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Ausgabe:

1905 Nr. 21

Spalte:

576-577

Autor/Hrsg.:

Espenberger, Joh. Nep.

Titel/Untertitel:

Die apologetischen Bestrebungen des Bischofs Huet van Avranches 1905

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 21.

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Kiefl, Lyc.-Prof. D. Dr. F. X., Der Friedensplan des Leibniz
zur Wiedervereinigung der getrennten chriftlichen Kirchen

aus feinen Verhandlungen mit dem Hofe Ludwigs XIV.,
Leopolds I. und Peters des Großen dargeftellt. Paderborn
, F. Schöningh 1903. (XII, XLIII, 253 S.) gr. 8°

M. 6 —

Die Summe von Geift und Kraft, welche der große
Hannoverfche Philofoph dem Problem der Wiedervereinigung
des katholifchen und evangelifchen Kirchen-
wefens gewidmet hat, ift fo bedeutend, daß lie allein weit
über das Mittelmaß der Lebensleiftung gewöhnlicher Arbeiter
hinausgeht. Obwohl felbftverftändlich die Reunions-
beftrebungen in jeder Darftellung von Leibniz' Perfon
und Werk eine hervorragende Stelle einnehmen, fo ift
doch eine fpezielle Unterfuchung, zumal wenn fie fo unermüdliche
Hingabe an den Gegenftand und fo Sorgfältige
Methode wie die des Paffauer Lycealprofeffors
aufweift (der übrigens jüngft zum Bifchof von Würzburg
gewählt und ernannt worden ift), willkommen. Denn in
jedem Falle geht das an fie ftch knüpfende Intereffe über
den Umkreis des lediglich Perfönlichen hinaus. Der Gedanke
liegt für jene Zeit gewiffermaßen in der Luft —
genauer: die Verhältniffe nach dem 30jährigen Kriege
haben den Wunfeh einer Reunion auf beiden Seiten zur
Reife gebracht —, und was dem geiftigen Kampfe, der
nun vor unfern Augen vor fich geht, feine einzigartige
Bedeutung verleiht, ift die Tatfache, daß die hervor-
ragendften Vertreter auf beiden Seiten, gegenüber einem
Leibniz ein Boffuet, in die Arena treten. Daß auch deren
Leiftungen die Sache felber nicht haben zum Ziele führen
können, liegt, wie das Kiefl in dem ,Vorwort' S. ******
vorausfehickt, darin, daß hier im tiefften Grunde Autorität
in Glaubensfachen und Vernunft fich entgegentreten
, für die vergebens ein Ausgleich gefucht wird.
Man kann dem beiftimmen, wenn man ,Vernunft' in dem
Sinne faßt, welchen Leibniz felber in dem Worte findet —
aber man wird ernftlich Einfprache erheben müffen gegen
die Art, wie eben an jener Stelle der Verf. den Gegen-
fatz konftruiert, fofern er den von L. eingenommenen
Standpunkt als den eines Radikalen Abfalls vom
Chriftentum' charakterifiert. Könnte man davon ab-
fehen — was freilich untunlich ift, da nun einmal damit
die religiöfe Stellung des Philofophen einfeitig und übertreibend
charakterifiert wird —, fo würde man dem Verf.
zugeftehen, daß feine Darlegung eine adäquate,Würdigung
der religiöfen Perfönlichkeit des Leibniz' darbiete.

Trotzdem wird man die forgfältigen und nach manchen
Seiten hin unfere Kenntnis wefentlich erweiternden
Ausführungen mit Nutzen ftudieren. Schon die ,Einleitung
', die eine gefonderte Paginierung erhalten hat
(I—LXXXXI), gibt eine inftruetive Unterfuchung über
,die äußere Entwicklung der Reunionsidee im Leben des
Leibniz'. Mit Recht hebt K. gegenüber Guhrauer, O.
Klopp u. a. hervor, daß diefe ,Idee' in L. viel früher er-
wachfen ift, als ihm am Hannöverfchen Hofe der Wunfeh
einer Reunion nahe trat, und gibt dann eine Gefchichte der
Verhandlungen mitPeliffon, dem Vertreter Ludwigs XIV.,
mit Boffuet und Spinola. Als Kuriofttät wird es er-
fcheinen, wenn K. aus Briefen des Philofophen nachweift
(vgl. XVIII, S. LXXXVII ff.), daß diefer fchließlich an den
am nordifchen Himmel aufgehenden Stern, nämlich Peter
den Großen, feine Hoffnung knüpfte, derfelbe könne veranlaßt
werden, ein ,Weltkonzil' zur Beilegung der kirchlichen
Trennungen zu berufen — jedenfalls zeigt dies,
daß um 1713, wo L. fich mit folchen Utopien trägt, jede
Hoffnung auf Gelingen des urfprünglichen Planes ge-
fchwunden war.

Diefer Plan nun wird fehr eingehend in zwei Hauptteilen
von K. entwickelt. ,Die prinzipiellen Voraus-
fetzungen' behandeln zunächft den Kirchenbegriff im allgemeinen
, d. h. den Leibniz'fchen. Als deffen Zentrum

wird allerdings die ,Unfehlbarkeit der Kirche' aufgeftellt —
aber eine folche, die in ihrem Bereich viel enger ift, als
der Katholizismus denfelben zieht, nämlich fich lediglich
auf das Heilsnotwendige erftreckt. Wenn fchon bei diefer

| Faffung eine Verftändigung fchwierig, aber doch nicht
undenkbar wäre, fo glaubt K. noch tiefer dringen und

I das eigentlich und unbedingt Scheidende darin erblicken
zu müffen, daß ,Leibniz philofophifch auf dem Standpunkte
der Vernunftreligion ftand und in diefer die höhere
Einheit der in fich unvereinbaren kirchlichen Gegenfätze
erblickte', während ,eine unfehlbare Kirche nur eine Stelle
hat im Syftem einer Offenbarungsreligion' (S. 4 f.). Man
mag das Letztere zugeben, wird fich aber doch um der
Wahrheit willen hüten müffen, das vorangehende Urteil
über Leibniz fo zu verftehen, daß es fich inhaltlich mit
der obigen fchroffen Beurteilung aus dem Vorwort deckt.

Im zweiten Teil werden dann ,die tatfächlichen Forderungen
' behandelt (S. 104—202), d. h. zunächft wird im
erften Abfchnitt die Debatte über das Trienter und das

| Bafeler Konzil dargeftellt. Da kann man K. wohl darin beiftimmen
, daß Boffuet den konfequenteren Stand der Beurteilung
inne gehalten hat, auch darin, daß noch Guhrauer
den Kirchenfürften falfch beurteilt, wenn er aus
deffen mehrfach an den Tag gelegter Nachgiebigkeit den
Schluß zieht, er fei ,bereit gewefen, auf die Autorität
des Konzils zu verzichten' — ein Urteil, das übrigens auch
Hefele (Beitr. z. K.-Gefch. II, 84) nachfehreibt. Aber erft
in den Ausführungen des zweiten Abfchnitts (Forderungen
bezüglich der Zukunft) S. 203—232 tritt die Un-
durchführbarkeit des Reunionsgedankens klar hervor. Alle
Forderungen fcheitern fchließlich daran, daß Boffuet mit
dem Begriffe der Unfehlbarkeit feiner Kirche ausfchließend
operiert, dabei allerdings den proteftantifchen Vertretern
des Gedankens ftets vorhält: ihr glaubt ja nicht an die
Unfehlbarkeit der eurigen — ergo könnt ihr nachgeben
und müßt, falls es euch ernft ift um die Vereinigung, dies
tun. Was würde angefichts diefer herrfchenden Maxime
das von Leibniz gewünfehte Reunionskonzil ausgetragen
haben?

Angefichts des Scheiterns des Verfuches ftellt fich
— und das ift von aktualer Bedeutung — der Verf. nun
die Frage: ,Soll der gewaltige geiftige Kampf zwifchen
den beiden großen Männern nur ein negatives Refultat
erzielt haben? Soll die unermüdliche Friedensarbeit des
größten deutfehen Gelehrten gar keinen geiftigen Ertrag
geliefert haben?' (S. 231). Darauf antwortet er felbft:
,Ich möchte beides verneinen . . . Gerade die Tatfache,
daß der Riß ein unheilbarer ift, ift nicht ohne Bedeutung
für den religiöfen Frieden. Seit den Zeiten eines Maim-
bourg, Varillas und Boffuet haben die Verfuche nicht aufgehört
, den Urfprung und Fortgang der Reformation vom
| religiöfen Gebiete auf das der Politik, der Intrige und
unreiner Motive jeder Art hinüber zu fpielen. Diefe
Methode mußte den Kampf vergiften'. Und dann läßt
K. eine längere Auseinanderfetzung Möhlers folgen über
die Bedingungen, unter denen die Konfeffionen den
Frieden halten können. Hoffen wir, daß K. in feiner
neuen Stellung in der Stadt, welche die widerwärtigften
klopffechterifchen Angriffe auf den Proteftantismus ge-
fehen hat, dafür Sorge trage, daß Möhlers Mahnung beherzigt
werde.

Königsberg. Benrath.

Espenberger, DD. Joh. Nep., Die apologetifchen Be-
Itrebungen des Bifchofs Huet von Avranches hiftorifch
und kritifch gewürdigt. Freiburg i. B., Herder 1905.
(VIII, 103 S.) gr. 80 M. 1.80

Selbft nach den Arbeiten von Bartholmeß, Flottes
und Barach blieb es eine lohnende Aufgabe, diejenige
Seite der literarifchen und theologifchen Tätigkeit Huets
I zu beleuchten, auf welche offenbar der gelehrte Bifchof