter Cyrus werden forgfältig
unterfucht und durch die zeitgenöffifchen inkhriftlichen
Denkmäler widerlegt; die Echtheit der Lifte in Es. 2 wird
aufgezeigt und nachgewiefen (fie zirkulierte in Privat-
kreifen als lofes Blatt, von Nehem. in feine Memoiren,
vom Chroniften in feine Chronik aufgenommen); die Identifizierung
von Serubabel und (dem Nichtjuden) Sesbazar
wird aufgegeben und dadurch die Zuverläffigkeit von
Kp. 3 gefichert ufw. Eis. 7—10 und das Neh.-Buch find in
fchönfler chronologifcher Ordnung; der Verf. diefes
3. Schriftflücks hat die Memoiren der beiden unverändert
wiedergegeben und nur foweit es anging, fie aus
der Tempelchronik ergänzt; wo diefe Quelle verfiegte,
ließ er alles in feiner urfprünglichen Form, auch wenn es
noch fo fragmentarifch und zufammenhangslos ausfah.
Auch der Gang der Handlung in Neh. 8—10 ift fo klar
und regelrecht, wie man ihn fich nicht beffer denken
kann. Nirgends alfo eine Kopflofigkeit, Unwiffenheit oder
Oberflächlichkeit des Chroniften, wie manche Kritiker fie
diefem vorwerfen, überall in den Berichten ftrenge Gefchichtlichkeit
und gute Ordnung. Verf. kann den modernen
Exegeten, befonders Koffers, den Vorwurf nicht
erfparen, daß fie die Dokumente in die frei ausgemalten
Vorgänge hineinpreffen wollen, ffatt die gefchichtlichen
Vorgänge nach den Dokumenten darzuftellen.

Sofern der Verf. die Zuverläffigkeit der biblifchen
Berichte und den Verftand der Kompilatoren und Redaktoren
höher einfchätzt als es vielfach gefchieht, kann ich
ihm nur beiftimmen. Das Eigenartige an feiner Brofchüre
in literarkritifcher Hinficht ift die Befchränkung der Arbeit
des Chroniften und der Vorfchlag, die uns vorliegende
Geftalt der beiden Bücher mit der endgültigen Kanonredaktion
zufammenzubringen. Doch wird Verf. gerade
hiermit wenig Beifall finden, und ebenfo werden manche
Eiinzelvorfchläge, wie z. B. über die Lifte in Kp. 2, nicht
als Löfung anerkannt werden können. Auch in dem Lob
über den fchönen Bau der beiden Bücher geht Verf. zu
weit, weiter als er felbft an anderen Stellen geht, wo er
von den Lücken und Defekten redet, die die 3. Quellen-
fchrift erhalten und behalten habe. Entfchieden rühmenswert
aber ift die Freiheit, mit der der Verf. die literar-
kritifche EYage überhaupt behandelt und das Vorhandenfein
verfchiedener Quellen von verfchiedenem Wert erkennt
, und die wiffenfchaftliche Gründlichkeit, durch die
feine Einwände gegen die kritifchen Aufftellungen fich
die Beachtung verdienen.

Leonberg. Volz.

Haupt, Prof. Paul, Koheleth oder Weltfchmerz in der Bibel.

Ein Lieblingsbuch E"riedrichs des Großen. Verdeutfcht
und erklärt. Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung
1905. (VII, 36 S.) 8° M. 1.20

Im Vorwort fpricht fich H. ganz beftimmt über Zeit
und Verfaffer des Kohelet aus. Das Buch fei c. 100 vor
Chr. von einem hervorragenden fadduzäifchen Arzt und
.König' (Schuloberhaupt) in Jerufalem gefchrieben, aber
wahrfcheinlich erft nach dem Tod des Verf. von feinen
Anhängern unter der fchützenden Maske einer altfalomo-
nifchen Schrift veröffentlicht worden. Später, da man

| das Buch nicht mehr unterdrücken konnte, wurde es von
den Orthodoxen mit abfchwächenden Korrekturen verfetten
und fchließlich in den Kanon aufgenommen. Einzelne
Ereigniffe aus der Lebenszeit des Verf. (175—100),
der ereignisreichften und wechfelvollften Periode in der
I jüdifchen Gefchichte, blicken durch die Äußerungen
j Kohelets deutlich oder verftohlen durch; H. exegefiert
daher flramm zeitgefchichtlich: der arme und weife Knabe
| (413f.) z. B. ift Alexander Balas, der alte und törichte
König ift Antiochus Elpiphanes, 914 bezieht fich auf die
Belagerung von Bethfura durch Antiochus V., wobei der
Verf. vielleicht als etwa zwölfjähriger Knabe miteinge-
fchloffen war ufw. Die Philofophie des mit der griechi-
fchen Lehre vertrauten und auch von der griechifchen
Sprache beeinflußten Verf. ftellt eine Vermittlung des
Epikureismus und Stoizismus in höherer Einheit dar und
tritt nach Befeitigung der Zufätze klar und folgerichtig
zutag. Das Büchlein ift auch abgefehen von den Zu-
fätzen in einem großen Durcheinander auf uns gekommen.
Die Uberfetzung gibt daher zugleich die richtige Stellung
der Verfe und der Abfchnitte; das Versmaß der Urfchrift
(Halbzeilenpaare mit 3+3 Hebungen) ift im Deutfchen
j nachgeahmt; die fekundären und die tertiären Zufätze lind
durch den Druck kenntlich gemacht. Als Zufätze fcheidet
j H. übrigens durchaus nicht bloß orthodoxe Korrekturen
j aus, fondern auch Dubletten oder inhaltlich Minderwer-
j tiges, metrifch Ungleiches; wenn man die unter den Strich
! geftellten Zufätze durchlieft, findet man verhältnismäßig
wenig orthodoxe Bemerkungen, umgekehrt ift manches
: Peffimiftifche, wie die Geringwertung des Weibs, dem
! echten Kohelet abgefprochen, manches Optimiftifche, wie
der Preis der Arbeit, ihm zugeteilt. Es bleibt hier die
nähere Begründung Haupts abzuwarten.

Im Kernpunkt ftimme ich mit EI. überein, darin, daß
| der Grundtext von einem freien, ringenden Geift flammt
und in .frommer' Abficht korrigiert wurde; ebenfo darin,
daß mit der bloßen Ausfcheidung fekundärer Elemente
das Rätfei des Büchleins noch nicht gelöft ift. Aber die
Versumftellung bleibt immer etwas Ungewiffes, für andere
Unkritifierbares, und die Sicherheit, mit der H. die Zeit-
i ereigniffe einträgt, wirkt verblüffend. Da diefe Uberfetzung
1 und Erklärung des Kohelet fchon ihrem Titel nach weitere
Kreife erreichen will, ift eine folche fouveräne Behand-
! lung des Textes vollends ein Wagnis, das ich nicht zu
billigen vermag. Schließlich beruht diefe ganze Rekon-
ftruktion auf einer fehr fraglichen Vorausfetzung. Es
wäre ja fchön, wenn wir annehmen dürften, daß jener
altjüdifche Denker ein in formaler und materialer Hinficht
I fo bedeutendes Kunftwerk produziert hätte, wie H. es
uns darbietet, aber ich glaube das nicht. Schon die Urfchrift
ift nicht ein einheitliches Kunftwerk gewefen, fondern
eine lofe Aneinanderreihung von Aphorismen, an
die fich dann verwandte Sentenzen und .fromme' Sprüche
angehängt und eingefchoben haben. — Wems aber nicht
darauf ankommt, wie der alte Kohelet ausfah, und wer
nur eben die in diefem A.T.lichen Schriftchen fteckende
Gedankentiefe und Wortfchönheit kennen lernen will, der
hat viel an Haupts feiner metrifcher Überfetzung, die
hie und da die peffimiftifche Stimmung vorzüglich malt
und manche Abfchnitte in ihrer gedanklichen Eolgerich-
tigkeit darftellt, und an den erklärenden Noten, die teil-
1 weife in fchlagender Kürze trefflich unterrichten.

i Leonberg. Volz.

I Neumark, Dr. M., Lexikalifche Unterluchungen zur Sprache
der jerufalemifchen Peutateuch-Targume. Heft 1. Berlin.
M. Poppelauer 1905. (48 S.) gr. 8» M. 2—

Die lexikalifchen Unterfuchungen, von denen hier
außer der Einleitung (S. 7—19) nur das erfte Kapitel
; (S. 20—40) nebft einem Anhange (S. 41—48) veröffent-
j licht wird, haben fich den Zweck gefetzt, das Sprachgut
der jerufalemifchen fd. h. paläftinenfifchen) Penta-