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Ausgabe:

1905

Spalte:

502-504

Autor/Hrsg.:

Vorbrodt, Gustav

Titel/Untertitel:

Beiträge zur religiösen Psychologie: Psychobiologie und Gefühl 1905

Rezensent:

Ritschl, Otto

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 18.

502

deffen Fürftenhaus er in feiner Genealogie auf Karl liehen philofophifch in Schutz genommen, welche bisher
d. Großen zurückführt. Ein felbftändiger leitender Geift nur Dichtern, Andächtigen und Schwärmern überlaffen,

ift G. nicht gewefen, wohl aber eine /fleißig ausgenützte
Begabung'. Und der Ausnutzer ift vor allem der Jefuit
Jakob Gretfer; über ihn wird mancherlei Neues mitgeteilt
, fo u. a., daß der Plan zur Abfaffung von monu-
menta Boica von ihm (lammt. Aber der Landesherr läßt
den Hofhiftoriographen nicht zum Jefuitendiener werden:
feine Apologie für Ludwig den Bayern darf er nicht veröffentlichen
, weil fie zu befangen kurialiftifch gefchrieben
war — hatte doch G. auch die Abhängigkeit der Kur-
fürften vom Papfte ftark betont!

Gießen. Köhler.

Fries, Jakob Friedrich, Wissen, Glaube und Ahndung. Jena
1805. Neu herausgegeben von Leonard Nelfon. ,

v , .„„ . <(, nllnrpruf Tnnc rXVT I Piychologie für die 1 heologie, insbefondere die Dogma
Döttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 190,. JXV1, | fmchtbar zu machen. °Aber auch durch djefe *eue

und als der Tod aller Philofophie angefehen wurde'. Es
wäre erneuter Mühe wert, die Berührungspunkte zwifchen
Fries und Schleiermacher, die doch unter gleichen Jugendeindrücken
(Erziehung in Barby) herangewachfen waren,
zu unterfuchen und klarzuftellen.

Stettin. Lülmann.

Vorbrodt, G., Beiträge zur religiösen Psychologie: Psychobio-
logie und Gefühl. Leipzig, A. Deichert'fche Verlagsbuchhandlung
, Nachf. 1904. (V, 173 S.) gr. 8" M. 3.6b

Erft volle 9 Jahre nach feiner Pfychologie des Glaubens
(vgl. meine Rezenfion in diefer Zeitfchrift 1896
Sp. 52 ff.) hat der Verf. die nun vorliegende Schrift herausgegeben
, in der er feine Bemühungen fortfetzt, die

327 S/j 8° M. 2.80; geb. M. 4.40

Auch eine Jubiläumsgabe ift die vorliegende Neu-
Herausgabe von J. F. Fries' Schrift über Wiffen, Glaube
und Ahndung, die 1805 erfchien, gleichfam als Vorbereitung
und Einleitung zu des Philofophen Hauptwerk,
der Neuen Kritik der Vernunft. Der Herausgeber, L.
Nelfon, hat nur einige in dem Handexemplar des Verf.
von diefem felbft angebrachte handfehriftliche Verbeffe-
rungen in den Text übernommen und war im übrigen
beftrebt, die Form des Originals mit möglichfter Treue
unverkürzt zu wahren, fogar in der Paginierung, und nur
da Änderungen eintreten zu laffen, wo der Sinn der
durch die fehr zahlreichen Druckfehler verdorbenen
Stellen nicht zweifelhaft fein konnte.

reifere und maßvollere Arbeit hat fich mir die Art des
Verf., Pfychologie in der Theologie anzuwenden, keineswegs
als ein Gewinn für diefe zu empfehlen vermocht.
Andererfeits ift allerdings auch der Verf. mit meinen
Bemühungen um pfychologifche Theologie fehr wenig
zufrieden. Er meint auf S. 32, was ich in einem einft
vor Geiftlichen gehaltenen und dann in den Theologifchen
Arbeiten aus dem rheinifch-weftfälifchen Prediger-Verein
1899 abgedruckten anfpruchslofen Vortrage ,über fitt-
liche Charakterbildung unter dem pfychologifchem Ge-
fichtspunkt' veröffentlicht habe, ,dürfte kaum den be-
fcheidenften Anfprüchen an eine Förderung pfycho-
logifcher Theologie genügen, wie übrigens mir auch einer
der gleichgefinnten Kollegen von O. Ritfehl beftätigte'.

Der Zweck der Neu-Herausgabe foll kein hiftorifcher, ; Perfönlich gönne ich dem Verf. recht herzlich die kleine
fondern ein philofophifcher fein. Es ift ohne Zweifel ] Genugtuung, die er lieh in diefem Urteil und in der Mit-
fchon an fich verdienftvoll, das halbvergeffene Werk j teilung von deffen Beftätigung durch einen meiner Herren
wieder in Erinnerung gebracht zu haben, in dem fich , Kollegen an dem von ihm auf S. 153 ohne Namens-
Kantifcher Kritizismus und Motive aus der Glaubens- nennung erwähnten ,Rezenfenten der Pfychologie des
philofophie Jacobis mit einem Marken Einfchlag aus der Glaubens in der Theol. Literaturzeitung' hat bereiten
Ideenwelt der Aufklärung zu einem eigenartigen Ganzen j können. Die fachliche Differenz jedoch wird fich aus

verbanden. Doch auch zeitgemäß ift der erneute Hinweis
auf Fries. Die pfychologifche und empirifche Methode
des Philofophen kommt dem modernen Denken
entgegen. Ganz befonders aber ift Fries ein Warner
gegem vulgären Monismus und Intellektualismus. Einer
oberflächlichen Naturphilofophie wehrt Fries, auf Grund

folgender Auseinanderfetzung wohl deutlich genug ergeben.

Der Verf. vertritt den Standpunkt einer, wie er felbft
einmal fagt (S. 28), ,immanenten Pfychologie' in der
Dogmatik. Bezeichnender Weife jedoch genügt ihm jetzt
nicht mehr die Pfychologie für fich allein. Indem er
diefe notwendiger Weife auf Phyfiologie begründet fein

des Satzes daß die Sinnenwelt nur Erfcheinung fei, durch j läßt, ift er von da aus noch weiter auf die allgemeine

eine energifche und vertiefte Zufammenfaffung von kau
faler Begreifung und teleologifcher Betrachtung des Natur
ganzen. Gegen eine oberflächliche Metaphyfik macht er
nachdrücklich beides geltend: die unabänderlichen Grenzen
unferes Erkenntnisvermögens und die innerlichen
liefen unferes Gemütslebens, wobei er einen gefühls-
feligen und quietiftifchen Myftizismus aufs fchärffte abweift.

Es finden fich in dem Buche Beziehungen auf zeit-
genöffifche Denker, doch nicht überall unter Nennung

Biologie zurückgegangen. Und nun konftruiert er aus der
Vereinigung beider eine von ihm fo genannte Pfychobio-
logie, mit deren Einführung in die Theologie fich die
erfte der beiden in feinem Buche enthaltenen Abhandlungen
befaßt. Danach kommt es ihm auf,die prinzipielle
Verkoppelung der Dogmatik mit dem pfychologifchen
Fundamentalbegriff des Lebens' an (S. 2). ,Die Theologie
muß fich vermählen mit der Biologie, nicht nur diefe als
Stütze oder Prügelmädchen der Hausfrau verwerten;

der Namen. Offenbar denkt Fries S. 263 und 272 an beide, Theologie wie Naturwiffenfchaft, werden durch

Fichte, deffen Schrift über die Beftimmung des Menfchen
1800 erfchienen war. Gar keine Auffchlüffe gibt das
vorliegende Buch über das Verhältnis von Fries zu
Schleicrmacher. Direkt an Schleiermacher erinnern die
Worte S. 239: ,Die Gemütsftimmung, welche religiös
macht, ift zunächft offenbar eine befondere Stimmung
des Gefühls; ihr Wefen befteht weder im Handeln, noch
im Wiffen, fondern im Gefühl, und was fie für Handeln
und Wiffen fein foll, das wird fie erft durch das Gefühl,
und diefes religiöfe Gefühl ift es, welches ich Ahndung
des Ewigen im Endlichen nenne'. Dabei muß es uns
wundernehmen, wie Fries, 6 Jahre nach der Veröffentlichung
von Schleiermachers Reden über die Religion,
noch fchreiben konnte, mit Beziehung auf feine eigenen
Ausführungen, S. 178: ,hier wird eine Erkenntnisweife
durch bloßes Gefühl als Ahndung des Ewigen im End-

folche Verbindung innerlich wie äußerlich bereichert und
gefördert' (S. 61). Der Begriff des Lebens ift nämlich
als ,das Typifche des Chriltentums' (S. 6 f.) zu begreifen
und hat infofern an die Stelle des Begriffes vom Gottesreiche
und anderer zu treten (S. 20). Allerdings gibt
der Verf. felbft ganz offen zu, daß das Leben .aalglatt
fich den Begriffen entwinde' (S. 24). Daher verzichtet
er auch von vorn herein ausdrücklich darauf, das Leben
zu definieren (S. 25). Dennoch fcheint er es als felbftver-
ftändlich anzufehen, daß, indem er außer pfychologifchen
auch biologifche Begriffe, Erkenntniffe und Anflehten mit
feinen religiöfen Überzeugungen und metaphyfifchen Spekulationen
zu einer Einheit verbindet, der wiffenfehaftliche
Charakter diefes Unternehmens jedem Zweifel gewachfen
fei. Macht es doch auch einen fehr wiffenfehaftlichen
Eindruck, daß der Verf. wiederholt auf die Verwertung