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Ausgabe:

1905 Nr. 16

Spalte:

447-448

Autor/Hrsg.:

Bonet-Maury, Gaston

Titel/Untertitel:

Les précurseurs de la réforme et de la biberté de consciene dans les pays latins du XIIe au XVe siècle 1905

Rezensent:

Walter, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 16.

448

kleineren Typen als der übrige Satz. Das macht fich
freilich nicht fehr gut, aber die Rückficht auf Raum-
erfparnis hat den Ausfchlag gegeben. Den Lehrzwecken,
für die die Sammlung beftimmt ift, wird der Band ohne
Zweifel auch in der vorliegenden Form zur Genüge dienen.

Sollen im Texte Juftins nicht allzuviel Konjekturen
gemacht werden, dann find bei der fchmalen Überlieferung
keine großen Unterfchiede zwifchen den einzelnen
Ausgaben möglich. R. folgt im ganzen dem Texte von
Otto und Krüger. Textkritifche Anmerkungen belehren
über die Lesarten der Überlieferung und der genannten
beiden Herausgeber, gelegentlich auch über die Vor-
fchläge und Konjekturen anderer. An einzelnen Stellen
weicht R. indes von dem Text der Handfchrift und der
genannten Herausgeber ab, ein Verfahren, das ja grund-
fätzlich keinem Bedenken unterliegt. Die wichtigften
diefer Stellen möchte ich hervorheben.

Gleich am Eingang von Apol. I lieft R. gegen die
Handfchrift (Par.) und die Editionen xal Ealoagi ftatt
KaioaQi xal, eine Lesart, die durch die von R. beigebrachten
Gründe als möglich erfcheint. Daß der Handfchrift
an diefer Stelle nicht ganz zu trauen ift, beweift
Eufeb KG. IV 12. Ob indes nicht vielleicht mit Eufeb
Kaiöagi vor SeßaGxm einzufchieben ift? — Ein paar Worte
weiter kann fich R. für die Änderung des cpiXooöcpcg (Par.)
in <piloöö(pov auf Eufeb berufen. ■— Unnötig fcheint mir
in 197 die Umfchiebung des (xal) eins vor 4fr) cpoßelö&e
zu fein. — Gut ift 23 3 die von R. angenommene Konjektur
des Maranus: liyco de rovg ftatt öid xovg. — In
26 sf. folgt R. an einigen Stellen dem Eufeb gegen den
Par. — 546 nimmt er Ottos, (Harnacks, Jülichers) Lesart
ovov für olvov an. — 6310 halte ich die Emendation
dxövi dacoudxcp (fo auch Maranus und Veil) ftatt slxovi
dömudrq) für unnötig, und 68 7 fteht d&ojoi für dvd-gmxot
(Gründls Vorfchlag) auf zu fchwacher Überlieferungsbafis:
nur die Rufinüberfetzung des Eufeb bietet innoxii.

Der Satz des Heftes ift fehr gut, ich konnte im
ganzen nur wenige leichte Verfehen entdecken, wie fie
bei faft allen griechifchen Drucken unvermeidlich find.
Den Grund dafür, warum 165 in ganz befonderen Typen
gefetzt ift, konnte ich nicht finden.

Marburg i. H. Rudolf Knopf.

Bonet-Nlaury, Prof. Gaston, Les precurseurs de la reforme
et de la liberte de conscience dans les pays latins du
XIF au XVe siecle. Paris, Fischbacher 1904. (VIII,
268 p.) gr. 8°

Bekanntlich haben die letzten Jahrzehnte in der Beurteilung
der fog. Vorreformatoren eine völlige Änderung
mit fich gebracht. Während man in früheren Zeiten
bei ihnen ein volles Verftändnis der evangelifchen Wahrheit
finden zu können glaubte, hat man neuerdings
darauf aufmerkfam gemacht, daß fie in dem entfcheiden-
den Punkte, in der Lehre von den Werken und dem
Glauben, den Standpunkt des Mittelalters nicht verlaffen
haben. Nachdem vollends die treffliche Unterfuchung
F. Kropatfchecks den Nachweis erbracht hat, wie wenig
das ,sola scriptura' im Munde eines mittelalterlichen
Reformers bedeutet, wird man den Begriff ,Vorreformatoren
' getroft in die hiftorifche Rumpelkammer werfen
können. Ganz anderer Anficht über diefen Punkt ift der
Verf. des vorliegenden Buches. Er findet, daß man zwar
die Vorreformatoren der germanifchen und flavifchen
Länder zur Genüge behandelt, daß man fich aber um
diejenigen der romanifchen Länder viel zu wenig bekümmert
habe. Diefe Lücke will er ausfüllen. Gleichzeitig
foll feine Unterfuchung der Gegenwart mit ihrer
vielfachen Unduldfamkeit zeigen, wie lange der Kampf
um die Toleranz bereits gewährt habe. Schon die Zu-
fammenftellung von Toleranz und Reform der Kirche
erweckt Bedenken. Denn auf dem Gebiet des geiftigen

Lebens gilt ftets das Recht des Stärkeren: wer hier um
Freiheit kämpft, kämpft letztlich um die Herrfchaft. Das
hat Luther nicht verkannt: als Graf Johann Heinrich von
Leutenberg fich 1522 an ihn mit der Anfrage wandte,
ob es unrecht fei, katholifchen Predigern Zinfen und
Gut zu laffen, da erwiderte der Reformator, es fei das
höchfte Recht, daß man den Wolf aus dem Schafftall
jage und nicht anfehe, ob feinem Bauch damit Abbruch
gefchehe. Und wenn Reinerus Sacconi (contra Waldenses
c. III) von einem Häretiker Heinrich berichtet, der auf
dem Wege zum Schafott geäußert habe: ,Wenn wir die
Macht in Händen hätten, würden wir fie gegen euch
kehren', fo dürfte diefe Gefinnung nicht fo ganz vereinzelt
daftehen. Vor allem aber ift die Auswahl der
.Vorreformatoren', die der Verf. trifft, fehr eigentümlich:
Neben Waldes und Savonarola behandelt er Bernhard
v. Clairvaux, Petrus Venerabiiis, Heinrich v. Laufanne,
Joachim v. Flore, Franz v. Affiffi, Friedrich 11, Dante,
Petrarka, Katharina v. Siena, Lorenzo Valla ufw. ufw.
Das Recht dazu leitet er daraus ab, daß es drei Sorten
von Reformatoren gibt: folche, die die Inftitutionen flehen
laffen und die Menfchen beffern wollen, folche, die, an
derBefferung der Menfchen verzweifelnd, die Inftitutionen
umftürzen, folche, die bloß die Mißbräuche der Inftitutionen
abgeftellt wiffen wollen. Wenn das fo ift, warum
fängt der Verf. erft mit dem 12. Jahrhundert an? Es hat
doch auch fchon früher ernfte Männer gegeben, denen
die Befferung der kirchlichen Zuftände fehr am Herzen
lag; ich erinnere an die Cluniacenfer (die ja nach Sackurs
Forfchungen mit der gregorianifchen Partei nicht allzuviel
zu tun haben), an Karl den Großen, Bonifatius u. a.
Uns freilich will es dünken, als habe der Verf. alles, was
feit dem 12. Jahrhundert nur irgendwie originell war und
feine Originalität auch gegen das Beftehende durch-
zufetzen fuchte, unter die Rubrik .Vorreformatoren' gebracht
. Ob dies Verfahren freilich geeignet fein wird,
die Wiffenfchaft von der Bahn abzubringen, die fie ein-
gefchlagen hat, ift eine andere Frage.

Im einzelnen hat fich der Verf. feine Arbeit bisweilen
etwas zu leicht gemacht. Ich greife ein Beifpiel
heraus. Heinrich v. Laufanne flammte nach dem Verf.
aus Italien, hatte dort große Erfolge gehabt und fich
dann lange Zeit in Laufanne aufgehalten. Er vertrat die
Anfchauung, daß man die Frauen nicht um des Geldes,
fondern um ihrer inneren Qualitäten willen heiraten
folle. Er erklärte fich als Schüler des Petrus v. Bruis.
Er verfchwand noch vor dem Ende feines Prozeffes. Aus
welchen Quellen der Verf. alle diefe Angaben gefchöpft
hat, ift mir unbekannt. Alles einzelne genau zu befprechen
lohnt fich indeffen nicht, denn dem Verf. kommt es ja
hauptfächlich auf den neuen Gefichtspunkt an, unter den
er den Stoff gruppiert. In bezug darauf aber wird man,
trotz der gefälligen Art der Darftellung, nicht umhin
können, die Hoffnung auszufprechen, daß diefe jüngfte Inkarnation
des catalogus testium veritatis auch die letzte
fein möge.

Göttingen. Walter.

Haller, Prof. Dr. J., Papsttum und Kirchenreform. Vier Kapitel
zur Gefchichte des ausgehenden Mittelalters. Erfter
Band. Berlin, Weidmann 1903. (XX, 556 S.) gr. 8°.

M. 12 —

Wenn der fpäte Dank für empfangene Wohltat nicht
immer als ein Zeichen der Undankbarkeit aufgefaßt werden
darf, fo möchte auch die verfpätete Anzeige von J.
Hallers Buch nicht anders betrachtet werden denn als
hervorgerufen durch feinen Inhalt felbft, über den zu
berichten erft nach wiederholter Lektüre möglich fchien.
Um es gleich zu fagen, wir freuen uns feiner Veröffentlichung
einmal wegen feiner wohlüberlegten Anlage, die
den handelnden Perfonen, den Einrichtungen und An-