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Ausgabe:

1905

Spalte:

441-443

Autor/Hrsg.:

Achelis, Thomas

Titel/Untertitel:

Abriß der vergleichenden Religionswissenschaft 1905

Rezensent:

Rade, Martin

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. in Berlin, und D. E. Schürer, Prof. in Göttingen.

Jährlich 2h Nrn. Verlag: J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung, Leipzig. Jährlich 18 Mark.

Nr. 16. 5- Auguft 1905. 30. Jahrgang.

Achelis, Tri., Abriß der vergleichenden Religionswiffenfchaft
(Rade).

Schlögl, Die Bücher Samuelis (Lohr).

Schloegl, Libri Samuelis (Derf.).

Schloegl, Canticum Canticorum (Lohr).

Künftle, Das Comma Joamieum (Gregory).

Raufchen, Florilegium Patristicum fasc. II
(Knopf).

Bonet-Maury, Les precurseurs de la reforme

et de la libertd de conscience dans les pays

latins du XII» au XV* siöcle (v. Walter).
Haller, Papfttum u. Kirchenreform, I. Bd.

(Werminghoff).
Schlecht, Andrea Zamometic und der Ba.Ter

Konzilsverfuch vom Jahre 1482 I. Bd. (Haller).
Kropatfchek, Das Schriftprinzip der lutheri-

fchen Kirche, 1. Bd. Die Vorgefchichte, das

Erbe des Mittelalters (Koehler).

Spahn, Leo XIII (Bruckner).

Knortz, Römifche Taktik in den Vereinigten

Staaten (Bruckner).
Menegoz, Le fidelsme et la notion de la foi

(Lobftein).

Saul, Ift die Kindertaufe die Wiedergeburt?
(Lobftein).

Claß, Die Realität der Gottesidee (Elfenhans).

Achelis, Prof. Dr. Th., Abriß der vergleichenden Religionswissenschaft
. (Sammlung Göfchen. 208.) Leipzig, G.
J. Göfchen 1904. (IV, 163 S.) 120 Geb. M. —80

Wenn heute ein Kundiger über Religionswiffenfchaft
fchreibt, kann es feine Aufgabe nicht mehr fein, nur das
Intereffe dafür zu erregen, denn deffen ift überall genug.
Vielmehr ift feine Pflicht, in die Fülle des fchwer zu
kontrollierenden Stoffs Sicherheit, in die fchwankende
Behandlungsweife der Probleme Fertigkeit zu bringen.
Nach Kräften natürlich, aber der Ernft der Situation muß
ihm klar fein und der Ernft der Arbeit muß dem ent-
fprechen.

Ein Kundiger ift der Begründer des .Archivs für
Religionswiffenfchaft' ganz gewiß. Wenn er nun in der
.Sammlung Göfchen' auf 161 Seiten Duodez einen ,Abriß
der vergleichenden Religionswiffenfchaft' darbot, fo durfte
man erwarten, daß er in wohlbedachter Form uns einen
Extrakt feines Wiffens und Kennens darbieten würde.
Zum Zweck der Klärung in den Vorftellungen unterer
Gebildeten und der Wegweifung für die von der Fülle
der Gefichte leicht verwirrten Anfänger im Studium. Leider
aber läßt uns der Verfaffer mit der Erfüllung diefer
Hoffnung völlig im Stich. Ich kann mir nur denken, daß
er fich mit dem Büchlein keine Mühe gegeben hat. Finden
fich doch auch in diefer unzureichenden Arbeit einzelne
hübfche Partien, und mit den Grundanfchauungen könnte
man fich recht wohl vertragen. Nur daß fie durchaus
nicht klar und fiegreich zur Geltung kommen, ift der Jammer.

Wie wenig forgfältig diefer .Abriß' gearbeitet ift,
weifen wir leicht an den auftalligften formellen Mängeln
nach. Auf 160 Seiten diefes kleinften Formats findet fich,
wenn ich recht gezählt habe, 53mal ein Hinweis der Art:
.wovon fpäter noch die Rede fein wird' oder ,wie wir uns
früher überzeugt haben'. Mit diefer allgemeinen, Raum
verfchwendenden Wendung wird man alfo fortwährend
nach hinten und nach vorn verwiefen, mit allgemeinfter
Redensart ftatt deutlicher Seitenzahl — und wenn dann
hinten oder vorn die erweckte Sehnfucht wenigftens
erfüllt würde! Aber die verheißene Auskunft erfolgt in
der Regel nirgends, der Stoff ift ohne Ordnung hin und
hergeworfen. S. 113 zitiert der Verf. in behaglicher Breite
die Strophe der Seherin von Prevorft ,hier lieg ich betend',
weiß nicht mehr, daß er diefelbe Strophe bereits S. 61
wörtlich mitgeteilt hat, dort freilich mit zwei Druckfehlern:
.lebend' für .betend', .ficherft' für .fieheft'. Das ift bezeichnend
für die Flüchtigkeit, mit der er gearbeitet hat.
Wiederholt begegnet das gedankenlofe .bekanntlich' bei
Sachen, die dem Lefer nicht bekannt find und nicht
bekannt zu fein brauchen, S. 75 fogar ,der bekannte
Myftiker Dfchelaleddin Rumi'. Überflüffige Wendungen,
daß nur eine ,kurze Überficht', eine ,flüchtige Erörterung'

möglich fei, nehmen noch koftbaren Raum weg. Die
meiften Zitate werden ohne Ortsangabe dargeboten —
warum dann nicht alle? S. 56 begegnet das erfte Stellenzitat
: ,San Salvador S. 254' — was denkt fich der Lefer
darunter? Das Regifter ift völlig unzulänglich, die Lite-
raturüberficht mindeftens höchft willkürlich: man findet da
Bonus' Religion als Schöpfung, Kalthoffs Religiöfe
Weltanfchauung aufgeführt, aber nicht O re 11 is Allgemeine
Religionsgefchichte und nicht Tieles Kompendium.
Vom Stil muß ich doch einige Proben arger Nachläffig-
keit geben. S. 21: ,Eine ungemein logifche Konfequenz
liegt in der bekannten Lehre des Gautama, ein Urbild
aller fpäteren Myftik, indem fie die völlige Ertötung des
Individuums erfordert, die hier deshalb in aller Kürze
fkizziert fein mag'. S. 119L: ,dort [bei Buddha] eine Er-
löfung der Perfönlichkeit, hier [bei Chriftus] eine Befreiung
aus den Banden der Sünde und des Egoismus'. Gemeint
ift wohl: eine Erlöfung von der Perfönlichkeit; wie hindert
aber hier diefe Vernachläffigung des Ausdrucks an
wichtiger Stelle das Verftändnis dem Laien und Anfänger.
Und Achelis kann beffer fchreiben, wenn er will! Eine
auffallende fachliche Flüchtigkeit: Dionyfius Areop. wird
S. 24 kurzweg dem 4. Jahrh. zugewiefen.

Treten wir dem Inhalt des Abriffes näher, fo fällt
auf, daß wichtige Begriffe unerklärt bleiben. Feitico mußte
S. 10 einfach überfetzt werden; was find S. 78 Ordale?
was verlieht man unter Folklore S. 6? was nennt S. 79
der Religionshiftoriker Aberglaube? Ein befonders
fchlimmes Manko ift, daß der felbftverftändlich auch von
A. viel gebrauchte Begriff Animismus nirgends deutlich
erklärt wird. Man erfährt aus dem ganzen Buche nicht,
ob Animismus für ihn ,die fchrankenlofe Allbefeelung'
der Natur in jeglicher Form bedeutet (vgl. S. 84) oder
nur die Bevölkerung der Natur durch Ahnen und Ahnenkult
(S. iöf.): immer wird mit dem Terminus operiert
und nirgends eine fefte Stellungnahme zu ihm ermöglicht.
Zum Verzweifeln ift doch ein Satz wie der: ,In erfter Linie
ift nämlich der Baumkultus zu nennen, echt animiftifchen
Urfprungs, wozu vielleicht auch praktifche Nützlichkeitsgründe
getreten fein mögen, ungemein weit verbreitet,
faß: univerfell, feinerfeits mit dem Ahnenkult zufammen-
hängend' (S. 39). Man vergleiche S. 12, 13, 26, 27, 69,
79, 81 und die Stellen vom Totemismus.

Die ganze Anlage des Büchleins ift verfehlt. Sie muß
ja einen klaren Einblick in die Sache hindern. Drei
Kapitel: keines erzählt anfchaulich und knapp von der
Fülle und Folge der Religionen felbft, denn auch das
mittelfte gibt nicht Religionsgefchichte, fondern nur .Grundlinien
in der Entwickelung der Religionen', m. a. W. es
berichtet nicht fchlicht und knapp, wie fich für einen
Abriß geziemt, von den Religionen, fondern redet wie die
beiden fyftematifchen Kapitel ebenfalls über die Reli-

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