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Ausgabe:

1905 Nr. 24

Spalte:

657-659

Autor/Hrsg.:

Bernhardt, E.

Titel/Untertitel:

Bruder Berthold von Regensburg 1905

Rezensent:

Schian, Martin

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 24.

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chen an ihnen ein befonderes Gefallen. Cyrill ift der ältefte
Kirchenvater, den der Katholizismus ohne Vorbehalte
und Umdeutungen anzuerkennen vermag. Selbft Atha-
nafius läßt es doch noch hie und da an der nötigen
,Akribie' fehlen, und den Kappadoziern ift, wenn man
genau zufieht, gar nicht zu trauen; immer wieder über-
rafchen fie durch böfe Seitenfpriinge.

Weigl hat m. E. Cyrill allzu ausführlich nach feiner
Heilslehre katechefiert. Wenn der Katechet zu gründlich
verfährt, erhält er in der Katechefe feine eigenen
Gedanken ftatt der des Katechumenen. Diefem Ergebnis
ift auch Weigl nicht ganz entgangen. Der Schaden
ift freilich nicht groß, da Weigl und Cyrill fich fehr nahe
ftehen; aber um fo fchärfer hätte jener verfahren müffen;
aber an Schärfe läßt er es fehlen S. 56 z. B. gibt er
den Satz Cyrills wieder: Chriftus befaß feiner menfch-
lichen Natur nach die Vollendung, er war unhandlich,
.fein Sinn abfurden Begierden unzugänglich, auch nicht
erfaßbar von Verlangen nach dem Eßbaren; wenn man
auch fieht, daß er Speife und Trank genoffen, .... fo
hatte er daran nur freiwilligen Anteil'. Weigl zitiert
diefen Satz beifällig und bemerkt: was ift das anderes
als das auguftinifche ,non posse peccare' Ift der Ver-
faffer hier wirklich einer Meinung mit Cyrill, und glaubt
er wirklich, diefe Meinung fei durch Auguftins ,non posse
peccare' richtig wiedergegeben? Ich will es nicht hoffen.

Die Lehren Cyrills, wie fie von den neueren proteftan-
tifchen Dogmenhiftorikern gefaßt worden find, werden durch
diefe ausführliche Darftellung, foviel ich fehe, nirgendwo
korrigiert, fpeziell auch nicht, was über die Bedeutung
des Phyfifchen im Heilsprozeß bei Cyrill feftgeftellt worden
ift. Neben diefem Myftifch-phyfifchen gibt es für Cyrill
keine befondere Gnadenlehre, fondern nur eine ziemlich
rationaliftifche Ethik. Auch was S. 66 ff. über die menfch-
liche Allgemeinnatur Chrifti gegen uns ausgeführt ift, ift
nicht überzeugend. Man darf gegen diefe Auffaffung
doch nicht mit den Lücken operieren, die Cyrill in feinen
(wenig fyftematifchen) Darlegungen gelaffen hat.

ticrlfa. _ A. Harnack.

Bernhardt, Prof. E., Bruder Berthold von Regensburg.

Ein Beitrag zur Kirchen-, Sitten- und Literaturge-
fchichte Deutfchlands im XIII. Jahrhundert. Erfurt,
H. Güther 1905. (III, 73 S.) gr. 8° M. 1.50

Bernhardt ift von grammatifchen Unterfuchungen
aus auf Berthold von Regensburg gekommen. Die Ge-
ftalt des merkwürdigen Mannes feffelte ihn, und fo ver-
fucht er nun, einen ,weiteren Leferkreis' für ihn zu in-
tereffieren. Die philologifch-kritifchen Fragen wie die
nach dem Verhältnis der deutfchen zu den lateinifchen
Predigten behandelt er darum nur kurz; das Hauptgewicht
legt er auf Bertholds Art zu reden und zu fchil-
dern. Dennoch bleibt es fehr zweifelhaft, ob die Schrift
mehr als frühere Schriften in weitere Kreife dringen
wird. Das Philologifche tritt eben doch keineswegs
ganz zurück; zahlreiche Zitate aus den deutfchen Predigten
laffen Sprachkenntnis erwünfcht fcheinen; das
Ganze bleibt eine wiffenfchaftliche Abhandlung. Meint
Bernhardt vielleicht mit den weiteren Kreifen außertheo-
logifche Kreife? Für folche ift jedenfalls die Allbekanntes
zufammenftellende kirchengefchichtliche Einleitung
berechnet.

Die Schrift gründet fich vornehmlich auf die deutfchen
Predigten; von den lateinifchen ift ihm ein Teil,
aber nur ein verhältnismäßig kleiner Teil handfchriftlich
bekannt gewefen, und in der Benützung treten fie ftark
zurück. Die von Hötzl herausgegebenen Predigten ad
Religiöses hat er anfeheinend zu fpät ausgenützt; er
verwertet fie faß nur in Nachträgen S. 67fr. Man kann
Bernhardt bei feiner Abficht keinen Vorwurf daraus
machen, daß er nicht mehr auf handfehriftlichem Material
fußt; aber man muß konftatieren, daß er hierin

nicht weiter kommt als feine Vorgänger. Von den Vorgängern
ift namentlich Schönbach benützt. Sehr mit
Recht; er hat die Berthold-Forfchung wirklich vorwärts
geführt. Sonft berückfichtigt er Jakob, Steinmeyer (in
RE3), Strobl, Hötzl. Andere find nicht oder nur gelegentlich
genannt; die hübfehe Studie von Hering
in Predigt der Kirche Bd. 21 ift nicht benützt; fie würde
immerhin wertvolle Anhaltspunkte geliefert haben.

Gründlich zu beanftanden ift die Ordnung oder
beffer Unordnung des Buches. Die Unterteile find im
Text nicht als folche gekennzeichnet; nur die Inhaltsangabe
ermöglicht eine Überficht. Nach gefchichtlicher
Einleitung kommt die fchriftftellerifche Tätigkeit zur Be-
fprechung, dabei auch das Verhältnis der deutfchen zu
den lateinifchen Predigten. Die folgenden Kapitelüber-
fchriften lauten: Bertholds gelehrtes Wiffen; Bibeltext
und Predigt, Auslegung der Bibel; Über die äußere
Geftalt der Predigt; Rednerifche Kunftmittel; Die Bücher
der Natur; Inhalt und Zweck der Predigt im Allgemeinen;
B.s Stellung zur Kirche; Sittliche und bürgerliche Zu-
ftändedes Volks; GefellfchaftlicheOrdnung. Tohuwabohu!
— Daß bei alledem diejenigen Gefichtspunkte, welche
gerade die Predigttätigkeit charakterifieren, nur obenhin
behandelt find, mag anderen weniger als uns Theologen
fchmerzlich fein; Verf. hat auf diefe Seite der Sache nicht
weiter eingehen wollen. Bertholds Predigt im Zufam-
menhang mit der Predigt jener Zeit, ihr religiöfer und
ethifcher Charakter — über diefe Themata erfährt man
nichts, über ähnliche viel zu wenig. Dagegen ift über
den volkskundlichen und kulturgefchichtlichen Inhalt der
Predigten viel gefagt und reiches Detail beigebracht. Ich
fehe in der Zufammentragung diefes Detailmaterials,
das recht anfehauhch wirkt, den Hauptwert der Arbeit.
Und auch der Theologe foll dem mühfamen Fleiß, der
fich darin bekundet, dankbar volle Gerechtigkeit widerfahren
laffen. Ein paar Verfehen find mit untergelaufen,
aber z. T. in den Nachträgen (z. B. S. 68) korrigiert; es
handelt fich dabei um Einzelheiten biblifch-archäologi-
fchen Gebiets, das dem Verf. fern liegt. Die Aufzahlung
irrtümlicher Bibelzitate Bertholds S. 17 ff. ift fehr reichhaltig
und für die Frage, wem fie zur Laft fallen, ob
Berthold felbft oder den Nachschreibern, wertvoll. Steinmeyer
(RE3 Bd. II, S. 652, ioff.) fcheint die letztere
Anficht zu vertreten ; aber nach den Bernhardtfchen Nachweifen
wird doch wohl Hering (a. a. O. S. XXVII) mit
feiner gegenteiligen Anficht Recht behalten. Unverftänd-
lich ift aber, warum Verf. zufammenfaffend bemerkt;
,Diefe von Berthold erfonnenen (?) angeblichen Bibel-
ftellen, Sprüche, die hätten getan werden können, aber
in der Bibel nicht vorliegen, haben etwas Rätfelhaftes'
(S. 21). Für den, der die Schwierigkeiten wirklich ficherer
Bibelkenntnis würdigt, der das Mittelalter kennt und
pfychologifches Verftändnis befitzt, liegen darin keine
Rätfei. Es wäre merkwürdig, wenn der vielpredigende
Mönch immer richtig zitiert hätte.

Mit befonderem Intereffe ift die Ausführung S. 7ff.
über das Verhältnis der deutfchen und lateinifchen Predigten
zu lefen. Bernhardt polemifiert gegen Schönbachs
Anficht, wonach die deutfchen Predigten Überfetzungen
Verfchiedener aus lateinifchen Sammlungen feien. Er
felbft meint, daß die deutfchen Predigten auf Nieder-
fchriften ,vom Munde des Redners weg' zurückgehen,
und er ftützt diefe Meinung mit beachtenswerten Gründen
. Eine Entfcheidung ift fehr fchwer; ja es liegt bekanntlich
die Möglichkeit vor, daß beide Recht haben.
Steinmeyer (a. a. O. S. 651,off.) hat die Vermutung vertreten
, daß fie teils auf Überfetzung aus lateinifchen Texten
, teils auf Niederfchriften von Hörern beruhen. Leider
hat Bernhardt fich mit diefer Hypothefe Steinrneyers
nicht auseinandergefetzt. Wenn Schönbach die angekündigte
Abhandlung über Bertholds Werke herausgegeben
haben wird, dürfte fich über diefe Frage ficherlich
mit größerer Zuverficht urteilen laffen.