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Ausgabe:

1905 Nr. 18

Spalte:

505-508

Autor/Hrsg.:

Hering, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Lehre von der Predigt 1905

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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505 Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 18. 506

Hering, Konfift.-Rat und Univ.-Pred. Prof. D. Hermann,
Die Lehre von der Predigt. (Sammlung von Lehrbüchern
der praktifchen Theologie. I.) Berlin, Reuther &
Reichard 1894—1905. (XII, 624 S.) gr. 8° M. 10 —

Im Jahre 1894 erfchien die erfte Lieferung diefes
Werkes, 1905 die letzte und damit die Ausgabe des
ganzen Werkes. Wir haben alle Veranlaffung, den Herrn
Verf. und die Lefer zur Vollendung der Arbeit zu be-
glückwünfchen; wir möchten jedoch die Bitte an die H.
H. Verleger nicht unterdrücken, in ihrem eigenen, fowie
im Intereffe der Autoren und der Lefer in Zukunft die
erfte Lieferung eines wiffenfchaftlichen Werkes nicht eher
erfcheinen zu laffen, als bis fie das Manufkript des Ganzen
in Händen haben, es fei denn daß jede Lieferung für
fich ein abgefchloffenes Ganzes bietet. Von allen anderen
recht unliebfamen Störungen abgefehen ift es dem an
den reichen Literaturangaben unfers Werkes fich erfreuenden
Lefer nicht zuzumuten, das Fehlen wichtiger Arbeiten
, z. B. S. 8: Hans Achelis, Hippolytftudien 1897,
S. 47: Karl Franklin Arnold, Caefarius von Arelate 1894,
S. 57: Pi-iedrich Wiegand, Das Homiliarium Karls d. Gr.
1897, S. 151: Paul Grünberg, Philipp Jakob Spener I 1893
II 1905 damit zu entfchuldigen, daß fie zur Zeit der
betreffenden Lieferung noch nicht erfchienen oder noch
nicht bekannt waren. Ein den Mangel ausgleichender
Nachtrag nebft einem Verzeichnis der zahlreichen Korri-
genda wäre unerläßlich gewefen.

,Die Lehre von der Predigt' ift nach dem Verf. in
zwei Teilen zu behandeln, deren erfter ,die Gefchichte
der Predigt', deren zweiter ,die Theorie der Predigt oder
die Homiletik' darftellt. Die wohl allzu künftliche Unter-
fcheidung von ,Lehre' und /Theorie' — die übrigens der
Verf. nicht durchführt, da er S. 280 die ,Homiletik' (oder
Theorie) die ,Lehre' von der Pr. nennt — beabfichtigt
augenfcheinlich, der Lehre von der Pr. die Gefchichte der
Pr. als integrierenden Teil einzuordnen; denn ,ein Buch,
welches für homiletifche Bildung etwas leiften foll,
darf an der Gefchichte der Predigt nicht vorübergehen',
fo heißt es im Vorwort. Für den praktifchen Zweck
der homiletifchen Bildung wird jedoch ,nur die Gefchichte,
die noch nicht vergangen ift, die ein Teil unferer Gegenwart
ift und bleibt, Anfpruch darauf haben, von allen
gekannt zu werden' (Worte von Adolf Harnack in feiner
Rektoratsrede 1900). Allein dazu bedarf es keiner ge-
fonderten Darftellung der Gefchichte; ihre Verflechtung
in die Theorie wird fie am wirkfamften zur Geltung
bringen. Der Herr Verfaffer fchreibt jedoch die Gefchichte
derPr. im Intereffe der wiffenfchaftlichen Hiftorie,
er will darfteilen, wie bisher gepredigt worden ift, —
und damit fällt die organifche Verbindung mit der Theorie
dahin. Um fie dennoch herzuftellen, verbindet der Verf.
mit der gefchichtlichen Darfteilung die Beurteilung der
gefchichtlichen Erfcheinungen von den Ergebniffen der
folgenden Theorie aus, obgleich die Berechtigung des
Urteils und der ganze technifche Begriffsapparat, den
die Beurteilung handhabt, erft durch die Theorie verftänd-
lich wird. Der Maßftab des Urteils ift nicht immer deutlich
, er fcheint auch nicht einheitlich zu fein. Oft ift es
die evangelifche Lehre von der Rechtfertigung, dann
wieder der Auguftinifche Gegenfatz von Sünde und
Gnade, dann wieder der .biblifche Pofitivismus' (was ift
das?), um deffen willen dann auch kräftige Heterodoxieen
in den Kauf genommen werden. Schwerer wiegt ein
anderer Mißftand. Schon Ariftoteles hat es hervorgehoben
, und Schleiermacher hat es für die Predigt geltend
gemacht, daß in der Rede drei Faktoren in Betracht
kommen: die Rede felbft (nach Form und Inhalt), der
Redner und die Hörer. Demnach fetzt die Gefchichte
der Predigt die Gefchichte der Theologie, der Dogmen,
der chriftlichen Frömmigkeit und die Kulturgefchichte in
den einzelnen Ländern voraus, fie hat fich alfo auf der
breiten Grundlage der Kirchengefchichte in dem weiteften

Umfange des Wortes aufzubauen, und überall ift durch
forgfältige Analyfe der Haupterfcheinungen darzulegen,
welches die Vorausfetzungen, das Ziel der Pr. und der
Weg zum Ziele gewefen find. Daß eine folche Gefchichte
der Predigt nicht auf 252 Seiten zu geben ift, liegt auf
der Hand. Der Verfaffer befchränkt daher feine Aufgabe
dahin, daß er Porträts der Prediger-Perfönlichkeiten
uns vorführt, in deren Zeichnung übrigens die Wärme
und liebende Verfenkung des Verf.s, fowie feine weite
Belefenheit fehr anziehend fich geltend macht. Es muß
jedoch auch hervorgehoben werden, daß eine Gefchichte
der Pr. in angegebenem Umfange zu fchreiben die Kräfte
j eines Einzelnen trotz allen Vorarbeiten weit überfteigen
würde; wir erheben daher keinen Vorwurf, daß wir feit Ludwig
XIV von der römifch-katholifchen Pr. nichts erfahren,
daß feit Whitefield kein Engländer genannt wird, daß die
Niederländer, die Amerikaner, die Dänen und Schweden,
die evangelifchen Franzofen der Neuzeit, die Schweizer
(außer Lavater und H. Lang) ufw. völlig ausgefallen find.

Die Gefchichte der Homiletik fchaltet der Verf. aus
der Gefchichte der Pr. nicht aus. Aber von den trefflichen
Homiletikern des fpäteren Mittelalters, wie Guibert
de Nogent (1153—1215), Alanus ab Infulis (f 1202), Humbert
de Romanis (f 1277), Nicolaus de Clamengis (14.
Jahrh.), die fämtlich für die ,homiletifche Bildung' auch
noch der Gegenwart in Betracht kommen (vgl. mein
Lehrbuch der Prakt. Theol.2 I 628 f.), erfahren wie kein
Wort, obgleich der unbedeutende Tractatulus de arte
praedicandi des Heinrich von Langenftein (de Haffta)
erwähnt wird. Nur ,die Homileten (foll heißen: Homiletiker
) der Reformationszeit' werden angeführt: der Ec-
clcsiastes des Erasmus, De offieüs concionatoris des Me-
lanthon — feine Elementa rhetorices von 1519—153 r
werden nicht erwähnt — und das bekannte Werk des
Andreas Hyperius, fpäter auch Schleupner und J. B.
Carpzov. Die reichhaltigen Abhandlungen von M. Schian
über A. Hyperius (Ztfchr. f. d. prakt. Th. 1894 und 1897)
— diefe werden nachträglich S. 535 A. I zitiert — und
über die lutherifchen Horniletiker in der 2. Hälfte des 16.
Jahrh. (St. Kr. 1899) hätten in dem vermißten Nachtrag
einer eingehenden Würdigung bedurft. Die Homiletik
des 19. Jahrh. bis auf unfere Zeit wird in der ,Theorie
der Predigt' S. 260—271 nachgeholt. — In dem, was gegeben
wird, fällt eine große Ungleichmäßigkeit der Ausführung
auf. Während dem Auguflin 14 Seiten gewidmet
werden, bekommt Chryfoftomus 4, ürigenes 1, und R.
Kögel, der ,den Gipfel homiletifcher Kunft erftiegen hat',
ebenfalls nur 1 Seite. Analytifche Mitteilungen der Predigten
werden uns öfter von völlig unbekannten Verfaffern
dargeboten, während von anerkannten Koryphäen keine
Predigtanalyfe uns vorgelegt wird.

Für Lernende wird endlich der Gebrauch des Buches
durch zwei Schwächen erfchwert, denen der Verf. allzu
fehr nachgegeben hat. Die eine befteht darin, daß eine
Reihe von Werken, jedoch nur in der ,Gefchichte der
Pr.', nicht im 2. Teil des Buches, nur durch Nennung
der Verfaffernamen zitiert wird, z. B. Lentz, Schüler"
Brömel, Nebe ufw. Die andere, die das ganze Werk
durchzieht, zeigt fich teils in der Unficherheit über die
richtige Schreibung der Namen — wir finden Lentz und
Lenz, Mathefius und Matthefius, Pfeifer und Pfeiffer
Nicolai und Nikolai, Hüffel und Hüffell, Hölfcher und
Höllfcher, P. Gerhard und Gerhardt, Diekmann und Dieckmann
, I. und C. I. und K. I. Nitzfeh, deffen Praktifche
Theologie S. 398 als Syftem der Pr. Th., S. 506 gar als
,Syftem' zitiert wird —, teils in konftanter falfcher
Schreibung, fowohl der Perfonennamen van Oofterzee,
J. Arnd, Leibniz, Baco, Diffelhoff, Werthers Leiden, Men-
delsfohn, Hermann Auguft Niemeyer, Linfenmayer, Schult-
heß, Schmidt (S. 266), auch Chr. Achelis (der Rufname
des Referenten ift Ernft, feine literarifche Firma E. Chr
A.), als auch der Wörter Württemberg, Maftland, Guftav
Adolf-Verein, Rhythmus. Ferner ift Berthold von Regens-