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Ausgabe:

1905 Nr. 13

Spalte:

388

Autor/Hrsg.:

Hans, Julius

Titel/Untertitel:

Religiöse Fragen. Drei Vorträge 1905

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Seite 1

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3^7

Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 13.

388

Analyfeder religiöfenVorgänge nicht vordem Illuüonismus
fchützt, muß die religiöfe Vernunft Lehren aufftellen und
als wahr erweifen, die aber weniger Grundlehrfätze als
Lebensgrundfätze für die Gemeinde fein follen. So be-
fpricht F. knapp einige Punkte: Lehrgrund ift die in Verbindung
mit den Urfprüngen unferer chriftlichen Religion
gehaltene religiöfe Vernunft; Gott muß immer mehr als
immaterieller Geift erfaßt, das Hemmnis der orthodoxen
Jefusanbetung und der modernen Jefusvergötterung be-
feitigt und der Gottesglaube auf die Gotteserkenntnis
geftellt werden, während Chriftus auf die Seite der eben-
dadurch höher geftellten Menfchheit gehört. Von dem
religiöfen Grundverhältnis, der Gottinnigkeit des menfch-
lichen Geiftes aus, muß mit ftetiger Rückficht auf Jefus,
das Ideal des Lebens und ideale Haupt der Gemeinde,
das Leben der Frommen frei und fromm geftaltet werden.
Praktifch hat die Kirche unter theoretifcher Anleitung
der Homiletik dafür zu forgen, daß die Gemeinde auch
auf der Kanzel unterrichtet werde über die gefchicht-
lichen, religiös-fittlichen und philofophifchen Fragen, um
fie vom alten dogmatifchen Zwang freizumachen und zu
felbftändiger religiöfer Intelligenz heranzuführen.

Trotz der oft fehr fchwierigen Schreibweife Fifchers
und Dorners gewinnt man aus diefen Vorträgen einen
Eindruck von dem, was gegenwärtig der Proteftanten-
verein auf theoretifchem und praktifchem Gebiete
will. Einig ift man in der Abweifung jeder Lehrgefetz-
lichkeit, in dem Beftreben, das Chriftentum dem modernen
Geiftesleben entfprechend zu geftalten, in dem Verlangen,
die Wahrheit des Chriftentums weder durch die Autorität
der Bibel und der Kirchenlehre, noch durch einfache
Aufnahme des religiöfen Tatbeftandes, fondern durch die
Arbeit der ,religiöfen Vernunft* feftzuftellen. Ein Unter-
fchied fcheint in bezug auf die Stellung zur Gefchichte,
befonders zur Perfon Jefu zu beftehen. Während Dorner
und Fifcher auf das allgemein-gültige Prinzip aller Religion
, die Gotteskindfchaft, Wert legen, das in Jefus nur
feine Darftellung gefunden hat, fleht Sülze den Theologen
näher, die in dem gefchichtlichen Jefus ihren
Orientierungspunkt fehen wollen. — Hierin hat er ohne
Zweifel vor den beiden andern recht, da es fich im
Chriftentum nicht um allgemein-religiöfe Wahrheiten,
fondern um Lebenskräfte handelt, die ohne engfte Verbindung
mit ihrem Urfprung nicht leicht zu haben und
zu übertragen find. Es ift doch fehr die Frage, ob es
einen Wert hat, zugunften der allgemeinen Religiöfität
und Wahrheit auf die fpezififche Kraft zu verzichten, die
in dem konkreten gefchichtlichen Religionsgebilde liegt,
auf dem wir immer noch trotz allen dazwifchen eingekommenen
Strömungen itehen. — Die Erhebung der
Autoritätsreligion zur Perfönlichkeitsreligion im prak-
tifchen Programm kann man freudig unterschreiben, wenn
damit die Selbständigkeit in theoretifchen Dingen gemeint
ift; ob wir in unferm praktifchen religiös-fittlichen Leben
die Autorität entbehren können, die in Gott und Jefus
liegt, ift eine andere Frage. Der Optimismus Sulzes, als
wenn durch die Bildung von Perfönlichkeitsgemeinden,
die Hoffnung Mayers, als ob durch Aufklärung über die
wahre Auffaffung des Chriftentums der Atheismus überwunden
werden könnte, fcheint mir nicht mit den wirklichen
Lebensverhältniffen zu rechnen. Die Schuld an
der Entfremdung trägt doch nicht nur die Verkündigung
der Kirche. Die Forderung Fifchers an die Homiletik
muß in diefem Umfang entfchieden abgewiefen werden,
da es nicht überall und immer Aufgabe der Predigt ift,
aufklärerifche apologetifche Arbeit zu tun. — Bei aller
Berührung in manchen Fragen und Aufgaben fpürt ein
Anhänger der Chriftlichen Welt doch fehr deutlich einen
andern Geift durch, wenn man diefe Vorträge lieft; am
einfachsten läßt er fich wohl fo faffen, daß man fagt: in
theoretifcher Hinficht heißt hier die Lofung nationales
Grundverhältnis', dort Jefus der Weg zu Gott', in praktischer
kommt es auf die verfchiedene Bedeutung hinaus,

die hier und da der aufklärenden theologifchen Arbeit
beigelegt wird.

Heidelberg. Niebergall.

Hans, Julius, Religiöse Fragen. Drei Vorträge. Augsburg,
Schloffer 1904. (III, 71 S.) 8° M. 1 —

Diefe Schrift enthält drei vor einem größeren ge-
mifchten Publikum in Augsburg gehaltene Vorträge mit
apologetifchem Charakter. Im erften weift H. nach, daß
die durch menfchliche Bedürfniffe geforderte und durch
göttliche Offenbarung verwirklichte Religion und die Arbeit
der Kultur fich nicht feindlich gegenüber flehen,
fondern fich fo ergänzen, daß die Religion (warum nicht
Chriftentum?) die Richtung gibt und die fittlichen Kräfte
fchenkt. Im zweiten führt er aus, daß der Glaube zu
einem Wiffen kommt, ebenfo wie die Wiffenfchaft ohne
Glaube unmöglich ift; zum Glauben führt eine innerliche
Nötigung und eine Willensentfcheidung, und fein Wert
liegt in der Erhöhung des ganzen Lebens. Der dritte
Vortrag legt dar, daß weder die Gefetzmäßigkeit, noch
das Übel, noch die Sünde der Welt uns im Glauben an
den perfönlichen Gott irre zu machen brauchen.

Die im Geift der Chriftlichen Welt gehaltenen, fehr
tüchtig durchgearbeiteten und in allgemein verftändlicher
Sprache abgefaßten Vorträge können zum Verfchenken
und Verleihen an intereffierte Gemeindeglieder fowie als
Mutter für ähnliche Vorträge ohne Einfchränkung empfohlen
werden.

Heidelberg. F. Niebergall.

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