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Ausgabe:

1905

Spalte:

633-634

Autor/Hrsg.:

Keßler, L.

Titel/Untertitel:

Vergleichende Religionswissenschaft und Inspiration der heiligen Schrift 1905

Rezensent:

Lobstein, Paul

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kennt. Von der Lotzefchen Philofophie und ihren mancherlei
Ausläufern und verwandten Erfcheinungen foll
gar nicht erft geredet werden.

Eine hübfche Zugabe des Buches find die Porträts
der befprochenen Theologen.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Keßler, L., Vergleichende Religionswiflenfchaft undInlpiration
der heiligen Schrift. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht
1905. (I, 103 S.) gr. 8° M. 2.20
Diefe Schrift will eine weitere Ausführung und eine
umfaffendere Begründung der Gedanken geben, die K.
bereits in früheren Veröffentlichungen vorgetragen hatte:
Das Wunder des Glaubens 1891, Offenbarung und
Wunder 1899, Kaufalität und Wunder 1900, Religiöfe
Wirklichkeit 1903. Die Verfafferin begrüßt mit dankbarer
Freude die Fortfehritte der vergleichenden Re-
ligionswiffenfchaft und ift weit entfernt zu fürchten, daß
diefe junge, zukunftsfrohe Disziplin ,den herrlichen Bau
des christlichen Glaubens' erfchüttern könnte. Im Gegenteil
: fie hofft zuverfichtlich, ,daß die Religionswiffenfchaft
dazu beitragen werde, das religiöfe Wirklichkeitsbewußt-
fein zu Märken, das religiöfe Denken zu neuer Klarheit
zu führen und fo die Verwirrung zu fchlichten, welche
die Bibelkritik zunächft angerichtet hat, und das alles zu
Gunften auch einer Faffung des Infpirationsbegriffs, welche
die Mängel der altorthodoxen Begriffsbeftimmung abtut'
(i—2). Vorliegende Schrift foll die Gründe entwickeln,
die zu folcher Hoffnung berechtigen.

Das in den mitgeteilten Worten formulierte Problem
behandelt K. in acht Kapiteln: Ift Mythologie Naturerklärung
? 5—10, Mythologie ift Naturgefühl 10—21, Bildlichkeit
der naturreligiöfen und der chriftlichen Gotteserkenntnis
21—32, Monotheismus 33—43, Erkenntnis-
theoretifcher Idealismus und chriftliche Glaubenserkenntnis
41—55, Unfterblichkeit der Seele und Auferftehung der
Toten 55—69, Vergleichende Religionswiffenfchaft und
literarifch-hiftorifche Bibelkritik 69—79, Bedeutung der
gewonnenen Ergebniffe für die Infpiration der heiligen
Schrift 79—102.

In diefer, wie in ihren früheren Schriften, macht es
die Verfafferin den Lefern nicht leicht, ihren Ausführungen
zu folgen. Ihre umfaffende Belefenheit läßt fie häufig
der Verfuchung unterliegen, die reiche Fülle ihres Wiffens
in einer Weife zur Geltung zu bringen, die eher ftörend
als fördernd und aufklärend wirkt. Zu oft wird der
Faden der Darftellung abgebrochen, um dann in der
Form von Auseinanderfetzungen mit fremden Anflehten

weitergefponnen zu werden. Diefe ,Anlehnung; an nam- j von vornherein in jhm ..enthaYtens'TFichte"'war'~ weder*

Bewußtfein um die Selbständigkeit feines Glaubens gegenüber
den Ergebniffen der modernen Bibelkritik zu verhelfen
fuchen'. — Ein folches Bestreben verdient die dankbarste
Anerkennung.

Straßburg i. E. P. Lobst ein.

Raich, Dr. Maria, Fichte, leine Ethik und leine Stellung
zum Problem des Individualismus. Tübingen, J. C. B.
Mohr. 1905. (VII, 196 S.) gr. 8° M. 4 —

Sich mit Fichtes Ethik zu befchäftigen, bringt jedenfalls
reichen perfönlichen Gewinn. Es liegt etwas Großes,
Befreiendes und Begeisterndes in dem sittlichen Schwung
und Pathos des Philofophen, in dem fich Kraft und Leben
verkörperte. Zudem fleht die Sittenlehre im Zentrum
von Fichtes System. Nur von hier aus läßt fich das
Ganze der hohen und kühnen Gedankenwelt ermeffen und-
durchdringen. Liebevoll und fleißig hat fich die Verfafferin
der vorliegenden Arbeit eingelebt in Fichtes Eigenart.
So weit ich fehen kann, hat fie die in Betracht kommenden
Schriften Fichtes, fowie Wefentliches aus der Fichteliteratur
forgfältig benutzt.

Die Verfafferin will flüchte und fein philofophifches
System als ein gefchloffenes und ifoliertes Ganzes
betrachten, ohne Rückficht auf den Werdegang und
die hiftorifchen Beziehungen. Mag fein, daß diefe Betrachtungsweife
auch ihr Recht und ihr Gutes hat. Doch
läßt fie fich fchwerlich durchführen. Ein philofophifches
Syftem, wenn es völlig und richtig verftanden werden
foll, läßt fich nicht einfach loslöfen von den pfycholo-
gifchen und zeitgefchichtlichen fl"aktoren, unter deren
Mitwirkung es entstanden ift. Gerade der Aufweis, fowie
die Verfolgung und Würdigung diefer Faktoren er-
fcheint uns als das wiffenfchaftlich Lohnende und Inter-
effante. Eine bloße Darftellung des Materials ift an fich
nichts Neues und Notwendiges. So hat fich die Verf.
von vornherein ihre Arbeit leicht gemacht, deren wiffen-
fchaftlicher Wert dadurch gemindert ift. Doch hat fie
ihrer urfprünglichen Abficht nicht ganz treu bleiben
können. In den Mittelpunkt der Unterfuchungen trat die
Frage nach der Stellung Fichtes zum Problem des Individualismus
. Hier mußte doch wenigstens auf des Philofophen
inneren Werdegang Bedacht genommen werden.
Die Verf. kommt zu dem Refultat, daß es fich in den
verfchiedenen Phafen der Philofophie Fichtes nicht um
Umbildungen oder Neubildungen handle, fondern um
eine Ausbildung und Auswicklung der urfprünglich vorhandenen
Prinzipien. ,Der objektive Idealismus kommt
bei Fichte zum fubjektiven nicht neu hinzu, fondern ift

hafte theologifche oder philofophifche Autoritäten beeinträchtigt
die Wirkung des Dargebotenen, um fo mehr als
die Verfafferin durchaus imstande ist, im eigenen Namen
zu fprechen und felbftändig ihre Sache zu führen.

Der Grundgedanke, der fämtliche Ausführungen be-
herrfcht, ift die Unterfcheidung zwifchen dem Kaufalitäts-
prinzip als dem Prinzip der wiffenfehaftlichen Welterkenntnis
und der in der Religion gültigen ,bildlichen
Identitätserkenntnis'. In der Art, wie K. den Satz von
der Bildlichkeit aller religiöfen Eikenntnis vertritt, knüpft
fie an den von ihr hochgefchätzten De Wette an und
berührt fich in manchen Punkten mit Lipfius und A.
Sabatier. Weniger klar und überzeugend ift der Zu-
fammenhang diefer Auffaffung mit dem Infpirationsglau-
ben, welchen die Verfafferin auf ihren rein religiöfen Kern
zurückzuführen strebt.

Der Wert der Schrift liegt weniger in der Durchführung
eines Prinzips — der Mangel an straffer, innerer
Gefchloffenheit ift nicht feiten fühlbar, — als in den oft
feinen und finnigen Einzelbemerkungen, vor allem in dem
zugleich freien und pietätvollen Geift, der das Ganze
durchweht: tapfer und fiegesgewiß reiht fich die Verfafferin
zu denen, die ,dem Gläubigen zu einem klaren

Individualift, noch Sozialift, fondern Verkündiger objektiver
Werte'.

Hätte die Verfafferin diefe Thefe mit den darin aufgegebenen
Problemen zum klaren Ausgangspunkt ihrer
Unterfuchungen genommen und darnach ihren Stoff in
straffer und fyftematifcher Zufammenfaffung geregelt, fo
wären manche umständliche und überflüffige Breiten der
Darftellung zu vermeiden gewefen. Zugleich würde die
Gefamtarbeit dadurch übersichtlicher und wirkungsvoller
geworden fein.

Stettin. Lul

mann.

Foerlter, Erich, Die Entltehung der preußilchen Landeskirche
unter der Regierung König Friedrich Wilhelms des
Dritten nach den Quellen erzählt. Ein Beitrag zur
Gefchichte der Kirchenbildung im deutfehen Protestantismus
. Erster Band. Tübingen J. C. B. Mohr 1905.
(XV, 428 S.) gr. 8° M. 7.6b; geb. M. 9 —

Der vorliegende erste Band des auf 2 Bände berechneten
Werkes enthält eine gefchichtliche Darfteilung des
altpreußifchen evangelifchen Kirchenwefens vom Aus-