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Ausgabe:

1905 Nr. 12

Spalte:

355-359

Autor/Hrsg.:

Demski, Augustin

Titel/Untertitel:

Papst Nikolaus III. Eine Monographie 1905

Rezensent:

Walter, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 12.

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wahllofer geführten Kampfes um die Reorganifation der
Bifchofswahlen (S. 105 ff.) verdient uneingefchränktes
Lob. Die Verbindung diefer Hauptpartien ift weniger
glücklich durchgeführt, vor allem würde etwas mehr
innere und äußere Gliederung die Brauchbarkeit der
Arbeit wefentlich erhöht haben. Daß die Verfafferin
mit dem Erklärungsverfuch S. 172, weshalb Johann dem
Papfte fein Land zu Lehen zu geben fich entfchloß, das
Richtige getroffen hat, möchte ich bezweifeln. Die Ge-
fühlsfeite ift hier nicht nur von ihr überfchätzt worden,
fondern könnte ruhig ausgefchaltet werden. Auch der
Papft wußte fehr genau, daß es für Johann die einzig
wirkfame und radikale Kur war, ihn mit Hilfe der
ganzen Skala kirchlicher Strafgewalt zu einem vogelfreien
König ohne Land zu machen. Wenn man fich
ftündlich vor keinem Untertanen mehr des Lebens ficher
fühlen kann, und wenn alle anderen Mittel, diefem
Zuftande ein Ende zu machen, bis aufs äußerfte erfchöpft
find, fo bedarf es, fofern man das Leben höher als die
Ehre einfchätzt, nicht erft ,myftifcher Verkündigungen'
und ,prophetifcher Offenbarungen', um durchs kaudinifche
Joch zu gehen. Auch Kaifer Heinrich ift nicht nach
Canoffa gegangen, weil ihn myftifche Vorftellungen
plagten. Tadelnswert finde ich auch die Übertragung
von modernen, meift der Journaliftik entnommenen
Schlagworten ins Mittelalterliche und folch nichtsfagende,
vage Urteile, wie z. B. S. 32, daß Innozenz ,der größte
Realpolitiker des Mittelalters' fei. Sommerlad in Halle
ift das bedauerliche Beifpiel hiefür, wie man mit diefen
Dingen Schiffbruch leiden kann. Die Sympathien der
Verfafferin find auf Seite der königlichen Partei, und
Apologeten des Papfttums werden gewiß vieles auszu-
fetzen haben und für fich anführen können, da durch die
Wirrnis der Quellen kein allgemein gültiger Pfad führt,
wenn ich fo fagen darf, bei dem es fich nur darum
handelt, rechts und links vom Wege Ordnung zu fchaffen.
Solchen Angriffen kann fie ruhig entgegenfehen. An
Äußerlichkeiten ift leider manches auszufetzen. Seite 31
foll es doch wohl ,zitieren' ftatt datieren heißen? S. 47
Anm. ift der Satz gänzlich verdreht. Das Lateinifche
und Englifche find nicht gerade muftergültig. S. 108 fteht
de iure elegendi; S. 195 de scarcario; ,Appellation- findet
fich in drei Variationen gefchrieben (SS. 186. 187!);
S. 2 Seletc Charters. Die Quellen find vielfach ungenau
zitiert (Duchesnes L. P. ift zweibändig!) und d. V. würde
beffer tun, fich an allgemein bekannte Siglen zu halten,
ftatt Titel umftändlich derart abzukürzen, daß man fich
am falfchen Sinne, der herauskommt, flößt (S. 172
MIÖG) Ich glaube, für die Mühe, die man aufwenden
muß, um folche P'lüchtigkeitsfehler auszumerzen, wird
man reichlich dadurch entfehädigt, daß dann der Arbeit
ein um fo größeres Vertrauen auf forgfältige und einwandfreie
Ausnützung der Quellen entgegengebracht
wird.

Bonn. Siegmund Keller.

Demski, Schloßkapl. Auguftin, Papst Nikolaus III. Eine
Monographie. (Kirchengefchichtliche Studien. Herausgegeben
von Knöpfler, Schrörs, Sdralek. VI. Band.
I. u. II. Heft.) Münfter i. W., H. Schöningh 1903.
(XII, 364 S.) gr. 80 M. 8.40

Das Pontifikat Nikolaus' III 1277—80 repräfentiert
eine interelfante Epifode in der Gefchichte des Papfttums.
Während die Päpfte nach dem Sturz der Hohenftaufen
ihren politifchen Rückhalt an Karl v. Anjou und feinem
Haufe fuchten, bis fie in die unwürdige Abhängigkeit
von Frankreich gerieten, fuchte fich Nikolaus III vom
fizilifchen König zu löfen und dem Papfttum eine felb-
ftändige Politik zu ermöglichen. Bei der Durchführung
diefes Gedankens wurde der fähige Mann von einem
fchier beifpiellofen Glücke begünftigt. Er veranlaßte

Karl zum Verzicht auf die römifche Senatur: das wichtige
Amt wurde ihm felbft von den Römern übertragen.
Er entzog Karl das Reichsvikariat über Tuscien und
erhielt von Rudolf v. Habsburg die Erlaubnis, es einer
ihm genehmen Perfönlichkeit zu übertragen. Karl mußte
entfehädigt werden: auf Betreiben des Papftes verftand
fich Rudolf dazu, ihm die Provence und Forcalquier
definitiv zu übertragen, obgleich ihn das in einen fchweren
Konflikt mit Frankreich zu verwickeln drohte. Der Papft
beftimmte als Mitgift für Rudolfs Tochter dementia,
die einen Großfohn Karls heiraten follte, das Königreich
Arelat, und Rudolf gab feine Einwilligung, obwohl er
damit ein dem englifchen König gegebenes Verfprechen
brach. Über die Romagna hatten bisher die deutfehen
Kaifer verfügt: Rudolf verzichtete auf dies Gebiet zu-
gunften des Papftes. Aus diefer Überficht erkennt man
bereits das Problem diefes Pontifikats: Wie ift Rudolfs
fchrankenlofe Nachgiebigkeit Nikolaus gegenüber zu erklären
? Das Problem wird um fo reizvoller, als es Arnold
Buffon (SWA. 88. p. 635 ff.) durch die glänzende Hypo-
thefe vom Vierftaatenprojekt beantwortet hat. Rudolf
habe auf den Kaifertitel und das Reichsgebiet in Italien
verzichten, dafür aber aus dem deutfehen Wahlkönigtum
eine Erbmonarchie des Haufes Habsburg machen wollen.
Hierbei follte ihn der Papft, der nach damaliger An-
fchauung den Kurfürften ihr Wahlrecht verliehen hatte,
in geeigneter Weife unterftützen. Tuscien und die Lombardei
follten zwei felbftändige Staaten werden und das
Arelat follte an Karl von Anjou fallen. —

Die Behandlung der hier berührten Fragen füllt die
größere Hälfte der Monographie Demskis aus. Er leugnet
die Exiftenz des Vierftaatenprojekts; allein mit
wenig Glück. Im wefentlichen begnügt er fich damit,
die fchwachen Argumente F. Savios (Civ. catt. XVI, 1,
p. 286 ff.) und die wenigen oberflächlichen Bemerkungen'
der Differtation A. Giefes zu reproduzieren, obgleich
er die fcharfe Kritik beider Forfcher bei Böhmer-Redlich
{Reg, imp. VI, 1156a) gelefen hat. Zunächft fucht er die
Quellennachrichten, mit denen Buffon und andere ihre
Hypothefe nützen, zu entkräften. Die Haupftelle bei
Ptolemäus von Lucca werde durch die Parenthefe ,ut
tradunt Jastoriae- diskreditiert (Giefe). Als ob Ptolemäus
fonft bloß als Augen- und Ohrenzeuge berichtet! Auf
dem Konzil von Lion 1274 hatte Humbertus de Romanis
einen dem Vierftaatenprojekt ganz ähnlichen Vorfchlag
gemacht. D. leugnet den Zufammenhang beider Projekte,
indem er auf die Humberts Gedanken entgegengefetzte
Politik Gregors X hinweift und behauptet, folche Pläne
feien unter Vorausfetzung geordneter Zuftände im Reich

undenkbar (p. 173 u. 187L cf. Savio). Allein damit ift
noch nicht widerlegt, daß Humberts Vorfchlag an der
Kurie auf fruchtbaren Boden fiel, zumal fchon Urban IV
eine Trennung des Kaifertums vom deutfehen Königtum
geplant hatte. Und an die Möglichkeit folcher Pläne
auch nach Rudolfs Wahl haben wenigftens die Zeitge-
noffen geglaubt (Jordanus von Osnabrück und die Ür-
kunde MIÖG XII 647 ff.), folglich können wir fie nicht

| einfach beifeite fchieben. Über die Exiftenz diefer in
Deutfchland weit verbreiteten Gerüchte fetzt fich der
Verf. viel zu leicht hinweg; die Erklärung (p. 211), fie
feien infolge der langen refultatlofen Verhandlungen
Rudolfs mit der Kurie über die Krönung entftanden,
ift eine Verlegenheitsauskunft. — Ferner wendet fich
D. gegen die inneren Gründe, die für das Vierftaatenprojekt
fprechen. Wenn Rudolf das Arelat dem Enkel
Karls v. Anjou überläßt und dem Papft die Verfügung
über Tuscien überträgt, dagegen nach Nikolaus' Tode
Tuscien fofort unter feine Beamten ftellt, fo beweife das
nach (Savio, Giefe u.) dem Verfaffer nichts für die Exiftenz
des Planes, Deutfchland zu einer Erbmonarchie zu
machen (p. 183. 188. passim.). Allein D. hat das Gewicht
diefes Arguments gar nicht empfunden, denn es
handelt lieh hierbei ja doch um die tatfächliche Aus-