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Ausgabe:

1905 Nr. 11

Spalte:

334

Autor/Hrsg.:

Dechent, Hermann

Titel/Untertitel:

Herder und die ästhetische Betrachtung der heiligen Schrift 1905

Rezensent:

Stephan, Horst

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333

Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. II.

334

können. Das erfte der Werke {De ritibus quae intersit
differentia inter Latinos et Graecos) ift in lateinifcher
Sprache wiedergegeben; die beiden anderen {Defestis
apostolorum und de sacramentis) in italienifcher, in der
Lambertini alle feine Schriften niederzufchreiben pflegte;
auch das erfte Werk findet fleh noch in italienifcher
Faffung im Vatikanifchen Archiv {Mise. III, 295). Die
Zeit der Abfaffung hat der Herausgeber nicht genau ermitteln
können: de Ritibus Graecorum und de Sacramentis
muß zwifchen 1753 und 1758 verfaßt fein, während
von de festis Apostolorum nur feftfteht, daß es nach 1745
angefangen worden ift. Hier wird P. A. Kirfch, der, wie
Heiner mitteilt, eine Monographie über Benedikt XIV.
vorbereitet und den Pierausgeber auch auf die vorliegenden
Werke aufmerkfam gemacht hat, gewiß noch Genaueres
ermitteln können.

Es ift natürlich nicht fchwer, die hier abgedruckten
Werke von unferem heutigen wiffenfehaftlichen Standpunkte
aus zu beurteilen; dagegen ift es, wenigftens für
mich, fo gut wie unmöglich, die Werke vom Standpunkte
des 18. Jahrhunderts aus richtig zu würdigen. Profper
Lambertini gilt, und nach dem, was ich von ihm weiß,
mit Recht, als einer der gelehrteften Männer des 18. Jahrhunderts
, und auch die vorliegenden Werke legen auf
jeder Seite Zeugnis ab von der großen Gelehrfamkeit
des Papftes auf dem Gebiete der Kirchengefchichte,
Liturgik und Symbolik. Und als Materialienfammlung
zu den behandelten Fragen werden fie wohl auch heute
noch gute Dienfte leiften können. Zudem ift es wertvoll
zu erkennen, wie ein Papfl über das Verhältnis der
römifchen Kirche zu den anderen Kirchen — es kommt
vornehmlich die griechifche in Betracht — urteilt. Es
wäre wünfehenswert, daß unterfucht würde, ob er nicht
auch hier einen maßvolleren Standpunkt eingenommen
hat, als diejenigen, die fich als die Vertreter der aus-
fchließlichen Kirchlichkeit feiner Zeit betrachteten. Ferner
wäre zu unterfuchen, in wie weit die hier behandelten
Fragen von den praktifchen Bedürfniffen der Regierung
des Papftes aus aufgeworfen worden find. Denn das wird
niemand glauben wollen, daß fie von dem Papfte lediglich
aus wiffenfehaftlichem Intereffe beantwortet worden
find. Dafür macht fich die kirchenregimentliche Stellung
des Papftes auch in den vorliegenden Werken viel zu
fehr geltend. Von Heiner erfahren wir über die Bedeutung
diefer Schriften als hiftorifcher Urkunden der Zeit
des Papftes nichts.

Daß die Schriften den wiffenfehaftlichen Betrieb des
18. Jahrhunderts gut fehen laffen und für ihre Zeit bedeutende
wiffenfc'haftliche Leiftungen find, brauche ich
nicht erft zu beweifen. Aber anders liegt die Sache, wenn
man den heutigen Maßftab an fie legt. Benedikt XIV.
würde heute vieles anders zu fagen haben und vieles
beffer wiffen. Auf jeder Seite macht es fich bemerkbar,
daß die vorliegenden Schriften nach einer veralteten
Methode gearbeitet find und keinen Gebrauch machen
von den Fortfehritten, die unfere kirchengefchichtliche
Wiffenfchaft in 150 Jahren errungen hat. Ich denke nicht,
daß ich diefe Fortfehritte überfchätze; wer auf dem Gebiete
der Patrillik gearbeitet hat, der weiß, daß wir über
die Arbeiten der großen Mauriner auch heute noch in
vielen Punkten nicht hinaus find. Was Benedikt aber
z.B. über die Fefle der Apoftel fagt, ift völlig ungenügend.
Es fehlt hier, wie in den Schriften im allgemeinen der
hiftorifche Sinn; auch die Schriften katholifcher Theologen
laffen doch heute die Frage nach der Entftehung
und Entwicklung hiftorifcher Vorgänge nicht mehr außer
Acht. Selbftverftändlich werde ich dem Herausgeber
nicht zum Vorwurfe machen, daß er Benedikts Schriften
nicht in modernes Gewand gekleidet hat; er hätte fie ja
durchaus umarbeiten müffen. Aber ich glaube, es wäre
feine Pflicht gewefen, darauf hinzuweifen, auf welcher
Stufe fich die Beantwortung der von Benedikt aufgeworfenen
Fragen heute befindet. Und wenn er nur wenigftens
den Verfuch gemacht hätte, die Zitate Benedikts
der modernen Zitierungsweife anzupaffen; wenn man die
Schriften benutzen will, fo braucht man ja unheimlich
viel Zeit, die angeführten Belegftellen aufzufinden. So
wenig ich die Berechtigung, die unbekannten Schriften
Benedikts der gelehrten Welt zugänglich zu machen,
leugnen möchte, fo wenig kann ich verkennen, daß der
Herausgeber fich feine Arbeit zu leicht gemacht hat. Ich
hoffe, daß Kirfch das hier Verfäumte nachholt; möchte
er vor allen Dingen in feiner Monographie nicht zurückbleiben
hinter den Erwartungen, die man auf die Behandlung
einer von Theiner einft aufgenommenen Arbeit
(Hafe, Kirchengefchichte, II. Aufl. S. 516, Anm. i) zu
fetzen berechtigt ift.

Halle a. S. G. Ficker.

Dechent, Pfr. Dr. H., Herder und die ästhetische Betrachtung
der heiligen Schrift. (Vorträge der theologifchen
Konferenz zu Gießen 22. Folge.) Gießen, J. Ricker
1904. (34 S.) gr. 80 M. — 75

Mehr als alle Schriften, die dem Herder-Gedenktag
ihr Dafein verdanken, fucht die vorliegende auf die reli-
giöfe und theologifche Lage der Gegenwart zu wirken.
Sie zerfällt in 2 Teile. Der erfte (S. 5—21) Hellt die
äfthetifche Schriftbetrachtung Herders in klarem Bilde
dar. Unter ,äfthetifch' verfteht er dabei alles Poetifche,

j Künftlerifche und Hiftorifche, die liebevolle Hingabe an

| das individuelle Leben der einzelnen Bücher, ,den im
einzelnen unwägbaren aber gewiß unleugbaren Einfluß,
den Gemüt, Phantafie, Pietät für Gewachfenes, Gefühl
für das Erhabene, Freude am Menfchlichen für das tiefere
Verftändnis eines Schriftwortes in die Wagfchale werfen
' (5 f.). Auch die befondern Gefahren diefer Betrachtungsweife
fehlen nicht (17—21). Der 2. Teil (21 —
32) wandelt die Ergebniffe des erften in 3 pia desideria

j um, die den theologifchen Forfchern, den Predigern und
Religionslehrern zugerufen werden: fie follen, jeder auf

I feinem Gebiete, Herders Geht in ihrer Schriftverwertung
walten laffen, fie follen durch die Anwendung äfthetifcher
Gefichtspunkte die religiöfen Tiefen der Bibel beffer er-
fchheßen, als es durch bloße Literarkritik und Gelehrfamkeit
möglich ift. —■ Das anfpruchslofe, fchlichte

1 Schriftchen will die Herderforfchung nicht bereichern,
fondern praktifch nutzbar machen. Was es fordert, ift
durchaus im Sinn der Zeit. Niemand wird leugnen, daß
faft alle Theologen der Gegenwart fich wenigftens be-

1 mühen, Kritik und Wiffen der Bibel gegenüber nur als
Mittel zu gebrauchen, als Mittel einer pofitiven Würdigung
und eigenen Bereicherung. Es ift verdienftlich, daß
Dechent, indem er Herders Geift befchwört, diefe Strömung
noch verftärken will. Denn mag auch Herder
als religiöfe und theologifche Gefamterfcheinung der
überwundenen, unter beftimmten gefchichtlichen Bedingungen
flehenden Werdezeit des neueren Chriftentums
angehören, gerade in feiner äfthetifch-religionsgefchicht-
lichen Betrachtung der Bibel kann er noch immer Vorbild
bleiben. Über Einzelheiten zu rechten, gibt das
Schriftchen keinen Anlaß. Höchftens fei das eine bemerkt
, daß unter den wichtigen biblifchen Werken Herders
die Erläuterungen zum Neuen Teftament (1775)
fehlen, deren Kraft fich fowohl an Goethe (z. B. Logos-
überfetzung im Fault!) wie an Leffing (PTziehung des
Menfchengefchlechts!) erprobt hat. Bezieht es fich doch
vor allem auf diefes Buch, was Goethe 1775 feinem
Freunde fchreibt: ,Deine Art zu fegen, und nicht etwa
aus dem Kehricht Gold zu fieben, fondern den Kehricht
zur lebenden Pflanze umzupalingenefieren, legt mich
immer auf die Knie meines Herzens.'

Leipzig. H. Stephan.