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Ausgabe:

1905

Spalte:

421

Titel/Untertitel:

Anonym, Adolf Harnack und die Naturwissenschaft 1905

Rezensent:

Harnack, Adolf

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421

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tum. Nur dann, wenn das Chriftentum die griechifchen |
Elemente, das Judentum die Gefetzlichkeit befeitigt, werden
beide, Judentum und Chriftentum, fo lange Beftand
haben als die Religion überhaupt, d. h. für immer, und
fich einigen können auf dem Grunde der Religion Jefu
und des Paulus, d. h. der Religion der Gefinnung, des
Glaubens und der Liebe, die im Alten Teftament und
Judentum angebahnt ift, in voller Reinheit aber allein
bei Jefus vorliegt und in dem Kern der Religiofität des
Paulus. — Auf viele intereffante Einzelheiten der Dar-
ftellung bei E. einzugehen, muß ich mir verfagen. Das
würde hier zu weit führen. Jedem chriftlichen Theologen,
der noch nicht die Notwendigkeit des Studiums der thal-
mudifchen Literatur für die Erforfchung des Urchriften-
tums eingefehen hat, fei die Lektüre der Ausführungen
E.s dringend empfohlen.
Gotha. Paul Fiebig.

Adolf Harnack und die Naturwissenschaft. Von einem Re-
rum naturalium curiosus. Bafel, B. Schwabe 1905.
(70 S.) gr. 8° M. 1.20

Der ungenannte Verfaffer hebt aus meinen Vor-
lefungen über das Wefen des Chriftentums ein paar
Stellen heraus, die den Anfchein erwecken können, als
machte ich in bezug auf Wunder doch einen ftillen Vorbehalt
und zöge nicht die Konfequenzen des von mir
formulierten Satzes: ,Wir find der unerfchütterlichen Überzeugung
, daß, was in Raum und Zeit gefchieht, den
allgemeinen Gefetzen der Bewegung unterliegt, daß es
alfo in diefem Sinne, d. h. als Durchbrechung des Natur-
zufammenhangs, kein Wunder geben kann'. Er felbft
vermutet aber fchon, daß die Inkonfequenz nur eine
fcheinbare ift, und ich ergreife gern die Gelegenheit, dies
ausdrücklich zu beftätigen. Ich denke über den Naturlauf
genau wie er. Die religiöfe Sprache aber, je wärmer
und daher zutreffender fie ift, wird es fchwer vermeiden
können, Bilder zu gebrauchen, die wider die Anerkennung
der Naturgefetze zu verftoßen fcheinen. Man
kann doch nicht jedesmal hinzufügen: jetzt fpreche ich
sub specie aeternitatis1 oder jetzt kommt es mir auf den
Wert der Sache an'. Weiter hebt der Verf. einige religiöfe
Hauptgedanken aus meinen Vorlefungen heraus,
billigt fie und führt fie weiter, auch hier fich bemühend,
die Terminologie von irreführenden Ausdrücken zu befreien
. In diefen Abfchnitten liegt der Hauptwert des
Büchleins: wir lernen einen tiefblickenden und philo-
fophifch gebildeten Naturforfcher kennen, der den Gottesglauben
vertritt, die chriftliche Ethik verteidigt und beide
mit einer empirifch-rationalen Denkweife zu verbinden
fucht.

Berlin. A. Harnack.

Butler, Dom Cuthbert, M. A., The Lausiac history of Palla-
dius. Ii The greek text edited with introduction and
notes. (Texts and studies. Edited by J. Armitage
Robinson. Vol. VI. No. 2.) Cambridge, University
Press 1904. (CIV, 278 p.) gr. 8° 10 sh. 6 p.

Dom Cuthbert Butler hat feine erfolgreichen Bemühungen
um die Historia Lausiaca des Palladius, über
die ich feiner Zeit in diefer Zeitfchrift (1899, 122 ff.) berichtet
habe, durch eine Textausgabe gekrönt, die, um
es gleich vorauszufagen, nach jeder Richtung das höchfte
Lob verdient. Es gibt in der mir bekannten Literatur
— von der Bibel abgefehen — kaum noch andere Texte,
die einer kritifchen Behandlung folche Schwierigkeiten
entgegenfetzen, wie die ältere Mönchsliteratur. Dadurch,
daß man diefe Bücher fehr bald in den KTöftern zur Erbauung
las, ift es gekommen, daß fie außerordentlich
häufig abgefchrieben worden find. Dom Butlers Lifte

enthält allein 89 Handfchriften, von denen keine einzige
über das 10. Jahrh. zurückreicht. Der Charakter diefer
Literatur war aber einer unverfehrten Erhaltung wenig
günftig. Denn die Schriften beliehen entweder aus lofe
aneinander gereihten anekdotenhaften Biographien {Historia
Lausiaca, historia monachorum, Caffians Collationes,
die verfchiedenen Geftalten des Paradisus) oder aus Aus-
fprüchen einzelner Mönchsväter {Apoplitliegmata Patrum
in griechifchen, lateinifchen, koptifchen, fyrifchen und
armenifchen Sammlungen, die noch ganz unbearbeitet
find). In allen Fällen war es leicht, daß man in den
urfprünglichen Rahmen der betr. Schrift allerlei Zufätze
einzwängte, die vielleicht zunächft nur für die Mönche
beftimmter Klöfter oder einzelner Landfchaften befon-
deres Intereffe hatten, die aber dann weiter abgefchrieben
wurden, über den Ürfprungsort hinausdrangen und fo
neue Typen diefer Erzählungen abgaben. Auch haben
die dogmatifchen Streitigkeiten der folgenden Jahrhunderte
, an denen das Mönchtum teilweife in hervorragender
Weife beteiligt gewefen ift, ihre Spuren auch an diefer
Literatur hinterlaffen. So wurden denn die Schriften,
bei denen keine ftrenge Dispofition die Eingriffe erichwerte
, teils durch Zufätze erweitert, teils durch Ab-
ftriche verkürzt, der Text vielfach willkürlich verändert,
namentlich aber in behaglicher Breite ausgedehnt, damit
er defto beffer den Zwecken klöfterlicher Unterhaltung
und Erbauung dienen könnte.

In diefem Chaos einer zügellofen Überlieferung fefte
Grenzlinien zu finden und die Maffe des überreich vorliegenden
Materials überfichtlich zu gruppieren, war die
erfte Aufgabe, die fich der Herausgeber der historia
Lausiaca ftellen mußte. Butler hat diefe Aufgabe mit
bewundernswertem Gefchick durch geduldige Unter-
fuchung einer großen Menge von Textzeugen gelöft. Ref.
hat dabei die Genugtuung, daß fich durch diefe eingehende
Unterfuchung diejenige Löfung des textkritifchen
Problems als richtig erwiefen hat, die er (Palladius und
Rufinus 1897) allerdings auf Grund völlig unzureichenden
Materials vorgefchlagen hatte. Butler unterfcheidet in
der Maffe der griechifchen Hff. drei Gruppen. Die erfte
(A), die der Ausgabe von du Duc (Migne) und der lateinifchen
Überfetzung des Hervet zugrunde liegt, ift dadurch
ausgezeichnet, daß fie in das Werk des Palladius
die historia monachorum eingearbeitet hat und zwar einfach
in der Weife, daß die ganze Maffe des letzteren
Werkes vereinigt blieb. Die zweite Gruppe (B) enthält
zwar die historia monachorum nicht, zeigt aber im einzelnen
vielfach Erweiterungen, die man mit der Art
vergleichen kann, in der Simeon Metaphraftes feine Vorlagen
zu behandeln pflegte. Die dritte Gruppe (G)
endlich enthält eine einfachere, knappere Form der
Darftellung, die nach den bei diefer Literatur fonft zu
beobachtenden Gefetzen des inneren Wachstums als die
relativ urfprünglichfte anzufehen ift. Leider ift gerade
diefe Gruppe — und das ift bezeichnend für die Über-
lieferungsgefchichte folcher Schriften — handfchriftlich
am fchwächften fundamentiert. Butler hat dafür nur drei
vollftändige Hff. benutzen können, Paris. 1628 {sc. XIV),
Tauritt. C. IV. 8 {sc. XVI) und Oxford, Christ Chunh,
Wake 67 {sc. X), von denen ihm die zuletzt genannte
infolge mangelhafter Katalogifierung erft während des
Druckes bekannt wurde, fodaß der Apparat von S. I—99
des Textes nach S. 170—175 vervollftändigt werden muß.
Abgefehen von diefen drei vojlftändigen Hff. Ii egen einzelne
Kapitel in gefonderter Überlieferung vor in fechs
weiteren Hff., außerdem hat Rosweyd in den Vitac
Patrum noch einen, wie es fcheint, jetzt verlorenen Codex
Venetus benutzt, der diefelbe Textgeftalt dargeboten
haben muß und der vielleicht auch noch einmal unvermutet
wieder auftaucht. Abgefehen von diefen drei
Gruppen enthält eine Anzahl von Hff. — Butler zählt
13 auf — einen Mifchtext, fodaß fie ftellenweife auch für
die Herftellung der Gruppe G verwertet werden können.

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