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Ausgabe:

1905

Spalte:

654-656

Autor/Hrsg.:

Schiktanz, M.

Titel/Untertitel:

Die Hilarius-Fragmente 1905

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Abhandlung ift mir noch ein Widerfpruch aufgeftoßen.
Von der Enarratio in cpistolas canonicas heißt es S. 23
auf Grund von Kloftermanns Unterfuchungen, fie dürfe
jedenfalls nicht mehr als ganz ficherer Befitz des Didy-
mus gelten; S. 56 dagegen wird zwar der lateinifche
Wortlaut des didymifchen Urteils über den zweiten Petrus
brief als nicht ganz einwandsfrei angefehen, daran, daß
wir es mit einer Schrift des Didymus zu tun haben, aber
nicht gezweifelt. Ähnlich wird S. 88 nur eine Ein-
fchiebung des Epiphanius als möglich angenommen. Vermutlich
ift L. mit Kloftermanns 1905 erfchienener Arbeit
erft nachtraglich bekannt geworden. Ich erwähne
das natürlich nicht, um ihn zu tadeln, fondern nur, um
auch hier wieder den Finger darauf zu legen, wie wandelbar
das literarkritifche Urteil ift und wie vorfichtig man
bei feiner Verwertung verfahren muß.

Befondere Aufmerkfamkeit hat L. dem .Charakter',
dem ,Stil', den .Sittlichen Anfchauungen' und der
.Frömmigkeit' des Alexandriners zugewendet. Ich bekenne,
daß hier nicht alles nach meinem Sinn ift. Zum min-
deften ift L.s Kritik fehr fubjektiv. Z. B. kann ich das,
was wir über Didymus' Engelverehrung erfahren, durchaus
nicht als ,haarfträubend' (S. 91) empfinden. Ift es
nicht vielmehr ein Zeichen kindlicher Frömmigkeit, wenn
Did. in de tnn. fich bei den guten Engeln entfchuldigt, daß
er den großen Abftand zwifchen ihnen und dem heiligen
Geift hervorheben muffe? Ich halte die von L. zitierte
Stelle für befonders reizvoll und kann auch nicht finden,
daß es ,auf die Frömmigkeit des Verfaffers einen dunklen
Schatten wirft', wenn er an derfelben Stelle .leider auch
von den zahlreichen Engelkapellen in Stadt und Land'
fpricht, ,zu denen das Volk von weither wallfahrtet, um
die Engel um ihre Furfprache zu bitten'. Warum dunkler
Schatten? warum leider? Das klingt ja beinahe, als
hätte Didymus ein Verbrechen gegen die Religion begangen
, während er doch nur zum Ausdruck bringt, was
ungezählten Millionen damals wie heute frommes Herzensbedürfnis
ift. Und wenn Di lymus (Leipoldt S. 95) es als
feine Meinung ausfpricht, viele feien durch Gelichte zum
Chnftentum bekehrt worden, warum follen Athanafius und
Balilius das nicht haben ,auch nur denken können', wie
L. (S. 95) meint? Oder follte es fich dabei wirklich um
einen diefer beiden Männer und der katholifch-kirchlichen
Frömmigkeit überhaupt unwürdigen Gedanken handeln?
In folchen Fällen nach pfychologifchen Motiven fragen,
fetzt doch fchon ein reifes Stadium der Urteilskraft bei
dem Kritifierten voraus. Man denke nur an die landläufige
Auffaffung der Bekehrung des Paulus. Auf die
Bemerkungen L.s zu Didymus' Charakter will ich nicht
eingehen. Charakteriftiken von Männern entwerfen, über
deren Perfönlichkeit uns, wie es bei Didymus der Fall
ift, fo gut wie nichts pofitives vorliegt, dürfte überhaupt
ein bedenkliches Unternehmen fein.

Ein wirkliches Verdienft hat fich L. durch die eingehende
Darlegung der trinitarifchen und chriftologifchen
Anfchauungen des Didymus erworben. Hier findet fich
fehr viel gutes, und es ift zu wünfehen, daß die wiffen-
fchaftlichc Behandlung der Dogmengefchichte in diefer
wichtigen Periode von L.s Ausfuhrungen forgfältige Notiz
nehmen möge. Sie hier auszufchreiben hat keinen Zweck;
fo etwas muß man im Zufammenhang ftudieren. Ich bemerke
nur, daß naturlich auch hier die Stellung zu den
literargefchichtlichen Problemen das Urteil gelegentlich
beeinflußt. So bei der S. ICH ff. behandelten Frage, ob
Didymus etwa der Vater der jungnieänifchen Formel fei.
Bei der Erörterung über jtQoomjtOV (S. 103) vermiffe ich
einen Hinweis darauf, daß uiefes Wort durch den Sabel-
lianismus diskreditiert war.

Zum Schluß noch ein paar Kleinigkeiten: S. I hätte
unter den Kirchenhiftorikern älterer Zeit, die Didymus
nicht vergeffen haben, wohl auch Gottfried Arnold mit
Ruckficht auf feine von Leipoldt felbft S. 147f. zitierten
Worte Erwähnung finden follen. S. 3: daß der von

Libanius und Ifidor von Pelufium ei wähnte Didymus unfer
D. ift, wie noch ich (PRE. 4, 638) angenommen habe,
mag unficher fein, aber L. bringt nichts zur Widerlegung
bei, als daß der Name D. damals nicht feiten war; als
Beleg wird Socr. 42:1 angeführt, wo ein Mönch D. erwähnt
ift, dahinter fleht ,ufw.'; aber mir wenigllens ift nichts
.weiter' bekannt. S. 8, A. 9 ift der literarifche Nachweis
unvollftändig; gemeint ift wohl die Arbeit von Schermann.
S. 27 heißt es: .Wird Didymus fich feine eigenen Werke
haben vorlefen laflenr' Gegenfrage: warum denn nicht?
Selbft lefen konnte er fie ja nicht. S. 92, A. 1 ift der
Hinweis auf die von L. in den .Ägyptilchen Urkunden
aus den kgl. Mufeen zu Berlin, Koptifche Urkunden' I 6,
Berlin 1904, S. 189f. veröffentlichten Bruchftücke aus einer
Engelpreiigt des fynfchen Bifchofs Severianus vonGabala,
des Gegners des Chryfoftomus, zu beachten. S. 100, Z. 2
1. ftovoovOiog ft. fiovovoiog.

Giißen. G. Krüger.

Schiktanz, Kaplan M., Die Hilarius-Fragmente. Dilf. Breslau
, Müller u. Seiffert 1905. (162 S.) 8° M. 2.40

Das Thema für die vorliegende Doktordiffertation
konnte nicht glücklicher gt wählt werden. Die Hilariusfragmente
— fragmenta exlibros. Hilarii Pictavensis ■—
Hellen eine der reichllen und wertvollften Sammlungen
von Uikünden zur Kirchengefchichte von 342 bis 367
dar; Niemand befbeitet das heute, aber nicht bloß der
Text diefer Fragmente befindet fich noch in entfetzlich
bedauernswürdigem Zuftande, über ihre Herkunft, ihre
urfprungliche Geftalt, ihre weitere Gefchichte, fogar über
die Echtheit vieler von ihnen hat fich keine fefte Überzeugung
durchgefetzt.

Schiktanz's Abhandlung zerfällt, von einem 9 Seiten
umfaffenden Anhang abgefehen, in 3 Teile: der erfte be-
fpricht die Überlieferung des Sammelwerks, der zweitegibt
eine Art hiftorifchen Kommentars zu den einzelnen Be-
ftandteilen, der dritte (S. 123—153) entwickelt die Anlichten
des Verfaffers über den Urfprung des Ganzen.
Er verwirft mit Reclit die von Couftant 1693 eingeführte
chronologifche Anordnung der Fragmente (15 Gruppen),
und fieht ein, daß die handfehrifiliche Überlieferung uns
faft zwingt, die Sammlung auf zwei größere Werke zurückzufuhren
; beide fchreibt er dem Hilarius von Poi-
tiers zu. Das in den Manufkripten an erfter Stelle benutzte
hält er für fpäter entftanden, das andere foll Hilarius
noch im letzten Jahr feines Exils 360 in Konftan-
tinopel vollendet haben, eine Warnung der Abendländer
vor der Falfchheit der Hoftheologen Urfacius und Valens;
etwa um Mitte 362 werde er den zweiten Band haben
folgen laffen, um die feit dem Tode des Konftantius lebhaft
einfetzende Bewegung gegen die Befchlüffe von Rimini
zu unterftützen. Von beiden Bänden, die Hieronymus
(vir. ill. 108) noch unverletzt als Uber adversus Valentem
et Ursacium, historiam Ariminensis et Seleuciensis synodi
continens vor Augen gehabt habe, feien uns nur dürftige
Exzeipte, vornehmlich die von dem Verfaffer in feinen
Text aufgenommenen Aktenftücke erhalten; eine Vor-
ftcllung von dem urfprünglichen Zuftand des Buchs ermöglichen
aber die Nr. I und II, die überwiegend freie
Reflexion des Hilarius bieten. Für fpätere Zutaten erachtet
Sch. die Fragmente XII bis XV, die er den Jahren
363—366 (367) zuweifen muß; alles Übrige ift ihm durch
die Autorität des Hilarius gedeckt — vielleicht einige
Exklamationen eines alten Lefers, die vom Rande in den
Text gedrungen find, und die offenkundigen Notizen des
Exzerptors ausgenommen —, und er wagt nirgends an der
Echtheit zu zweifeln.

Im Anhang empfangen wir 4 Liberiusbriefe 'Stadens
paci, Pro deifico timorc, Quia scis, Non doced) in einem
,neuen' Texte; Sch. hat eine neue Handfchrift für unfere
Fragmente entdeckt, bezw. zum erftenmal herangezogen
, den Cod. 483 der Parifer Arfenalbibliothek (nach