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Ausgabe:

1905 Nr. 1

Spalte:

4-5

Autor/Hrsg.:

Taaks, Gerhard

Titel/Untertitel:

Alttestamentliche Chronologie 1905

Rezensent:

Volz, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 1.

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daß in einer Reihe von Liedern die Gemeinde das betende
Subjekt fei, aber in den meiften fieht er eben doch poetifche
Ergüffe von Einzelperfönlichkeiten, die dann freilich entweder
von felbft oder durch abfichtliche Umgeftaltung
zu Gemeindeliedern geworden find. Jedenfalls fei daran
feftzuhalten, daß der Pfalter als Ganzes das Gefangbuch
der Gemeinde des zweiten Tempels gewefen ift und ihr
religiöfes Leben im weiteften Sinne wiederfpiegelt.

Der religionsgefchichtliche Gehalt wird in fünf Kapiteln
dargelegt. Er beginnt naturgemäß mit der Gottes-
vorftellung, die zwar eine ftreng monotheiftifche und
univerfaliftifche ift, aber doch fo, daß einerfeits Refte
einer älteren Anfchauung fich in formelhaften Redewendungen
erhalten haben, und daß andrerfeits auch eine
konfequente Durchbildung und Durchdringung jener
fich nicht findet. Im Verhältnis Ifraels zu den Heiden
kommt ein Doppeltes zum Ausdruck: die fchmachvolle
Knechtfchaft des Gottesvolkes und die erhoffte Nieder- j
werfung der gottlofen Heiden; neben diefem letzteren
Gedanken bricht freilich der Miffionsgedanke da und dort
hervor. Damit hat A. fchon den Kreis der meffianifchen
Erwartungen berührt: er weift richtig darauf hin, daß es
fich für uns nicht darum handeln könne, in diefer oder
jener Stelle eine Weisfagung auf den Meffias zu finden,
fondern vielmehr überhaupt im Pfalter das Vorhandenfein 1
jener Hoffnung auf das baldige Eintreten der meffianifchen
Weltkataftrophe nachzuweifen. Als meffianifch im engeren
Sinn läßt er nur Pf. 132 gelten. Das zweite Kapitel j
handelt von dem Gegenfatz der Frommen und der Gottlofen
, fowiedem allgemeinen Charakter der nachexilifchen
Frömmigkeit, welche neben großer Innigkeit und unver-
fälfchter Lauterkeit doch auch äußerlich eudämoniftifche,
felbftbewußte und felbftgerechte, die Anfätze neuteftament-
lich-pharifäifcher Denkweife verratende Züge offenbart. I
Im dritten Kapitel, Tempelkult, Opfer und Gefetz, zeigt |
er, wie der Pfalter faft wie eine Reaktion des einfachen
frommen Gefühls gegen die verwickelte Gefetzesreligion j
Efras ericheinen könnte. Gegen das Opfer haben wir j
zwar nirgends die ausgefprochene Polemik der alten
Propheten, wohl aber die klare Erkenntnis von der Wert-
lofigkeit der äußern Handlung ohne entfprechende Ge-
finnung. In Bezug auf das Gefetz ift eine weite Kluft
zwifchen der Wertung desfelben durch die Pfalmen und j
dem paulinifchen Standpunkte. Im vierten Kapitel: Sünde, |
Schuld und Sündenvergebung entwickelt A., daß in den
Frommen, obwohl an einzelnen Stellen die Gefamtheit
wie jeder Einzelne für fich als von vornherein fündig j
und verfchuldet gedacht wird, doch mit diefem Gefühl
das der relativen Schuldlosigkeit und Gerechtigkeit wech-
felt, und daß fich das Sündenbewußtfein nur in beftimmten
Fällen einftellt, nämlich fobald Not oder Unglück hereinbricht
. Die Sänger zeigen auch ein fehnfüchtiges Verlangen
nach Befeitigung der Sünde als der fie von Gott
trennenden Macht, aber den bleibenden Frieden des mit
Gott allein vermöge feiner Gnade und Liebe verföhnten,
nur auf fich felbft und das unverlierbare Bewußtfein des
Heilsbefitzes geftellten und nicht nach äußern Beweifen
ausfehauenden Gewiffens haben die Pfalmfänger noch
nicht gefunden. In dem letzten Kapitel: Tod, Leben und
Auferstehung berührt A. die Theodiceefragen und ihre
verfchiedenen Löfungen in Pf. 37. 49. jy. von den Wider-
fprüchen zwifchen den Gefchicken fo vieler Frommen |
und der fittlichen Weltordnung aus wagt der fuchende
Blick über die dunklen Pforten des Todes vorzudringen
und im Jenfeits Erfatz und Troft zu erhoffen für alles, 1
was hier leidvoll und unverständlich bleibt.

Das ift in kurzen Zügen der Inhalt der Arbeit, welche !
Vertrautheit mit der exegetifchen Arbeit, begonnenes j
Urteil und klare Darstellung zeigt. Freilich fordern manche
feiner Darlegungen auch den Widerfpruch heraus: bei
Pf. 49. 73 dürften die Dinge nicht fo einfach liegen, wie
A. glaubt, und Erklärungen wie die Bäthgens laffen fich

! fchwerlich durch die Behauptung eines zu matten Sinns
befeitigen. Ref. will es auch fcheinen, als ob die efcha-
tologifche Bestimmtheit der nachexilifchen Frömmigkeit
nicht genügend zu ihrem Recht gekommen wäre. Aber
zu einem Eingehen auf diefe und ähnliche fchwierige
Probleme war in diefer Beilage zu einem Programm einer
Realfchule freilich kaum der rechte Ort und jedenfalls
nicht der genügende Raum. Ref. kann nur wünfehen,
daß unfere höheren Schulen recht viel Religionslehrer
mit gleich gründlicher Bildung und befonnenem Urteil,
wie fie in vorliegender Arbeit hervortreten, hätten.

Straßburg i. E. W. Nowack.

Taaks, Gerhard, Alttestamentliche Chronologie. Mit einer
Beilage: Tabellen. Uelzen, Selbflverlag 1904. (117 S.)
Lex. 8" M. 4.50

Ein wunderliches Buch! Als Motto steht Apage,
satanas wer aber der Satan ift, der weichen foll, ob die
andersdenkende Gelehrtenwelt oder der Schelm, der die
urfprüngliche Chronologie der biblifchen Gefchichtsbücher
verwirrte, oder was fönst, das ift nicht herauszubringen.
Verf. behandelt die Chronologie der Königsbücher, des
Richterbuchs und der Genefis; der 4. Ablchnitt handelt
von Efra. Ausführlich werden die groben und die kleinen
Widerfprüche zwifchen den Jahresfummen der einzelnen
Könige und den Synchronismen befprochen; T. glaubt,
daß die Synchronismen vom Verfaffer des Königsbuchs
felbft stammen und die hiftorifch zuverläffige Auskunft
geben, während die Jahresfummen der einzelnen Könige
teilweife durch Fälfchung zum Zweck künstlichen Zahlen-
fpiels verändert wurden. Für die Herstellung der richtigen
Zahlen aus den Synchronismen ift zu bedenken, daß mit
Antedatierung gerechnet ift, d. h. das Jahr des Regierungsantritts
als das erste gezählt wird. Unbefangen und unbekümmert
um die keilinfchriftlichc Chronologie glaubt
T., daß der Zeitraum vom Tempelbau bis zur 2.Tempelweihe
bei der Rückkehr (die in Wirklichkeit 516 stattfand
) tatfächlich 480 Jahre betrug; der Verfaffer der
Chronikbücher, der die Rückkehr auf 536 feftfetzte und
doch die Zahl 480 behalten wollte, fälfehte die Chronologie
der Königsbücher, wodurch die jetzt vorhandenen
groben Widerfprüche entstanden. Die urfprüngliche
Chronologie des Richterbuchs hat denfelben Urheber
wie die urfprüngliche Chronologie der Königsbücher; er
kennt nur Richterperioden, nicht auch die Ruhejahre,
rechnet die Richterzeit auf 170 Jahre und operiert mit
der Grundzahl 24, indem er fie und die Nachbarzahlen
22, 23, 25, 26 verwendet; wenn es nicht überall stimmt,
fo ift das in dem neckifchen Charakter des Chronologen
begründet, der eine Vorliebe für Kapriolen hat. Um nun
die Periode vom Auszug bis zum Tempelbau gleichfalls
auf 480 Jahre zu bringen, wurden mittelst Fälfchung die
Ruhejahre eingefügt. Am willkürlichften geht der Verf.
mit den Zahlen der Genefis um, wo er fich mit viel
Geiftesaufwand bemüht, keinen Stein auf dem andern zu
laffen; an Stelle der allerdings fchwer verständlichen
biblifchen Zahlen fetzt er andere, die überaus künstlich
gewonnen find und durchaus nicht den Vorzug leichterer
Erklärbarkeit und größerer Einheitlichkeit haben; wie
weit er von anderweitiger Forfcherarbeit weg ift, zeigt
die Bemerkung, daß die 365 Jahre des Henoch keinen
erkennbaren Sinn geben. Urheber der von T. hergestellten
Chronologie der Gen. ift der Verfaffer der Priefterfchrift,
die den Zweck hatte, dem Volk über das von den ,Deu-
teronomiften' (den chronologifchen Fälfchern) mit ihm
getriebene graufame Spiel auf eine feine Weife die Augen
zu öffnen. Efra endlich hat noch einige Verwirrung mehr
in die ihm vorliegende Chronologie der Gefchichtsbücher
gebracht. Auf weitere einzelne Bemerkungen und Berechnungen
, die geistreich fein mögen, aber willkürlich
und im Grund systemlos find, können wir hier nicht ein-