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Ausgabe:

1905 Nr. 2

Spalte:

549-552

Autor/Hrsg.:

Lipsius, Fr. R.

Titel/Untertitel:

Kritik der theologischen Erkenntnis 1905

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 20.

des Thomas als Verfaffers der Itnitatio Christi gehört,
hat feit dem Jahre 1902 eine neue Ausgabe der fämt-
lichen Werke desfelben begonnen, von der 1902 der
zweite, 1904 der fünfte Band erfchienen ift, dem jetzt
der fechfte folgt, der den letzten Teil der ascetifchen
und den erften der hiflorifchen Schriften umfaßt; der
fiebente Band foll die übrigen hiftorifchen, ein achter
eine Lebensbefchreibung des Thomas bringen. Der vorliegende
Teil enthalt die Sermones ad novicios reguläres
und die Vita Lidcwigis virginis. Die Arbeit des Herausgebers
war hier inlofern eine leichte, als von beiden
Werken noch die fehr forgfältig gefchriebenen Autographe
des Verfaffers vorhanden find (in einer Hdfchr. der
Löwener Univerfitätsbibliothek, von der mehrere Stücke
in Photographie mitgeteilt find), von denen er S. 456—478
eine genaue Befchreibung gibt. Doch hat er es auch
hier nicht unterlaffen, die zwei noch vorhandenen Hdfchrr.
und die älteren Drucke zur Vergleichung heranzuziehen.
Den fonft von ihm in der Herausgabe befolgten Grundlätzen
ift er darin treu geblieben, daß er die willkürliche
Orthographie der Originale durch eine gleichmäßige erfetzt
hat, worin ihm ohne Zweifel zuzuftimmen ift, umfo-
mehr, als er alles, was irgend bemerkenswert ift, in den
epilegomcnis forgfältig notiert hat. — Möchte es dem
11 erausgeber vergönnt fein, diefe erfte kritifche Ausgabe
der Schriften des Thomas v. K. zum Abfchluffe zu
bringen und ihr die Lebensbefchreibung des Verfaffers
hinzuzufügen!

Berlin. S. M. Deutfch.

Lipfius, Fr. R., Kritik der theologifchen Erkenntnis. Berlin,
C. A. Schwetfchke & Sohn 1904. (VII, 212 S.) gr. 8°

M. 5.50

Das vorliegende Werk fkizziert zunächft in einer flott-
gefchriebenen Einleitung die modernen Anfchauungen
vom Verhältnis der Theologie und Philofophie und
wendet fich dann fofort feinem eigentlichen Thema zu,
indem es eine eingehende kritifche Unterfuchung eröffnet
über die theologifchen Erkenntnismittel, d. h. über den
Weg, auf dem die Theologie zur Erkenntnis ihres Gegen-
ftandes, Gottes, gelangen könne.

Zuerft wird darin die Ritfchlfche Theologie einer
Prüfung unterzogen. Es wird konltatiert, daß fie zur
.emotionalen Theologie' gehöre, fofern fie die religiöfe
Erkenntnis auf Gefühlen beruhen laffe. Aber auch von
Kant, Herrmann und verwandten Denkern und Theologen
, die, vom Sittengefetz oder fittlichen Erfahrungen
ausgehend, den Gottesglauben zu begründen fuchen, wird
behauptet, daß fie Gefuhlstheologen feien, wenn fie gleich
felbft das nicht Wort haben wollen. Es könne nämlich
die von ihnen vorausgefetzte Anerkennung des Sitten-
gefetzes als eines höchften Wertes gar nicht anders vollzogen
werden als auf Grund eines Gefühls (Kap. 1

Gegen die dermaßen umfehriebene emotionale Theologie
wird nun eingewendet, daß eine von der wiffen-
fchaftlichen Erkenntnis unabhängige und diefer gegenüber
felbftändige (religiöfe) Erkenntnis fich aus Gefühlen
nicht ableiten laffe. Denn die Gefühle feien ftets nur
Begleiterfcheinungen von Empfindungen und feien durch I
diefe bedingt. Die Gefühlstheologie könne beftenfalls
ihre Petition zu verteidigen fuchen, indem fie vorbringt,
daß es neben den Gefühlen, die von den Empfindungen
abhängen, noch andere befondere, fozufagen fpontane
Gefühle gebe. Das ift aber ein durch die moderne Pfycho-
logie längt! widerlegter Irrtum. Es ift unbeftreitbar, daß
Über den pfychifchen Erlebniffen ein undurchbrechbarer
Kaufalzufammenhang waltet. .Gefuhlserregungen' kommen
,nie für fich ifoliert vor'. Das wird in langer und breiter,
auf Troeltfch, Rickert, Liebmann und andere Rückficht
nehmender Auseinanderfetzung, in die auch das Freiheitsproblem
hineingezogen wird, dargelegt (Kap. II).

Ift damit die emotionale Theologie ad absurdum
geführt, fo wird weiterhin das Meffer der Kritik an die
verfchiedenen Unternehmungen der Rationalen Theologie'
gelegt.

Der alte ontologifche und kosmologifche Beweis ift
unhaltbar. Aber auch die neueren Formen, die der
letztere bei Lotze, Baumann, Liebmann angenommen hat,
bleiben unzureichend (Kap. III).

Nicht beffer fteht es um den ,biologifchen' Gottesbeweis
, der aus der Entftehungsart der Organismen auf
ein tranfzendentes teleologifches Prinzip fchließen möchte.
In ausfuhrlicher Kontroverfe, die von großem Fleiß und
von hervorragender Sachkenntnis auf dem einfehlägigen
Gebiete zeugt, in der aber merkwürdigerweife gelegentlich
Theologen wie Otto und Wobbermin gleichfam als
koordinierte Autoritäten neben den eigentlichen Fachmännern
angeführt werden, was gewiß der Intention der
betreffenden Herren nicht entfpricht, wird die Forderung
begründet, daß die Wiffenfchaft an dem Beftreben feft-
halte, die ganze Körperwelt mecbanifch-kaufal zu erklären
(Kap. IV).

Unzureichend ift endlich das Argument, das Lipfius
als den ,erkenntnistheoretifchen Gottesbeweis' mit einem
allerdings irreführenden Namen bezeichnet. Denn unter
diefem Titel werden nicht etwa — was man erwarten
follte — Verfuche erörtert, wie fie fich bei folchen Neukantianern
und Neufichteanern finden, die gewiffe er-
kenntnistheoretifche Ergebniffe mit als Stützpunkt verwenden
für die Annahme einer transempirifchen Wirklichkeit
: was zur Sprache kommt, find wefentlich ,meta-
phyfifche' Beftrebungen, die durch Zufammenbiegung der
beiden empirifch gegebenen Erfcheinungsreihen (Geilt
und Materie) in eins eine einheitliche Weltanfchauung zu
gewinnen fuchen. In diefem Zufammenhang wird natürlich
der pfycho-phyfifche Parallelismus erörtert und zwar
in feinen verfchiedenften Formen. Im übrigen läßt fich
das Refultat, zu dem Verf. gelangt, dahin zufammenfaffen,
daß der Materialismus unannehmbar fei, daß indeffen auch
eine ,idealiftifche Metaphyfik' nach der Art der Wundt-
fchen zwar ,als fubjektiv abfchließende Idee eine größere
Befriedigung' gewähre, ,wie die zum Dualismus führende
Hypoftafierung des Begriffes der materiellen Subftanz',
aber doch ,keinen objektiv-wiffenfehaftlichen Erkenntniswert
' befitze (Kap. V).

So haben fich alle bisher beliebten Wege zur Gotteserkenntnis
als ungehbar erwiefen. ,Weder Vernunft noch
Offenbarung, weder Gemüt noch Gewiffen' kann ,das
Recht der religiöfen Vorftellungen erhärten'. Mehr noch!
diefe find überhaupt in fich widerfpruchsvoll. Den Begriff
eines abfoluten perfönlichen Schöpfers kann man
nicht bis in feine äußerften Konfequenzen durchdenken,
ohne auf unüberwindliche Schwierigkeiten zu flößen, wie
das alte und neue Einwände bis auf die von D. F. Strauß
ausgefpielten bezeugen (Kap. VI).

Trotz diefes deprimierenden negativen Refultates
meint der Verf. doch noch in einem kurzen Schlußkapitel
eine Art Gotteserkenntnis wiffenfehaftlich ableiten zu
können. Als das einzig wirklich tragfähige Argument erwähnt
er folgendes: Die Allgemeingültigkeit des Kaufa-
litätsgefetzes nötigt uns gleichfam als ,Garanten' der-
felben ein Prinzip der Weltordnung anzunehmen, das
freilich nicht tranfzendent ift, fondern in der Welt fich
erfchließt und in dem bewußt-perfönlichen Geift feine
höchfte Darftellung findet. Der Glaube an dies Prinzip
ift Religion und kann den Anfpruch erheben, chriftlich
genannt zu werden, vorausgefetzt, daß man nicht die ge-
fchichtlich bedingte Geftalt des erften Chriftentums als
die allgemein maßgebende einfehätzt.

Die Stärke des Buchs wird man fchwerlich in dem
letzten Kapitel fuchen dürfen. Die genaueren Beftim-
mungen über das poftulieite Weltordnungsprinzip find
nicht fo klar und eindeutig, wie man es von einem Autor
erwarten dürfte, der an dem überlieferten chriftlichen