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Ausgabe:

1905 Nr. 23

Spalte:

627-629

Autor/Hrsg.:

Bliemetzrieder, Franz

Titel/Untertitel:

Das Generalkonzil im großen abendländischen Schisma 1905

Rezensent:

Beß, Bernhard

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 23.

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Lei pol dt. Johannes, Sai'difche Auszüge aus dem 8.
Buche der Apoftolifchen Konftitutionen. (Texte und
Unterfuchungen zur Gefchichte der altchriftlichen
Literatur. Herausgegeben von O. v. Gebhardt und
A. Harnack. Neue Folge — Elfter Band, Heft ib.)
Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung 1904. (61 S.)
gr. 8" M. 2 —

Der Verfaffer fchenkte uns erft vor kurzem in feinem
Schenute von Atripe aus der koptifchen Literatur ein
prächtiges Bild des ägyptifchen Mönchslebens; hier gibt
er aus denfelben Quellen einen wichtigen Beitrag zur
Frage der Apoftolifchen Konftitutionen. Er überfetzt
aus Lagardes Aegyptiaca einen Auszug des 8. Buches
ins Deutfche, und (teilt feft, daß deffen Varianten gegenüber
dem üblichen Text von Bedeutung find: fie weifen
auf eine ältere Textgeftalt des 8. Buches, fo wie ich es
fchon feinerzeit in der Zeitfchr. f. Kirchengefch. Bd. XV
vermutet hatte. Damit haben wir einen neuen Beweis
für die allmähliche Entftehung des 8. Buches, und den
Belegen, die ich in der Prot. Real-Enc. I3 738 dafür anführte
, find aus Leipoldts Unterfuchung einige neue und
befonders wichtige nachzutragen. — Im zweiten Teil
feines Schriftchens gibt er Text und Überfetzung einiger
koptifcher Blätter aus einer Parifer Handfchrift, die
wiederum neue und interefiantc Varianten desfelben Textes
bringt, und er meint (S. 40), daß ein fyrifcher Text,
der längft in mehreren Handfchriften nachgewiefen ift,
nicht minder lehrreich fein werde. Und fo wird es fein.
Je mehr Material an die Apoftolifchen Konftitutionen
herangebracht wird, defto komplizierter wird die Frage.
Ihren künftigen Herausgeber erwartet hier die große Aufgabe
, zu zeigen, unter welchen Bedingungen fich der
Text des 8. Buches verändert hat. und wie die kirchlichen
Gruppen des Orients, die bald zu Landes- und
Nationalkirchen wurden, fich zu den verfchiedenen Re-
zenfionen verhielten.

Der Herr Verf. befitzt die Vielfeitigkeit, die für Arbeiten
auf diefem Gebiet erforderlich ift. Er weiß die
wichtigen Texte aus der koptifchen Literatur herauszufinden
, und gibt fie uns in lesbarer Überfetzung; er hat
nicht minder Sinn für die kritifchen Probleme, und befitzt
eine ausgefprochene Begabung für hiftorifche Dar-
ftellung. Möge er uns noch öfter durch Beiträge aus
der koptichen Literatur erfreuen.

Königsberg. H. Achelis.

Bliemetzrieder, D. Franz, Das Generalkonzil im großen
abendländifchen Schisma. Paderborn F. Schöningh.
1904, (XII, 348 S.) gr. 8. M. 8 —

Als die franzöfifchen Kardinäle anfingen, die Rechtmäßigkeit
der Wahl Urbans VI. anzufechten, da waren
es die drei italienifchen Kardinäle Peter Corfini, Simon
de Borfano und Jakob Orfini, welche fofort auf ein Generalkonzil
als die im kirchlichen Recht gegebene Instanz
hinwiefen. Seitdem ift diefer Vorfchlag während
des Schisma nicht wieder verftummt. Auf das heftigfte bekämpft
von den Juriften, die aus dem Buchftaben der
kanonifchen Vorfchriften die Unmöglichkeit eines papft-
lofen Konzils folgerten, ift er immer wieder von den
Theologen verteidigt worden auf Grund einer freieren
Doktrin über das Verhältnis von Kirche und Papfttum.
Konrad von Geinhaufen und Heinrich von Langenftein,
fpäter Peter von Ailli und Johannes Gerfon find es, die
nachdrücklich und einmütig dafür eingetreten find, alle
vier der Parifer Univerfität angehörig. Diefe kann überhaupt
als der Herd für alle auf Befeitigung des Schismas
gerichteten Beftrebungen angefehen werden. Aber gerade
hier wurde die via concilii bald nach der Wahl Benedikts
XIII. ganz zurückgedrängt von der ,via cessionis'
und dem hierfür erfundenen Zwangsmittel, der pubttactio

obedientiae'. Allein als fich die Fruchtlosigkeit diefer
Politik in Frankreich, wo man 1398 auf der großen Parifer
Nationalfynode zur Tat übergegangen war, immer
deutlicher herausstellte, da gewann der Konzilsgedanke,
| den auch die Radikalen niemals ganz hatten fallen laffen,
wieder die Oberhand, zunächft in den Vorfchlägen zu
einem Generalkonzil der einzelnen Obedienzen. Aber
fchon der Verfuch Innozenz' VII. im Jahr 1405 brachte
diefen Vorfchlag in Mißkredit. In Frankreich fiegte
i wieder die ,via cessionis1, und feit der Wahl Gregors XII
knüpften fich die Hoffnungen an eine Zufammenkunft
der beiden Päpfte mit gleichzeitiger Abdankung. Indeffen
i fehr bald zeigte fich, daß es weder Gregor XII, noch
I Benedikt XIII fehr ernft damit war. Die Ungeduld, die
I in Frankreich auf dem Siedepunkt angelangt war, teilte
i fich auch den Kardinälen Gregors mit. Sie machten
nun Gebrauch von dem franzöfifchen Zwangsmittel der
Obedienzentziehung und trennten fich von ihrem Papft.
In Livorno trafen Deputationen der zwei Kardinalskollegien
zufammen. Aber hier kam nun wiederdank dem ent-
1 fchiedenen Auftreten der avignonefifchen Deputierten (?)
der Gedanke eines Generalkonzils beider Obedienzen
zum vollen Sieg. In dem von den vereinigten Kardinälen
j berufenen Pifaner Konzil ift er verwirklicht worden, und
zu feiner Rechtfertigung find nun auch eine Anzahl der
gelehrtesten Kanonilten von der altehrwürdigen Rechts-
1 Schule in Bologna aufgetreten.

Das ift in großen Zügen die Entwickelung, welche
[ der Verf. darzustellen unternommen hat. Mit großem
! Fleiß hat er fich in die Traktatenliteratur des Schisma
j hineingelefen, und die Anmerkungen, welche mindestens
| die Hälfte des Buches ausmachen, bieten eine reichliche
Blütenlese daraus. Daneben ift die Literatur bis in
die neuefte Zeit verwendet worden. Aber diefem Auf-
i gebot von Fleiß und Gelehrsamkeit entspricht doch das
I Refultat nur in geringem MaSS. Daß es nach den glänzenden
und zum Teil bis in die kleinsten Details gehenden
Vorarbeiten auf diefem Gebiet nunmehr darauf ankam
, fcharf darzulegen, welche Bestimmungen in dem
J kanonifchen Recht der Zeit für den Fall einer zweifel-
i haften Papftwahl und eines daraus entstandenen Schismas
vorlagen, hat der Verf. felbft erkannt, aber er ift über
gelegentliche Hinweife in den Anmerkungen nicht hinausgekommen
. So ift es ihm auch nicht gelungen, eine
wirkliche Entwickelung des Konzilgedankens klarzulegen
und die verfchiedenen nacheinander auftauchenden Programme
begrifflich zu fondern und zu gruppieren. Das
aber Sollte doch der eigentliche Zweck feiner Arbeit
fein, wenn anders fie nach dem Werk von Valois noch
I einen Anfpruch auf Dafeinsberechtigung erheben wollte.
Zahlreiche Verftöße gegen elementare Regeln der deutschen
Sprache laffen aber auch darauf fchließen, daß dem
Verf. die Fähigkeit abgeht, in diefer Sprache fich
klar und fcharf auszudrücken; er hätte vielleicht beffer
getan, die ihm wahrfcheinlich geläufigere Sprache feiner
Quellen auch für die Darstellung zu wählen. Sowohl
I feine gewiß berechtigte Polemik gegen Kneers Herab-
fetzung der Verdienste Heinrichs von Langenftein, als
! feine beachtenswerte, fatt enthufiaftifche Apologie des
Pifaner Konzils gegen Ludwig Paftor find unklar und
I verfchwommen. In dem § 2 des 2. Abfchnitts, welcher
,die Wendung', d. h. das allmähliche Emporfteigen des
I Konzilgedankens in den Jahren 1390—1404 darstellen foll.
mich zurecht zu finden, ift mir nicht gelungen. Die Registrierung
der verfchiedenen in dieSen Jahren gemachten
Vorfchläge Sieht fo vollständig von dem tatsächlichen
Verlauf der Ereigniffe, an den fich fonft der Verfaffer
leider zu fehr hält, ab, daß noch nicht einmal die Subtraktion
gegen Benedikt und feine Einfchließung in
I Avignon erwähnt wird. Ein Konzentrationspunkt für alle
Richtungen, auch der kleinsten Nuancen, war die Parifer
Nationalfynode von 1398. Von ihrem Verlauf erfahren
! wir fo gut wie nichts, und doch hätte fich hier eine