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Ausgabe:

1905 Nr. 16

Spalte:

453-456

Autor/Hrsg.:

Kropatscheck, Friedrich

Titel/Untertitel:

Das Schrfitprinzip der lutherischen Kirche. Geschichtliche und dogamtische Untersuchungen. 1. Band: Die Vorgeschichte. Das Erbe des Mittelalters 1905

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 16.

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aus dem Lebensgange des fonderbaren Mannes nunmehr
fr, genauen und zweifellofen Auffchluß zu befitzen. Seine
Tätigkeit im Dienfte Kaifer Friedrichs, fein Verhältnis
zur Kurie, zum Papfte felbft, zu einzelnen Männern am
Hofe des Kaifers und an der Kurie, — das alles überfehen
wir jetzt in befriedigender Klarheit, und wir kennen,
dank Sch.s Forfchung, nun auch endlich den wahren
Namen und den richtigen Titel des bisher unter dem
Pfeudonym , Andreas Zuccalmaglio, Erzbifchofs von Krain'
(ftatt Kranja) in der Literatur Umherirrenden.

Über manche Einzelheiten, wie z. B. das verkehrte
Urteil über Luthers Auftreten S. 130 oder die nicht immer
anmutende Behandlung der Eigennamen (S. 149 ,Auxias
von Podio'! Wiederholt Barbö ftatt Barbo) will ich hier
nicht rechten. S. 8 Anm. 9 wird die Anrede , Venera-
bilis princeps, devote dileete' in kaiferl. Schreiben als
Beweis der fürftlichen Abdämmung des Andreas angeführt
, während fie fich nur auf feinen erzbifchöfl. Rang
bezieht, um deffentwillen der Kaifer ihn als Reichsfürften
(vgl. S. 77) tituliert. S. 153* ift die Rede von einem
,flandrifchen Diplomaten Thomas Bafin'; mit Flandern
hat der aus der Normandie gebürtige Bifchof von Lifieux
nichts zu tun. S. 117 fchließt der Verf. aus der Tatfache
, daß der Papft die Anfprüche Heßlers auf das Bistum
Paffau völlig abgewiefen habe, ,daß man in Rom für
die Vorgänge in Bafel in erfter Linie den einflußreichften
Mann des Kaiferhofes verantwortlich machte'. Diefer
Schluß muß unbedingt abgelehnt werden, falls nicht der
zweite Band beffere Belege dafür bringt, daß zwifchen
dem Kardinal-Staatsminifter und dem Konzilsabenteurer
ein Zufammenhang beftand. Freunde find fie nach Sch.s
eigener Darftellung (S. 35ff.) bis dahin nicht eben ge-
wefen.

Eines vor allem habe ich in der Darfteilung Sch.s
vermißt. Wenn das Beginnen des Andreas nur ein ganz
perfönliches Wagnis war, fo drängt fich die Frage auf:
wie konnte es folchen Staub aufwirbeln und dem Papfte
fo große Sorge machen? Die Erklärung hätte fich aus
einem Überblick über das Fortleben der Konzilsidee
nach dem Scheitern des Konzils von Bafel ergeben.
Sch. bemerkt zwar S. 75h auch hierüber einiges, was mir
aber nicht zu genügen, auch nicht an der richtigen Stelle
zu flehen fcheint. Durch tieferes Eingehen auf diefe Seite
des Problems hätte er dem Werte feines Buches ungleich
mehr dienen können, als durch das perfonale Detail, an
dem es so reich ist.

Endlich will ich nicht unterlaffen hervorzuheben, daß
diefes Buch eines katholifchen Geiftlichen in der Beurteilung
Sixtus' IV., feines Hofes und feiner Regierungsweife
an Ünbefangenheit nichts zu wünfehen übrig läßt.
Gießen. Haller.

K ropatscheck, Lic. Prof. Dr. Friedrich, Das Schriftprinzip
der lutherischen Kirche. Gefchichtliche und dogma-
tifche Unterfuchungen. I. Band: Die Vorgefchichte.
Das Erbe des Mittelalters. Leipzig, A. Deichert Nachf.
1904. (VII, 462 S.) gr. 8° M. 9 —

Das Thema zu dem vorliegenden Buche hat Kropat-
fcheck fich von feinem Lehrer Prof. Seeberg ftellen laffen,
der wie Kr. dankbar bekennt (S. IV), fein ,Berater in
dogmengefchichtlichen Fragen' ift. Wer an Seebergs
Dogmengefchichte gerade die Hinweife für das Ver-
ltändnis der Reformation vom Mittelalter her hochfehätzt,
wird fich darüber freuen, daß fein Schüler nun ,für das
Schriftprinzip Luthers und der Lutheraner den gefchicht-
Hchen Rahmen zu zeichnen' unternimmt. Eine gewiß
dringend notwendige Aufgabe! Hat Kr. fie gelöft? Sehen
wir zuerft, was er uns bietet.

Indem er ,das Schriftprinzip in eine möglich!! breit
angelegte Gefchichte des religiöfen Lebens' (S. III) hin-
einftellen will, beginnt er mit einer Darlegung des ,prak-

tifchen Schriftgebrauches am Ende des Mittelalters'. Hier
werden zuerft die Waldenfer behandelt. Sie unternahmen
mit Bewußtfein einem reinen Schriftprinzip (wie fie es
verftanden) zu folgen und wagten dies Prinzip gegen die
Tradition und Autorität der römifchen Kirche zu kehren'
(S. 17). Sie find ,immer bewußte Schrifttheologen' (S. 18).
Dabei ift ihnen die Bibel ,kein Arfenal zur Verteidigung
von Sonderlehren, fondern die Quelle für ihre Erbauung
und die Richtfchnur für ein heiliges Leben' (S. 24). Dem-
entfprechend ift ihre Bibelkenntnis groß. Kritik haben
fie nicht geübt, auch nicht, wie man gemeint hat, am
A. T.; innerhalb des N. T. haben fie die Bergpredigt bevorzugt
. Ausgelegt wird die Bibel nach dem Literarsinn
im allgemeinen, die Allegorie hat daneben nicht gefehlt.
Trotz ihres sola scriptum haben fie eine Reihe gut mittel-
alterlich-katholifcher Ideen übernommen. Beweis, ,daß
das formale Prinzip des Proteftantismus für fich allein
nicht genügt, um das wahre chriftliche Leben in den
Einzelnen oder in der Gemeinfchaft zu begründen' (S. 58).
— Die Vorläufer des Huffitentums (Kp. 2) ,haben fämt-
lich ein innigeres Verhältnis zur Bibel, als es fonft in der
böhmifchen Kirche üblich war' (S. 63), insbefondere
Matthias v. Janow gründet auf die Bibel eine kirchliche
Reform. Im Huffitentum felbft ift ,die Revolutionskraft
des an fich formalen Schriftgebrauchs zu Tage getreten'
(S. 71). ,Nur der h. Schrift hat Huß folgen wollen, . . .
nur die Schrift fei irrtumslos und abfolute Autorität'
(ebda.). Mit der Schrift allein (,die Formel sola scriptum
ift als Kampfwort allerwärts in feinen Schriften verbreitet'
S. 76) foll die Kirche regiert werden; daneben kann er
freilich es als eine Lüge bezeichnen, daß er die Bibel
als alleinige Norm des Glaubens anfehe — .ähnliche Re-
fervationen fcheinen zu einem mittelalterlichen Reformer
zu gehören' (S. 80). — Eine eingehende Erörterung des
fogen. Bibelverbotes der Kirche führt zur Beftätigung
des auch fchon anderweitig feftgeftellten Refultates: ,ein
Bibelverbot der Kirche gibt es im Mittelalter nicht'
(S. 106). Das Schreiben Innozenz' III: Cum ex Inluucto ift
,der einzige offiziell kirchliche Erlaß von allgemeiner
Geltung, den es im Mittelalter gibt, und diefer Brief verbietet
nicht das Bibellefen, fondern empfiehlt es ausdrücklich
als etwas nützliches, wenn es nicht in heimlichen
Konventikeln und unter der Leitung ketzerifcher
Perfonen gefchieht' (S. in). Der bekannte Erlaß Ber-
tholds v. Mainz ift ,ein Cenfuredikt, nicht ein Bibelverbot'
(S. 118), war als folches aber von Einfluß auf den Bibeldruck
. Dennoch aber—: ,die Bibel hat vor Luther nicht
an der Kette gelegen' (S. 135). Wenn fie, trotzdem ein
Sebaftian Brant fingen konnte: ,A11 land syndt yetz voll
heyiger gefchrifft' (S. 139), kein Volksbuch geworden ift,
fo lag das fchon am teueren Preife. Doch ift durch den
Prediger, fei es aus der Bibel felbft, fei es aus der Poftille
das Volk mit der Bibel vertraut geworden. Wir müffen
uns davor hüten, ,die kirchlichen Zuftände, befonders die
des Gottesdienftes im gefamten Deutschland, ohne weiteres
nach dem Zeugnis Luthers und feiner Umgebung zu beurteilen
' (S. 144). Auch Klöfter, Univerfitäten, Erbauungsbücher
taten das Ihre. Die deftruktiven Tendenzen im
Mittelalter (Kp. 5 u. 6), bei Häretikern und Schismatikern,
Infpirierten und Myftikern, find doch relativ feiten voll
ausgedacht worden, wenn es auch an folchen nicht gefehlt
hat, die die Bibel ganz verwarfen. — Von dem Gedanken
ausgehend, daß ,alles religiös wertvolle Studium
der Schrift belebt wird durch die Liebe zu Chriftus', gibt
Kr. in Kp.7 einen Überblick über die mittelalterliche Auf-
faffung der Imltatio Christi als Nachfolge und Nachahmung
des Herrn. — Kp. 8 ,Apokalyptifches' zeigt zu-
nächft Joachim v. Floris als allegorifierenden Bibliziflen,
um antikirchliche und kirchenfreundliche Weisfagungen
auf Grund der Bibel bei verfchiedenen Apokalyptikern
nachzuweisen. ,Die Bibel muß herhalten, um alle Laftef
und alle Strafgerichte auf das Verhalten des Gegners zu
deuten, der vernichtet werden foll, mit allen Verheißungen