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Ausgabe:

1905 Nr. 18

Spalte:

496-497

Autor/Hrsg.:

Sommerlad, Theo

Titel/Untertitel:

Die wirtschaftliche Tätigkeit der Kirche in Deutschland. 2. Bd 1905

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 18.

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hältnis des Menfchen zu der überirdifchen Macht fpricht,
zeigen, daß er in diefer Beziehung keine klare Vorftellung
hatte. Bald erfcheint er wie ein Chrift, bald wie ein alter
Hellene zu denken, o Qeög und rj xvyji werden oft in
demfelben Sinne gebraucht'. Seitz, deffen Schrift ,Die
Schule von Gaza' (Heidelberg 1892) ich in der Byz. Ztfchr.
H 334—336 zur Anzeige brachte, fagt von den Gazäern
(S. 5): ,Wie weit diefe fich an die alten Gebräuche und
Anfchauungen anfchließen durften, zeigt die manchmal
ergötzliche Verquickung chriftlicher und vorchriftlicher
Vorftellungen'. Die chriftlichen Rhetoren von Gaza be-
fchäftigten fich fogar emfig mit Erklärung der h. Schrift,
wie gerade Prokopios von Gaza beweift, über deffen Ver-
dienfte und Bedeutung ich bei Gelegenheit meiner Be-
fprechung der Schrift von Eifenhofer: ,Procopius von
Gaza' (Freiburg i. B. 1897) in diefer Literaturztg. (1897
Nr. 16, Sp. 428—431) weitere Mitteilungen gemacht habe.
Und doch erfcheinen die rhetorifchen Werke und Briefe
der Gazäer völlig heidnifch. Ihr religiöfes Denken ift,
ebenfo wie das des Gefchichtfchreibers Prokopios, einzig
von der Tyche als höchfter Macht beftimmt, die ja, wie
wir aus des Markos Diakonos Vita Porpliyrii (64) wiffen,
auch in Gaza ihren befonderen Tempel hatte. Über
die Herkunftsverhältniffe des Prokopios hat Haury
fchließlich eine höchft anfprechende Vermutung zu begründen
gefucht. Durch geiftvolle Verbindung und Deutung
einiger in den Schriften der Gazäer befindlichen
Nachrichten kommt er zu dem Schluffe, einmal, daß
Prokopios der Sohn eines gewiffen Stephanos, Stadtpflegers
von Cäfarea, war, der 536 wegen feiner außerordentlichen
Verdienfte Prokonful von Paläftina war und
im Jahre 556 in einem Aufftande der Samariter getötet
wurde und all fein Hab und Gut verlor; ferner, daß Prokopios
höchftwahrfcheinlich in Gaza geboren und erzogen
wurde, fpäter aber fich als KuiöuQsvg bezeichnete, weil
er in Cäfarea, fern von der Hauptftadt, fern vom Hof
und vom Kaifer, feine wichtigften Werke verfaßte. Diehl
fleht diefen geiflreichen Schlußfolgerungen zweifelnd gegenüber
, er wünfcht folidere Beweife. Es handelt fich
hier um Fragen der höheren Kritik, in denen die Ent-
fcheidung freilich von der Beweiskraft der vorgebrachten
Gründe, aber auch dem Urteil der fie nachprüfenden
Perfönlichkeit abhängig ift. So, wie ich nun (Byz. Ztfchr.
II, 335) f. Z. Seitz zuftimmte in der Art und Weife, wie
er (a. a. O. S. 9—21) den jedenfalls nach Alexandria zu
fetzenden Dichter des Epos ,Hero und Leander', Mufäos,
mit Prokopios von Gaza als jüngerem Zeitgenoffen zu
verknüpfen wußte: fo nehme ich keinen Anftand, auch
Haury zuzuftimmen, deffen Beweisführung in den angeführten
Verhältniffen mir fo überzeugend zu fein fcheint,
daß ich an der Wahrheit feiner Aufftellungen zu zweifeln
keinen flichhaltigen Grund fehe. — Doch ich habe die
Geduld der Lefer fchon zu lange in Anfpruch genommen.
In summa: Haurys Ausgabe der Kriegsgefchichten des
Prokopios ift eine in jeder Hinficht rühmliche Leiftung,
deren durch Veröffentlichung der Geheimgefchichte und
der Bauwerke hoffentlich bald erfolgendem Abfchluß
man mit berechtigter Freude entgegenfehen darf.

Wandsbeck. Johannes Dräfeke.

Babut, E. Ch., La plus ancienne decretale. These. Paris,
Socicte nouvelle de librairie et d'edition 1904. (88 p.)

gr. 80

Unter dem Titel Canones synodum romanorum ad
gallus episcopus ift in zwei kirchenrechtlichen Hand-
fchriften des 9. Jahrhunderts (einem Cod. Fossatensis und
einem Cod. Tilianus) ein Schreiben erhalten (beginnend
Dominus inter), das Hefele (Conciliengefchichte II2,
S. 87 und andere vor ihm) einer römifchen Synode von
402, Couftant dem römifchen Bifchof Siricius zugewiefen
hat. Babut zeigt, daß wir es nicht mit einem Synodal-
fchreiben zu tun haben, fondern mit einer päpftlichen

Dekretale. Er weift nach, daß das Schriftftück nicht
Siricius angehören könne, fondern aus einer früheren
Zeit flammen müffe. Und ift dies richtig, fo kann nur
Damafus der Verfaffer fein. Während wir bisher immer
dem Bifchof Siricius die erfte päpftliche Dekretale beigelegt
haben, würde fich jetzt ergeben, daß Damafus
der erfte römifche Bifchof war, der an ihn geftellte Anfragen
(in unferem Falle gallifcher Bifchöfe) mit dem
Anfpruche beantwortete, daß feine Antworten bindende
Gültigkeit haben müßten. Da äußere Gründe für die
Zuweifung der Dekretale an Damafus nicht geltend gemacht
werden können, fo war Babut darauf angewiesen,
die inneren Gründe aufzuzeigen; und an der Gefchichte
der von dem päpftlichen Schreiben behandelten Fragen
(über die Zulaffung alter Soldaten zum Klerus, über die
virgines velatac, wenn fie ihrem Vorfatz untreu werden
ufw.) hat er die Zuweifung an Damafus fehr wahrfchein-
lich gemacht. Merkwürdigerweife hat er eine Vergleichung
des Schriftftückes mit anderen damafianifchen gänzlich
unterlaffen. Außer der Unterfuchung gibt Babut noch
eine neue Ausgabe der Dekretale, bei der er fich bemüht
hat, einen einigermaßen lesbaren Text herzuftellen.
Er benützt dazu die alten fchon von Früheren gebrauchten
Handfchriften, und widmet ihnen eine genaue Befchrei-
bung. Würde fich Babuts Thefe bewahrheiten, fo hätten
wir für die Beurteilung der Stellung des Damafus innerhalb
der Entwicklung des römifchen Primates neues
Material gewonnen.1

Halle a. S. Gerhard Ficker.

Sommerlad, Priv.-Doz. Dr. phil. Theo, Die wirtschaftliche
Tätigkeit der Kirche in Deutschland. Zweiter Band. Die
wirtfchaftliche Tätigkeit der deutfchen Kirche in der
Zeit des erwachenden Staatsgedankens bis zum Aufkommen
der Geldwirtfchaft. Leipzig, J. J. Weber 1905.
(XIII, 315 S.) 40 M. 6 —

Diefer, nicht fo opulent wie der erfte, aber auch fehr
vornehm und würdig ausgeftattete zweite Band von
Sommerlads Wirtfchaftsgefchichte umfaßt, wie fchon der
Untertitel andeutet, die Zeit von dem Märzfelde zu
Lestinnes 743 bis zu König Heinrich II, alfo die karo-
lingifche und ottonifche Periode der deutfchen Gefchichte.
S. handelt davon in 5 Kapiteln: 1. die Rezeption des
Auguftinismus als Programm des fränkifchen Staats-
kirchentums; 2. Wirtfchaftsmacht und Wirtfchaftstätigkeit
der Staatskirche Karls des Großen; 3. die kirchliche Wirtfchaftstätigkeit
des karolingifchen Gottesftaates; 4. die
Emanzipation des Epifkopates und die Reftauration des
Auguftinismus; 5. die Verwertung der ftaatlichen Kräfte
der deutfchen Kirche durch die Ottonen. Mit diefen
Kapitelüberfchriften ift fchon der wefentliche Inhalt des
Bandes und die hiftorifche Konzeption, die der Verfaffer
feiner Darfteilung zugrunde gelegt hat, bezeichnet. Mit
vollem Rechte führt Sommerlad aus, daß die Krzeugniffe
der alten Kirche maßgebend geblieben find auch für die
mittelalterlichen Bildungen, und daß fich das eigentümliche
Problem der karolingifchen und ottonifchen Zeit
auch auf wirtfchaftlichem Gebiete erklärt aus der Aufnahme
von antikem Gedankengut in die germanifche
Welt. Er wählt für die Summe diefes antiken Gedankengutes
den Ausdruck Auguftinismus; und fo zeigt auch
diefe Darftellung, wie ungeheuer groß die Wirkung Augu-
ftins gewefen ift, namentlich die leiner Schrift de civitate
Dei. Freilich, er hätte nicht wirken können, wenn nicht
Karl der Große für ihn eingetreten wäre und feine Gedanken
aufgenommen hätte, foweit es das Intereffe (eines
Reiches erforderte. Aber die Umbiegung, die Karl dem

1) Ober diefe und die in Nr. n diefer Zeitung angezeigte Schrift
Babuts find jetzt zu vergleichen die fördernden Bemerkungen, die L. Du-
chesne in der Revue hisioriquc gemacht hat (87. Bd., 1905, p. 278—302:
Le conciie de Turin.)