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Ausgabe:

1905 Nr. 23

Spalte:

632-633

Autor/Hrsg.:

Zöckler, Otto

Titel/Untertitel:

Die christliche Apologetik im neunzehnten Jahrhundert 1905

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 23.

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gik als auch aus gefchichtlichen Erwägungen in be- j hat mich auch beim Fortfehreiten der Lektüre der Ton,
zug auf die Weife, wie die einzelnen Thefen zuftande j in welchem das Buch gefchrieben ift, nicht mehr gehört,
gekommen find. Nicht feiten find es wörtlich wieder- Er war in der Tat durch den Inhalt gefordert,
gegebene Sätze von Gegnern, die einfach in den Rahmen Berlin A Harnack

diefer Verurteilungen eingeheilt find, und diefe Gegner

waren liberale romanifche Katholiken mit febronianifchen Zöck,er, Otto, Die chriftliche Apologetik im neunzehnten

gallikanuchen etc. Grundfatzen (Vigil in Lima, Nuytz 1 . . , . . T , .... , ,., ,

in Turin), bez. die liberalen Staatslenker von Mexiko j Jahrhundert. Lebensbilder und Charaktenhiken deut-
und Neu-Granada! Ihre fehr konkreten und jeder Form fcher evangehfeher Glaubenszeugen aus der jünghen
des römifchen Katholizismus feindlichen Abfichten mühen | Vergangenheit. Erweiterter und mit den Bildniffen

als Obertöne bei der Würdigung des Syllabus mitgehört
werden. Aus einer ganz behimmten Situation heraus
, die für die römifche Kirche wirklich höchh gefährlich
war, ih der Syllabus alfo zu erklären. Die Schwierigkeiten
lagen in den romanifchen Ländern, in dem alten
Herrfchaftsgebiet der Kirche; fie lagen nur zum klein-

der behandelten Theologen verfehener Abdruck aus
Jahrgang 1903 und 1904 des ,Beweis des Glaubens'.
Gütersloh C. Bertelsmann. 1904, (VII, 123 S.) gr. 8°

M. 2.50; geb. M. 3.50
Vierzehn Auffätze, die feinerzeit im ,Beweis des Glau-

hen Teile in Deutfchland. Aber wenn man das auch j bens' erfchienen waren, find hier in etwas erweitert und
würdigt, fo bleibt der Syllabus doch ein höchh Unglück- : zu einem Buch zufammengefaßt worden. Was he dar-
liches und — auch vom Standpunkt der univerfalen | bieten wollen, find Lebensbilder und Charakterihiken
römifchen Kirche — verhängnisvolles Schriftftück. Man j von Männern, die im letzten Jahrhundert mit .apologe-
muß vor allem zwei Vorwürfe gegen ihn erheben: feine j tifcher Geihesarbeit' für die Sache Chrihi tätig gewefen
Urheber haben, eine partikulare Situation zur Unterlage ] find und die, fei es als Lehrer, fei es fonhwie, mit dem
für eine generelle Kundgebung machend, die Entwick- Verf. in perfönlicher Beziehung gehanden haben. Dem-

lung der Kirche — trotz der bloß negativen Sätze —
mit fchweren Lahen beladen, und fie haben diefer ihrer
Kundgebung durch den Umfang, die Art der Zufammen-
hellung und den ganzen Aplomb eine Formulierung gegeben
, daß fie jetzt und in alle Zukunft als ein generelles
Manifeh gegen die geihigen und freiheitlichen Errungen-

gemäß kommen folgende protehantifche Theologen zur
Befprechung: Henghenberg, Tholuck, Hofmann, Beck,
Ebrard, J. A. Dorner, Zezfchwitz, Delitzfch, Grau, Frank,
Kübel, Luthardt, H. Schultz, Cremer. ,Auf lückenlofe
Vollfiändigkeit in Vorführung der zu betrachtenden Er-
fcheinungen' ift es dabei ebenfowenig abgefehen, wie auf

fchaften der letzten zwei Jahrhunderte verftanden werden I die Lieferung abgerundeter Lebensbilder oder eingehen

wird. Verftanden — nein, mißverftanden, wendet man
ein! Gut, zum Teil mißverftanden; aber welchen Wert
hat ein kirchliches Aktenftück, welches den Exegeten
entweder zum Sophiften macht oder ihm den Schein
des Sophiften aufzwingt und welches fowohl von den
Liberalen als auch von Jefuiten, wie Biederlack, in gleicher
Weife mißverftanden wird! Entweder wollten die
Urheber des Syllabus diefes ,Mißverftändnis' neben dem
,Verftändnis' ■— das wäre nicht ungewöhnlich —, oder
fie waren kurzfichtige und blinde römifche Prälaten, ohne
tiefere Kenntnis der wirklichen europäifchen Kulturbewegung
, den erhabenen Staatslenkern von Mexiko und
Neu-Granada völlig ebenbürtig, Europa vorfchreibend,
was vielleicht noch für jene exotifche Länder erträglich
war.

Doch ich muß noch einmal zu dem Verfaffer zurückkehren
. Ich habe gerne anerkannt, daß er mit feiner
.milderen' Interpretation in vielen Fällen im Rechte ift;
aber die .mildere' Interpretation ift an fich kein Zeichen

der literarifcher Kritiken'. Im großen und ganzen begnügt
fich der Verf., den Entwicklungsgang der von ihm
auserwählten Theologen kurz zu befchreiben und dann
diejenigen ihrer Werke, die ihm aus irgend einem Grunde
apologetifch bedeutfam erfcheinen, mit wenigen Worten
zu kennzeichnen. Befonders liebevoll ausgeführt dünken
den Referenten Skizzen wie die von Beck, Grau, Cremer.
Im übrigen richtet fich die Beurteilung der einzelnen
wefentlich nach deren Stellungnahme innerhalb der theo-
logifchen Parteien der Gegenwart.

Daraus allein wird man dem Verf. fchwerlich einen
bitterenVorwurf machen dürfen: das ift menfehlich oder doch
leider vielfach üblich. Bedenklicher ift es, daß der Kampf
der einen theologifchen Richtung gegen die andere, fpe-
ziell gegen die Wellhaufenfche Theorie und die Ritfchl-
fche Schule, unter die apologetifchen Leiftungen eingereiht
wird, während er tatfächlich höchftens unter die
Rubrik .Polemik' aufgenommen werden könnte. Mag
immerhin der Autor dem Pietätsbedürfnis nachgeben,

von Unparteilichkeit des Verfaffers, da fie ihm willkom- verftorbenen Freunden, die mit ihm eine gleiche Auf
men ift, und die Art, wie er nun fchlechthin jeden Satz faffung ftreitbar verfochten haben, in feiner Schrift

des Syllabus zu verteidigen weiß und an dem Schrift-
ftück von keinem Standpunkt aus und in keiner Hinficht
etwas Tadelnswertes oder auch nur Befremdliches
findet, zeigt, daß hier jene Apologetik getrieben wird,
diebefchwichtigen und imponieren, aber nicht aufklären will.
Man lefe, um nur einen Abfchnitt herauszugreifen, was
der Verfaffer zur23.Thefe des Syllabus (S. 128 ff.) bemerkt
hat {,Romani Pontifices et concilia a limitibus suae po-
testatis recesserunt, jura prineipum usurparunt etc.'). Was

ein Denkmal zu fetzen: der Gefamttitel, den diefe erhalten
hat, ,die chriftliche Apologetik im 19. Jahrhundert'
bedeutet unter allen Umftänden einen Hörenden Fehler. Er
deckt vieles nicht, wasdas Buch enthält; und er erweckt Erwartungen
, die nicht erfüllt werden. Oder haben nicht
auch Anhänger der Wellhaufenfchen Theorie uns großartige
und intereffante Werke apologetifchen Charakters
gefchenkt? Man denke, um bloß eins anzuführen, an
Kuenens .Volksreligion und Weltreligion'. Verdankt nicht

er hier ausführt, was er verfchweigt, wie er die Frage 1 die Theologie A. Ritfchls vorwiegend apologetifchen

auf ein anderes Gebiet überführt, das ift alles in gleicher Beftrebungen ihren Urfprung? Streite man immerhin

Weife charakteriftifch und lehrt uns — wenn wir es über ihren Wert, wenn man will; aber man leugne doch im

nicht fchon gewußt hätten —, daß der Verfaffer ebenfo | Interefie einer gefunden und fruchtbaren Diskuffion diefe

voreingenommen und ,entfchloffen' ift, wie feine extremen ihre Eigenart nicht.

romanifchen Brüder, von denen er an einigen Stellen in Und dann noch eins: der Verf. fchätzt augenfehein-
feinem Buche leife abrückt, obgleich er fich nicht fehr erheb- lieh die .moderne Philofophie' lediglich als Gegnerin des
lieh von ihnen unterfcheidet. Zu den .deutfehen'Katholiken Chriftentums ein. Ift das gerechtfertigt? ift nicht beikann
man den Verfaffer nicht rechnen. Ich habe von fpielsweife der Neukantianismus auch durchaus modern
dem Geifte deutfeher theologifcher Wiffenfchaft, wie und hat er nicht hunderten unferer Gebildeten den Zu-
er heute unter katholifchen Gelehrten bei uns zu finden gang zur Religion erleichtert? Das möchte doch nur
ift. von feiner Unparteilichkeit und Gerechtigkeit, in | leugnen, wer die Gefchichte des geiftigen Lebens in
diefem Werke keinen Hauch verfpürt. Eben deshalb j Deutfchland während der letzten fünfzig Jahre nicht