Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1905 Nr. 22

Spalte:

588-589

Autor/Hrsg.:

Vollmer, Hans

Titel/Untertitel:

Jesus und das Sacaeenopfer. Religionsgeschichtliche Streiflichter 1905

Rezensent:

Schürer, Emil

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

5»7

Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 22.

588

dargeboten wird. Auch in diefer neuen Bearbeitung
ift es dem Verf. nicht um eine erfchöpfende Behandlung
des Gegenftandes, fondern nur um Vorführung der wich-
tigfien Tatfachen zu tun. Namentlich will er, wie der
Titel andeutet, die Entftehung und Entwicklung des An-
tifemitismus im Altertum aufzeigen. Er geht davon aus,
daß die Griechen bei ihrer erflen Berührung mit den
Juden keinen ungünfligen Eindruck von diefen hatten,
wie die Urteile des Klearchos, Megaflhenes und Theo-
phraftos zeigen. Die bildlofe monotheiflifche Gottesverehrung
ließ ihnen die Juden als die cpiXoöocpoi staga
2vgoiq erfcheinen (Arifloteles nach dem Berichte des
Klearchos bei los. c. Apion. I, 22, 179). Erft feitdem
die Juden in Ägypten fich in größerer Zahl niedergelaffen
hatten, entftand der Antifemitismus, deffen ältefler Zeuge
Manetho ift. Neue Nahrung erhielt die judenfeindliche
Stimmung aber durch die Steigerung der exklu-
fiven Richtung im Judentum, welche die Folge des brüsken
, Vorgehens des Antiochus Epiphanes war. Das Judentum
war auf dem heften Wege, wie alle andern Religionen
, mit der helleniftifchen Weltbildung fich zu ver-
fchmelzen. Da hat das gewaltfame Eingreifen des Antiochus
Epiphanes eine Reaktion hervorgerufen, welche
die Eigenart des Judentums nicht nur gerettet, fondern
ihm auch jene abflößende Form gegeben hat, vermöge
deren es die Abneigung, ja den Spott der heidnifchen
Welt hervorrief. Nun trieb der Antifemitismus immer
neue Blüten. Leichtfertige Literaten produzierten die
törichtften Legenden über die Gefchichte und die
Sitten der Juden, und ernfthafte Schriftfteller fprachen
fie ihnen nach. Die Behörden der Städte, in welchen
zahlreiche Juden wohnten, fuchten die aus der befferen
Anfangszeit flammenden Rechte der Juden zu fchmälern,
und der Pöbel war geneigt, bei paffender Gelegenheit
mit roher Gewalt über fie herzufallen. Dies alles wird
von Stähelin in treffender und anfchaulicher Weife ge-
fchildert. Er fchließt mit der Bemerkung, daß das Chri-
ftentum an der Entftehung des Antifemitismus nicht den
geringften Anteil habe. Er ift eine Erfcheinung, die weit
älter ift als das Chriftentum. Sogar die lächerliche Sage
vom jüdifchen Ritualmord ift bereits eine Erfindung der
vorchriftlichen griechifchen Literaten (S. 31).

Es liegt in der Natur der Sache, daß St. bei einem
fo viel behandelten Gegenftande nichts wefentlich Neues
vorbringen konnte. Aber es erfcheint hier doch Manches
in neuer Beleuchtung, und es ift der gründlichen
Sachkenntnis des Verf. gelungen, zuweilen auch neue
Einzelheiten beizufteuern. Vermißt habe ich namentlich
eine ausgiebigere Benützung der römifchen Satiriker
(Horaz, Perfius, Martial). Der Verf. behandelt die Legenden
der griechifchen Literaten viel eingehender als
die antijüdifche Stimmung der römifchen Welt. Bei
kürzerer Behandlung jener hätte mehr Raum für diefe
gewonnen werden können.

Im kritifchen Urteil hätte St. fich noch etwas mehr
von Willrich unabhängig machen dürfen. So hat mich
namentlich gewundert, daß er Willrichs Vermutung einleuchtend
findet, die von Agrippa dem Caligula überreichte
Bittfchrift zugunften der alexandrinifchen Juden
habe (das von Jofephus uns überlieferte) ,Aktenmaterial
aus Alexandria, Afien und Jerufalem enthalten' (S. 42
Anm.) Schlechthin entfcheidend gegen diefe /Vermutung
' ift ja, daß unter den von Jofephus angeblich aus
Agrippas Schrift entnommenen Urkunden fich gar keine
auf Alexandria bezügliche befindet, dagegen recht viele
auf Klein-Afien bezügliche, die den alexandrinifchen Juden
nichts helfen konnten. Auch eine Phantafie Schlatters
ift S. 36 — ich kann nur fagen: kritiklos — aufgenommen1
).

') Die Juden Collen in Ägypten ein ,Papyrusmonopol' befeffen haben
(Stähelin fpricht fogar von einem ,Monopol des Papyrushandels').
An der Stelle Strabos, auf welcher diefe intereffante Entdeckung beruht
(XVII, 1, 15, p. 800), ift nur gefagt, daß die Papyrus-Pflanzer im untern

Das zweimal (S. 15 Anm. und S. 54 Anm.) vorkommende
caput asinium, ftatt asininum, fcheint mehr Schreibais
Druckfehler zu fein. — S. 10 hätte bei der Literatur
über Manetho auch Marquardt, Philologus, Suppl. VII,
1899, S. 667 — 693, genannt werden dürfen. — Die In-
fchriften S. 9 Anm. 1 und S. 15 Anm. flehen jetzt auch
in dem erft gleichzeitig mit Stähelins Schrift erfchienenen
zweiten Bande von Dittenberger, Orientes graeci inscr. sei.
n. 726. 737.

Göttingen. E. Schürer.

Vollmer, Lic. Tl., Jefus und das Sacaeenopfer. Religions-
gefchichtliche Streiflichter. Gießen, A. Töpelmann
1905. (32 S.) 8° M. — 60

In diefem Vortrag bietet Vollmer in breiterer populärer
Form im Wefentlichen dasfelbe, was er kürzer
und unter Mitteilung des gelehrten Materiales auch in
der ,Zeitfchr. für die Neuteftamentl. Wiffenfchaft' 1905,
Heft 2, S. 194—198 ausgeführt hat. Die Abhandlung
von Reich: ,Der König mit der Dornenkrone' (f. Theol.
Litztg. 1905, Sp. 230) hat ihn veranlaßt, dem Problem der
Verfpottung Jefu durch die Soldaten aufs Neue nachzugehen
. Da ift er durch Wetfteins Nov. Test. I, 533
auf eine Stelle bei Dio Chryfoftomus {de regno IV,
p. 76 ed. Dindorf) aufmerkfam geworden, in welcher
diefer ein Feft der Saken, eines fcythifchen Volkes,
das bei den Persern gefeiert wurde {zfjv zmv 2axmv1
logzrjv, rjv Iltgßai ayovaiv) folgendermaßen befchreibt:
,Man fetzt einen zum Tod verurteilten Gefangenen auf
den Thron des Königs, gibt ihm das königliche Gewand,
geblattet ihm, zu befehlen und zu trinken und zu fchwelgen
und die Kebsweiber des Königs zu gebrauchen, und Keiner
hindert ihn, zu tun, was er will. Darnach zieht man ihn
aus, geißelt ihn und verbrennt ihn'. Auch Strabo XI,
p. 512 erwähnt ein bei den Perfern gefeiertes Feft der
2a.xa.La, welches Cyrus eingeführt habe zur Erinnerung
an einen Sieg über die durch Lift betrunken gemachten
Saken. Strabo befchreibt es als ein bacchantifches, erwähnt
aber nichts von den Spezialitäten des Dio Chryfoftomus
. Etwas mehr berührt fich mit der Befchreibung
Dios die von Athenäus XIV, 44 p. 639c nach Berofus
und Ktefias gegebene: Am Feft der Sakaeen werden die
Herren fünf Tage lang von den Sklaven beherrfcht; einer
von ihnen regiert das Hauswefen, indem er ein Gewand,
gleich dem des Königs, anzieht. Mehr weiß auch diefer
nicht. — Ähnliche Gebräuche wie die von Dio befchrie-
benen follen aber bei der militärifchen Feier der römifchen
Saturnalien vorgekommen fein, wenn man den von
Cumont herausgegebenen Märtyrer-Akten des Dasius
(t 3°3) glauben darf {Analecta Bollandiana XVI, 1897,
p. 5—16; abgedr. bei Knopf, Ausgewählte Märtyrerakten
1901, S. 86—90). Hiernach foll ein Soldat zum Saturnalienkönig
gewählt worden fein, der fich eine Zeit lang
einem üppigen Leben hingeben durfte und dann sich als
Opfer für Kronos darbrachte, indem er durchs Schwert
getötet wurde. Gegen Cumont, der wegen der Unwahr-
fcheinlichkeit des Menfchenopfers in fo fpäter Zeit einen
Fehler der griechifchen Überfetzung des lateinifchen Originals
annahm, hat ParmentierjÄVzv/z- de P/iilol.XXl, 1897,
p. 143—149) die Glaubwürdigkeit der Erzählung verteidigt
. Cumont hat ihm dann zugeftimmt (ebendaf. p. 149
—153) und Wendland hat auf diefen Gebrauch hinge-
wiefen, um daraus die Szene der Verfpottung Jefu Chrifti
durch die Soldaten zu erklären (Hermes XXIII, 1898,
S. 175—179). Indem Vollmer fich im wefentlichen an
Wendland anfchließt, hebt er namentlich den von Dio
Chryfoftomus erwähnten Brauch bei den Sakaeen als

Delta den Wert durch fpärlichen Anbau künftlich fteigern, wie es die
Juden in betreff der Datteln machen. Von einem ,Monopol' ift alfo gar
nicht die Rede, und die Papyrus-Pflanzer werden von den Juden deutlich
unterfchieden (II)

1) Die Änderung Saxaiwv ift unnötig.