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Ausgabe:

1905 Nr. 8

Spalte:

250-251

Autor/Hrsg.:

Haccius, Georg

Titel/Untertitel:

Hannoversche Missionsgeschichte. Erster Teil 1905

Rezensent:

Wurm, Paul

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249 Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 8. 250

Stosch, Paft. Lic. th. G., Der innere Gang der Missionsgeschichte
in Grundlinien gezeichnet. Gütersloh, C.Bertelsmann
1905. (V, 275 S.) gr. 8° M. 4—; geb. M. 4.80

Es ift keine leichte Aufgabe, welche der Verf. fich
hier ftellt, denn um den inneren Gang der Miffionsge-
fchichte zu befchreiben, muß man den äußeren genau
kennen, und da derfelbe nicht allenthalben gleichmäßig
bekannt iß, auch auf den inneren vielfach einwirkt, fieht
man fich genötigt, da und dort bei dem äußeren länger
zu verweilen. Dadurch wird die Darflellung ungleichmäßig.
Ref. hätte gewünfcht, daß zur Orientierung der Leier
einige allgemeine Gefichtspunkte vorangeftellt worden
wären, welche beim inneren Gang der Miffionsgefchichte
vorzugsweife in Betracht kommen: der Zuftand der aus-
fendenden Gemeinde oder Kirche, der Charakter der aus-
gefandten Perfonen, die religiöfen, fozialen und kulturellen
Verhältniffe der zu bekehrenden Völker, die Frage,
ob Annahme der Lehre oder eine neue Lebensrichtung
in erfter Linie gefordert wird und dgl. Der Verf. betont
mit Recht, daß die apoftolifche Miffion fich im wefent-
lichen der individualiftifchen Methode bedient habe und
nicht wohl anders konnte (S. 8), und daß diefe Methode
grundlegend für den Individualismus der altkirchlichen
gewefen fei, deren Ertrag die Chriftianifierung der grie-
chifch-römifchen Welt bilde, fagt dann aber, die apofto-
lifche Miffionsmethode fei auch grundlegend für die
mittelalterliche Mfilion gewefen (S. 9), obgleich er zugeben
muß, daß namentlich die Chriftianifierung der Slaven
ohne genügenden Unterricht und ohne fie begleitende
und vertiefende Einzelfeelforge gefchehen fei. Er fucht
dies damit zu entfchuldigen, daß bei den Stämmen, um
die es fich handelte, das gefellfchaftliche Moment das
individuelle völlig beherrfcht habe (S. 10). Allein das
könnte man ficherlich bei vielen Völkern fagen. Der
Verf. muß auch zugeftehen, daß fchon die konftantinifche
Epoche eine Mifchung von weltlichen und geiftlichen
Motiven und Mitteln, eine Nichtachtung oder Vergewaltigung
der perfönlichen Überzeugung, eine gefetzliche
Grundauffaffung des Lebens überhaupt gebracht habe
(S. 104), und daß die Kirche im Mittelalter ihre Aufgabe
im wesentlichen mit Mitteln löfen wollte, die mehr dem
Geift des Gefetzes als des Evangeliums entflammten
(S. 105). Damit widerfpricht er doch felbft der Behauptung
, die apoftolifche Miffionsmethode fei grundlegend
auch für die mittelalterliche Miffion gewefen. Einzelne
treffliche, im apoftohfchen Geift wirkende Miffionare im
Mittelalter find dabei nicht ausgefchloffen, und es werden
Männer wie Ulfila, Severin u. a. in fehr anfprechender
Weife gezeichnet. Wenn Stofch die langfamere Chriftianifierung
der Franken mit der rafcheren der Goten vergleicht
(S. 133) und aus der verfchiedenen Art der
Stämme herleitet, wobei noch die äußerliche Betrachtung
des Reiches Chrifti bei den Franken mitwirke, fo berück-
lichtigt er einen Faktor nicht, der doch auch in die Wag-
fchale fallen dürfte, daß die katholifche Kirche den Franken
keine Bibel und keinen Gottesdienft in der Volks-
fprache gegeben hat. In bezug auf die iro-fchottifche
Miffionskirche hält fich der Verf. von den Übertreibungen
Ebrards wie von der entgegengefetzten Geringfehätzung
frei, und Bonifatius wird in feinem perfönlichen Miffions-
eifer hoch gefchätzt. — Das Charakteriftifche der drei
Miffionsperioden bezeichnet der Verf. S. 206 in folgenden
Worten: .Die alte Kirche wirkte ohne Reflexion das in
ihr vorhandene Leben aus, indem fie miffionierte. Das
Miffionsmotiv des Mittelalters ift das des Gehorfams gegen
den Kirche und Staat beherrfchenden Chriftus. Das
fchöpferifche Motiv der (in der evangelifchen Kirche) neu
anhebenden Miffionsbewegung ift die perfönliche Erfahrung
eines Heils, das nach feinem göttlichen Wefen für
alle Seelen in allen Völkern gemeint fein muß'. Der
Heilsglaube ift alfo die Signatur der modernen Miffion
in der evanglifchen Kirche, während die katholifche in

der mittelalterlichen Weife fortfährt, und die Miffion der
niederländifch-reformierten Staatskirche im 17. Jahrhundert
zwar nicht mittelalterlich aber altteftamentlich genannt
wird (S. 211). Die katholifche Miffion wird in den folgenden
Abfchnitten kaum mehr berührt. Sie hätte doch
befonders in ihrer heutigen Beftrebung der Bekämpfung
aller evangelifchen Miffionen noch näher befchrieben
werden follen. Wenn der Verf. den Unterfchied zwifchen
englifcher und deutfeher Miffionsmethode auf den Unterfchied
zwifchen Reformiert und Lutherifch zurückführt
(S. 254), fo deckt fich das doch nicht, denn es hat niemals
eine einheitliche lutherifche und eine einheitliche
reformierte Kirche gegeben. Seit der Reformation be-
ftehen die Unterfchiede zwifchen oft- und weftdeutfeher
lutherifcher Kirche, ebenfo zwifchen Anglikanismus, Pres-
byterianismus, Independentismus, deutfeh-und franzöfifch-
reformierter Kirche. Aber mancherlei feine Beobachtungen
enthält das Buch, und es beruht auf forgfältigen
kirchengefchichtlichen Studien.

Calw. P. Wurm.

Haccius, D.Georg, Hannoversche Missionsgeschichte. Erfter
Teil. Von der Pflanzung der chriftlichen Kirche in
Friesland und Sachfen bis zur Entftehung der Hermannsburger
Miffion. Hermannsburg, Miffionshand-
lung 1905. (VIII, 350 S.) gr. 8° M. 2.80; geb. M. 3.6b

Eine hannoverfche Miffionsgefchichte enthält diefes
Werk in der Weife, daß Hannover in den 6 erften Kapiteln
Objekt der Miffion ift, vom achten Kapitel an Subjekt
. Was den Verfaffer zu diefer quaternio tertninorutn
geführt hat, fagt er im Vorwort: die trefflichen volkstümlichen
Erzählungen des Paftors Ludwig Harms aus
der Zeit der Pflanzung der chriftlichen Kirche in jenen
Gegenden. Allein vorbildlich für das jetzige Miffions-
werk kann und will Haccius die Sachfenbekehrung Karls
des Großen nicht darftellen. Darum fieht man nicht
recht ein, warum diefes Stück Kirchengefchichte hereingenommen
wurde, das im wefentlichen nach Hauck bearbeitet
ift. Haccius befpricht dabei außer der Sachfen-
miffion auch die Miffion unter den Friefen, den nördlichen
Germanen und den Slaven. Er fcheint dabei das ganze
Gebiet der kurze Zeit in diefem Umfang beftehenden Nord-
deutfehen Miffionsgefellfchaft im Auge gehabt zu haben,
denn zu einer hannoverfchen Miffionsgefchichte gehört
auch Oftfriesland nicht, das von einem andern Volks-
ftamm bewohnt ift, politifch erft 1815 zu Hannover kam
und feit der Reformation feine eigene kirchliche Entwicklung
hatte und noch hat. — Die Darfteilung der Miffions-
tätigkeit im Hannoverfchen von den erften Regungen an
bis zur Gründung der Hermannsburger Miffion ift eine
fehr dankenswerte Arbeit und unparteiifch gehalten, obgleich
der Verf. feinen konfeffionellen Standpunkt nirgends
verfchweigt. Zu den erften Miffionsfreunden in Hannover
gehört kein Geringerer als der Philofoph Leibniz, freilich
fo ziemlich im Gegenfatz zu der fpäteren konfeffionellen
Miffion, da er fogar eine Verbindung von
evangelifcher und katholifcher Miffion wünfehte und mit
der Jefuitenmiffion in China in Verbindung ftand (S. 93),
aber wenig Verftändnis für eine gemeinfame chriftliche
Miffion unter den Heiden erwecken konnte. Vom Pietismus
und der dänifch-hallefchen Miffion blieb Hannover
ziemlich unberührt (S. 99). Auch die Brüdergemeinde
hatte Mühe, gegenüber den kirchlichen und Staatsbehörden
, einzelne Freunde zu gewinnen. Doch bildeten
fich namentlich in einigen Städten kleine Kreife; der
bekannte Liederdichter K. B. Garve und einzelne Miffionare
flammten aus dem Hannoverfchen. Erft im 19.
Jahrhundert wagten es auch einige Paftoren, mit der
Brüdergemeinde in Verbindung zu treten, während in
Oftfriesland fchon im 18. Jahrhundert weit mehr kirchliches
Leben war. Als nach der Zeit des Rationalismus