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Ausgabe:

1905 Nr. 10

Spalte:

313-316

Autor/Hrsg.:

Dargan, Edwin Charles

Titel/Untertitel:

A history of Preaching 1905

Rezensent:

Schian, Martin

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 10.

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famtbedürfnis' (S. 103). Es trete klar zutage, ,daß das
gefamte menfchliche Erkennen eine Intereffenwirtfchaft
darftellt, fo daß alle Ergebniffe nach dem einen Gefichts-
punkt gefchätzt und gewertet werden, ob und inwieweit
diefelben dazu helfen können, daß der Menfch beffer
durch die Welt kommt' (S. 94). Zum Beweis für diefe
Behauptungen argumentiert W. bezeichnender Weife vor
allem mit Beifpielen aus der Denktätigkeit des Kindes,
das freilich das Ideal des unintereffierten Erkennens noch
nicht haben kann. Ferner behauptet er, daß ,die Reli-
gionsgefchichte gleichbedeutend ift mit der Entwick-
lungsgefchichte des menfchlichen Verftandes' (S. 42).
Nun richtet fich freilich das religiöfe Erkennen auf die
Objekte, von denen der Menfch fein Wohl und Wehe
erwartet. Infofern entfpricht das religiöfe Erkennen am
erden dem Ideal des vom Verf. erftrebten Erkennens.
Aber daß die Religionsgefchichte nicht identifch ift mit
der Gefchichte des Erkennens, ergibt fich klar daraus,
daß fich aus der urfprünglich im mythologifchen Zeitalter
gegebenen Einheit von Religion und Wiffenfchaft
allmählich Fhilofophie und Wiffenfchaft gefondert und
das Ideal des unintereffierten, rein fachlichen Erkennens
ausgebildet haben. Auf den vom Verf. gewunfchten
Kindheitszufland werden fie fich niemals zurückfchrauben
laffen. — W. bürdet dem rein fachlich vorgehenden Erkennen
die Schuld auf, daß es den Menfchen zu einem
verfchwindenden Stäubchen im Weltall erniedrigt habe
und fo die erhabenen Anfprüche des Menfchengeiftes
nicht zu würdigen wiffe. Indeffen wo das Erkennen auf
falfche Bahnen geraten ift, kann es allein durch Geltendmachen
unbeachtet gebliebener oder zu wenig berück-
fichtigter Tatfachen fich felber korrigieren, nicht indem
Gemütsbedürfniffe und Werte von außen als fremde
Mächte dreinreden und dem Erkennen ein andersartiges
Ziel vorfchreiben. Die Wiffenfchaft ,will wiffen, nichts
als wiffen, und zwar nur um zu wiffen' (Lagarde). —
Dagegen ftimme ich dem Verf. zu, wenn er das welent-
lichfte Merkmal des Chriftentums in dem herzlichen Vertrauen
zu der die Welt beherrfchenden Macht fieht. Von
diefem Vertrauen hänge auch die fittliche Leiftungskraft
und die wiffenfchaftliche und kulturelle Fähigkeit der
Völker ab. Mit vollem Recht tritt Walther dafür ein,
daß die denkende Vernunft die chriftliche Weltanfchau-
ung zu erfaffen und klarzulegen hat. Aber die Aufgabe
des verftandesmäßigen Erkennens wird verfchoben, wenn
es darin gipfeln foll, die Lebenszuverficht des Menfchen
als rechtmäßig dadurch zu begründen, daß fie ihren
Rückhalt in dem Vertrauen auf Gottes weltbeherrfchende
Macht hat.

Görlitz. Johannes Wendland.

Dargan, Prof. Edwin Charles, D. D. LL.D., A history of
Preaching. From the Apostolic Fathers to the great
Reformers A. D. 70—1572. New York, A. C. Armstrong
& Son 1905. (VI, 577 p.) gr. 8°

Die Mufterung der Literatur zur Gefchichte der Predigt
führt Dargan zu dem Satz: ,The most pressing
present need is a general history' (S. 7). Daß es eine
folche, das Gefamtgebiet ausführlich und gründlich behandelnde
Darftellung noch nicht gibt, ift ihm Anlaß zu
überfcharfen Klagen über Vernachläffigung diefes Arbeitsfeldes
(S. 5). Es ift doch fehr die Frage, ob die Bedenken
, welche einft Chriftlieb bezüglich einer allgemeinen
Predigtgefchichte geltend gemacht hat (RE2Bd. 18 S. 466),
nicht größere Beachtung verdienen, als D. ihnen fchenkt
(**■ 3/4)- Sind wir wirklich fo weit, daß das ungeheuere
Material zur Bearbeitung fertig liegt? Jedenfalls muß,
wer hier angreift, eine Riefenarbeit zu leiften bereit
fein. Ein jnagnum opus .... really covering the subjcct
and remaining a complete and enduring authority' (5. 8)
zu unternehmen, hat auch D. nicht gewagt. Aber eine

allgemeine Predigtgefchichte will er geben. Sie ift auf
3 Bände berechnet. Der erfte, vorliegende, führt bis
1572 (Tod von John Knox); der zweite foll die moderne
europäifche Predigt behandeln, der dritte die Predigt in
den Vereinigten Staaten.

Dargan weift diefem feinem Werk die Aufgabe zu,
more into biographical, critical and general historical
detail zu gehen. Daß er die Predigt im Zufammenhang
mit dem allgemein-gefchichtlichen und kirchengefchicht-
lichen Hintergrund fchildert, danken wir ihm. Gewiß ift
fie at every epoch in touch with the times (S. 558) und muß
auch fo dargeftellt werden. Wer das nicht tut, verzichtet
auf das treff lichfte Mittel, ihre Entwicklung zu verliehen.
Dargan nimmt fich den Raum, den gefchichtlichen Hintergrund
recht ausführlich zu geben, leider oft fo, daß diefe
Skizzen unnötig lang werden und den Zufammenhang
mit der Predigtgefchichte verlieren, indem fie auch allerlei
anführen, was für deren Verftändnis nichts austrägt.
Stärker noch find an fich richtige Prinzipien hinfichtlich
des Biographifchen übertrieben. Die Erzählungen aus
dem Lebensgang überfchreiten das gebührende Längenmaß
und vergeffen dabei, genügend auf das Thema
Rückficht zu nehmen. Eine ganze Reihe von Männern,
von deren Predigt mangels genügender Nachrichten fehr
wenig oder geradezu gar nichts zu fagen ift, bekommen,
was völlig überflüffig ift, eine biographifche Skizze (Polykarp
, Irenäus, Ulfilas, Hilarius, Pacianus, Patricius, Ansgar
, Arnold von Brescia und viele andere). Das Leben
des h. Franz wird auf 5 Seiten befchrieben, obwohl
es für die Predigtgefchichte nur auf feine Ordensgründung
ankommt. Luthers Leben nimmt gleichfalls
5 Seiten Raum ein. Das Biographifche überwuchert alfo;
Dargan hat die Grenzen gegenüber der Kirchengefchichte
nicht innezuhalten vermocht. Das macht fein Werk unnötig
breit; der Ertrag für die Gefchichte der Predigt
fteht zu diefer Breite in keinem Verhältnis. — Auch die
Art, wie Dargan diefe Gefchichte felblt befchreibt, gibt
zu Bedenken Anlaß. Er gibt in vielen und ausführlichen
Darlegungen allgemeine Überfichten, Grundlinien, Gefamt-
fchilderungen. Wir konftatieren mit Freude, daß er von
jener Methode der Gefchichtfchreibung frei ift, die am
Einzelnen haften bleibt, ohne für das Ganze Auge zu
behalten. Ehe die einzelnen Prediger behandelt werden,
kommt immer die Charakteriftik des Zeitabfchnitts zu
ihrem Recht. In der Ausführlichkeit diefer allgemeinen
Schilderungen übertrifft er ebenfo wie in der Herftellung
der Beziehungen der Predigt zum allgemeinen Geiftes-
leben alle Vorgänger. Schade nur, daß er dabei fehr oft
in den allgemeinen Gedanken flecken bleibt, ftatt in die
Tiefe zu bohren. Befonders fällt auf (z. B. für die frühefte
Predigt S. 35 fr., für die Predigt am Ausgang des Mittelalters
S. 289fr., aber auch fonft), daß er die äußeren
Umftände unklar läßt, um fich ganz mit der inneren
Art der Predigt zu befaffen. Die Häufigkeit der Predigt
ihre Stellung im Gottesdienft, die Textfrage und zahllofe
andere Dinge müffen doch ordentlich erörtert werden,
wenn man ein Bild von den Predigtzuftänden gewinnen
will. Dargan läßt es für alle diefe Fragen gar zu fehr
an konkretem Material fehlen. Alsbald in Kap. I Nr 2
und 3 wird diefe Manier unbeftimmter Allgemeinheit
peinlich fühlbar; ähnlich anderswo. Und fel'bft in der
Charakteriftik der einzelnen Prediger fehlt nicht feiten
die nötige Schärfe gerade in der Beftimmung und konkreten
Darlegung der Predigtweife. In der älteren Zeit
entnimmt er das Urteil gerade über diefen wichtigften
Punkt öfter anderen Werken (z. B. für Athanafius, Macanus
, Afterius). Luthers Predigtart wird verhältnismäßig
gar zu kurz abgetan; über Wert und Bedeutung feiner
wichtigeren Predigtwerke hören wir faft nichts. ,As to
the manner and style of Luthers preaching, not mtich
needs to be said' (S. 391). Mit alledem verbindet fich ein
gewiffer Mangel an prinzipieller Klarheit hinfichtlich des
Wefens der Predigt ganz auffallig bereits in der Intro-