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Ausgabe:

1905 Nr. 14

Spalte:

412-413

Autor/Hrsg.:

Niedner, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Ausgaben des preußischen Staats für die evangelische Landeskirche der älteren Provinzen 1905

Rezensent:

Frantz, Adolf

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4ii

Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 14.

412

lung der betreffenden neuteftamentlichen Stellen, fondern 1
geht von Anfang an hiftorifch zu Werk und weift nach,
wie die alte Kirche nicht gegen die Polygamie als fefte
Form zu kämpfen hatte (wie die neuere Miffion in vielen
Ländern), da in der griechifch-römifchen Welt, wie auch
im damaligen Judentum, die Monogamie herrfchende
Sitte war (p. 3), wie aber immerhin im Konkubinat laxere
Gewohnheiten vorhanden waren, welche das Chriftentum
nicht dulden konnte. Im ganzen kommt er zu dem Ergebnis
, daß wir in der Gefchichte der erften Jahrhunderte
wenig finden, was uns Licht über diefes Problem geben
könnte (p. 3-—23. 171). Für die mittelalterliche Praxis
ift hauptfächlich ein Dekret Innozenz' III von 1200 maßgebend
, worin einerfeits anerkannt wird, daß nach dem
Beifpiel der Patriarchen in der vorchriftlichen Zeit poly-
gamifche Ehen als rechtmäßige Ehen betrachtet werden
dürfen, aber andererfeits betont wird, daß bei der
Schöpfung die monogamifche Ehe von Gott eingefetzt
worden und darum nach der Taufe eine polygamifche
nicht fortgefetzt werden dürfe. Nur mit der zuerft geheirateten
Frau dürfe der Mann fortleben (p. 301.). Was
die evangelifche Miffionspraxis betrifft, fo unterfcheidet
Warneck einen fchroff ablehnenden, einen konzedierenden
und einen vermittelnden Standpunkt. Effer fetzt
dafür: 1) die Annullationsmethode, die ausgeht von
der prinzipiellen Nichtigkeit der polygamifchen Verbindung
und ihre Auflöfung unbedingt fordert, 2) die
Legitimitätsmethode, welche fich darauf beruft, daß
die polygamifche Ehe in der Zeit vor der Taufe gefetz-
lich gefchloffen worden fei und darum ihre Auflöfung als
Bedingung für die Taufe nicht ohne weiteres verlangt
werden dürfe, 3) die Katechumenatsmethode, welche
die Polygamiften zwar in die Verbindung mit der chrift-
lichen Kirche aufnimmt, aber nur als Katechumenen
(p. 95 f.). — Schon die Reformatoren gingen in ihrer Beurteilung
der Polygamie auseinander. Luther, Melanch-
thon und Bucer waren anfangs tolerant gegen diefelbe,
was in ihren Äußerungen über Philipp von Heffen und
Heinrich VIII in einer für die evangelifche Kirche nicht
vorteilhaften Weife zum Vorfchein kam, aber fpäter wird
die Polygamie in der orthodox lutherifchen wie in der
reformierten Theologie entfchieden verurteilt (p. 65).
Wenn die neuere evangelifche Miffion noch zu keinen
einheitlichen Grundfätzen in der Behandlung der Polygamie
gekommen iß, fo rührt das wohl hauptfächlich
daher, daß man erß durch praktifche Erfahrung gelernt
hat, wie in verfchiedenen Ländern fehr verfchiedene
Formen der Ehe mit dem Namen Polygamie bezeichnet
werden (p. 85). Im 18. Jahrhundert flehten die Herrn-
huter in Weftindien und die Baptiften in Oftindien den
Grundfatz auf, daß Polygamiften, welche vor ihrer Taufe
mehrere Weiber rechtmäßig geheiratet haben, ihre Weiber
behalten, aber zu keinem Kirchenamt berufen werden
dürfen (p. 102). Aber in Südafrika fcheint im 19. Jahrhundert
eine ftrengere Praxis aufgekommen zu fein, gegen
welche der bekannte Bifchof Colenfo die Legitimitätsmethode
verteidigte. Wenn auch die Polygamie nicht
nach dem Ehegefetz des Paradiefes gefchloffen fei, fo
werde fie doch nicht fo direkt von Jefu verurteilt wie die
Ehefcheidung, und es verftoße gegen das Rechtsgefühl,
wenn man einen tüchtigen Mann zwingen wolle, feine
überzähligen Frauen zu entlaffen. Colenfo fand Zuftim-
mung bei dem Hermannsburger Miffionsfuperintendenten
Hardeland, dem Bifchof von Grahamstown und dem
Erzbifchof von Dublin (p. 109), aber viel größer war der
Widerfpruch bei der Mehrzahl der Miffionare in Südafrika
, und die Englifch-kirchliche Miffionsgefellfchaft
fprach durch ihren Sekretär Venn den Satz aus: ,die
polygamifche Ehe ift keine Ehe, fondern eine unerlaubte,
unrechtmäßige Verbindung' (p. 115). Dagegen betonten
die indifchen Miffionare, daß in Indien die Ehe eine
Art Sakrament fei; die Frau werde für immer mit dem
Mann vereinigt, ihre höchfte Ehre fei, ihm zu folgen in

den Tod. Darum wurde hier das Legitimitätsprinzip verfochten
. Doch gab es auch hier entgegengefetzte Stimmen.
Für die anglikanifche Kirche wurde die Angelegenheit
1888 durch eine Lambethkonferenz von 145 Bifchöfen
geregelt, welche anerkannte, daß wegen der ethnogra-
phifchen Verfchiedenheiten nicht gut allgemein bindende
Befchlüffe gefaßt werden können, aber empfahl, daß Polygamiften
zwar in den Katechumenenunterricht aufgenommen
, jedoch nicht getauft werden follten, bis fie das Gefetz
Chrifti angenommen haben. Dagegen wurde die
Taufe der Weiber von Polygamiften nicht beanftandet.
Den einzelnen Bifchöfen in den Miffionsländern wurde es
überlaffen, Abweichungen von der allgemeinen Regel zu
genehmigen (p. 130—132). Für die kontinentalen Mif-
fionsgefellfchaften behandelte die Bremer Miffionskonfe-
renz 1897 die Frage. Aber auch hier ergab fich eine
verfchiedene Behandlung auf den verfchiedenen Miffions-
gebieten. Die Basler Miffion hatte aus der Zeit von In-
fpektor Jofenhans eine Gemeindeordnung mit genauer
Inftruktion über die Behandlung der Polygamiften; aber
auch diefe konnte nicht auf alle Miffionsgebiete gleichmäßig
angewendet werden. Im ganzen hat man in verfchiedenen
Mißtönen die Erfahrung gemacht, daß die Gemeindeglieder
und die Gemeindeälteften entfchiedener
gegen die Taufe von Polygamiften find als die Miffionare,
weil fie keine Ausnahmen von der allgemeinen Regel
wollen. — Die Praxis der neueren katholifchen Miffionen
befpricht Effer nicht. Aber im ganzen ift die Schrift eine
erwünfchte, fehr dankenswerte Arbeit, zu welcher das
kirchengefchichtliche und das miffionsgefchichtliche Material
forgfältig zufammengetragen wurde.

Calw. P. Wurm.

Niedner, Prof. Oberlandesger.-Rat Dr. Johannes, Die Ausgaben
des preußischen Staats für die evangelische Landeskirche
der älteren Provinzen. Ein Beitrag zur Gefchichte
der evangelifchen Kirchenverfaffung in Preußen.
(Kirchenrechtliche Abhandlungen. Herausgegeben
von U. Stutz. 13. und 14. Heft.) Stuttgart, F. Enke
1904. (X, 319 S.) gr. 8° M. 11 —

Soviel auch fchon über die Ausgaben des Staates
für die evangelifche Kirche gefchrieben und gefprochen
wurde, fo gefchah das doch immer vorwiegend unter
politifchen Gefichtspunkten, und auf die Feftftellung der
dabei in Betracht kommenden Rechtsverhältniffe wurde
weniger Gewicht gelegt. Verf. hat es unternommen, die
Frage vom juriftifchen Standpunkte zu behandeln, und
hat in gründlicher Unterfuchung Klarheit über die obwaltenden
Rechtsverhältniffe gefchaffen. Seine Ausführungen
find um fo wertvoller, als fie überall auf
quellenmäßige Belege fich ftützen, und zwar wird nicht
bloß das gedruckte, jedermann zugängliche Material benutzt
, fondern auch, was befonders hervorgehoben zu
werden verdient, ungedruckte Quellen aus den Archiven
der einfchlagenden Zentralbehörden in ergiebiger Weife
herangezogen. Bei feiner Darftellung befolgt Verf. die
Methode, die Quellen felbft in weiteftem Umfange
fprechen zu laffen. Wenn dadurch auch eine gewiffe
Breite der Darftellung bewirkt wird, fo bietet der vom
Verf. eingefchlagene Weg doch den nicht zu unter-
fchätzenden Vorteil, daß der Lefer in die Lage verfetzt
wird, die Richtigkeit der aufgeftellten Sätze felbft einer
Nachprüfung zu unterziehen. Im einzelnen erörtert Verf.
zunächft die Entftehung der Staatsausgaben für das
evangelifche Kirchenwefen vor dem 19. Jahrhundert und
behandelt fodann die Bedeutung des Allgemeinen Landrechts
fowie der auf Grund des Reichsdeputationshaupt-
fchluffes erfolgten Säkularifationen. Des weiteren werden
die ftaatlichen Bewilligungen in der Zeit von 1815 —1848
auf ihren Rechtscharakter geprüft, darauf der Einfluß
des Art. 15 der preußifchen Verfaffungs-Urkunde unter-