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Ausgabe:

1905

Spalte:

247-248

Autor/Hrsg.:

Krauss, Alfred

Titel/Untertitel:

Pastoraltheorie 1905

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Seite 1

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247

Theolögifche Literaturzeitung 1905 Nr. 8.

248

wo fie fich befindet, in welche Lokalitäten fie zerfällt, v/er
an den einen oder den andern Ort kommt, und welcher
Natur die mannigfaltigen Strafen find, denen die Büßenden
und Verdammten hier unterliegen. Befonders letzterer
Punkt wird mit größter Sorgfalt behandelt. Wer alfo
über die fcholaftifche Lehre von der Hölle und den Höllen-
ftrafen fich orientieren will, findet hier zuverläffigen und
gründlichen Auffchluß.

Diefe Scholaftik ift aber auch noch in anderer Beziehung
für uns Evangelifche lehrreich: fie zeigt uns, zu
welchen Konfequenzen ein äußerlicher Dogmatismus führt.
Auf dem Wege dahin befinden fich aber auch noch
manche evangelifche Theologen.

Göttingen. E. Schür er.

Krauss, weil. Prof. Alfred, Pastoraltheorie. Durchge-
fehener Sonderabdruck aus dem Lehrbuch der prak-
tifchen Theologie. Herausgegeben von Priv.-Doz. Lic.
Friedrich Niebergall. Tübingen, J. C. B. Mohr 1904.
(VII, 273 S.) 8» M. 2 —

Dem Herausgeber ift gewiß zuzuftimmen, daß die
,Paftoraltheorie' von Krauß der befte Teil feines Lehrbuchs
der praktifchen Theologie ift; fie findet fich in dem
nach dem Tode des Verfaffers von H. J. Holtzmann
1893 herausgegebenen zweiten Bande S. 211—456. Auch
das Urteil ift zweifellos richtig, daß die Paftoraltheorie
von Krauß eine der heften Darftellungen diefer Disziplin
überhaupt ift. Somit kann man es nur begrüßen, daß
der Verleger diefen Sonderabdruck veranftaltet hat; es
ift zu wünfchen, daß er feinen Weg in die Hände zahlreicher
Pfarrer und Kandidaten finde, um forgfältig ftudiert j
und beherzigt zu werden. Eine vielfeitige paftorale
Weisheit fteckt in dem Buch; die weitherzige Unbefangenheit
des Urteils, die durchgeführte ftreng evangelifche
Auffaffung der Tätigkeit des geiftlichen Amtes, der
nüchterne Wirklichkeitsfinn, verbunden mit fchönem
religiös-fittlichen Idealismus, das alles macht das Studium
des Werkes gewinnbringend, während die angenehme
fchriftftellerifche Form vor jeder Ermüdung fchützt.
Worin freilich der /Liberalismus' der evangelifchen Grund-
fätze des Verfaffers (flehe Vorwort) beftehen Poll, ift mir
nicht deutlich geworden; der Gedanke, es mit einem
Parteimann zu tun zu haben, ift mir bei der Lektüre nie
gekommen.

Daß von vornherein kraftvoll betont wird, wie der
evangelifche Pfarrer fein Amt nicht ausrichten kann, wenn
nicht das lautere Streben in ihm lebt, ein Vorbild der
Gemeinde zu werden, ein evangelifcher Chrift xax h%oyfv,
wie der Verfaffer fich ausdrückt, ift aller Anerkennung
wert. Allein darauf die Befonderheit des ,geiftlichen
Standes' zu gründen (S. 5 f.), fcheint mir verfehlt zu fein.
Die Bahn des religiöfen Klerikalismus und der doppelten
Sittlichkeit ift betreten, wenn behauptet wird, ,das chrift-
liche Leben müffe in einzelnen, hiezu ausgefon-
derten Menfchen das Ganze des Seins, Denkens, Wollens
ausmachen; was zum vollkommenen Leben der Menfch-
heit gehöre, werde fich immer in einzelnen Menfchen als
befondere individuelle Begabung und Lebensaufgabe
zeigen und dadurch befondere Berufsarten begründen
; alles, was als lebendiges Opfer dem Herrn dargebracht
werde, folle mit dem Salze des geiftlichen Standes
gefalzen werden'. Was denPaftor in religiös fittlicher Hinficht
von allen frommen Gemeindegliedern unterfcheidet,
ift nicht etwa der Umftand, daß er der Krankheit, dem
Irrtum, der Sünde mehr als fie entronnen, fondern daß
er der Heilmittel mehr als fie kundig ift und ihre Kraft
vertrauenerweckend an fich felbft bewährt. Sein Amt aber
ift das Mandat der religiöfen Gemeinde, und im Namen
der Gemeinde, infofern als Repräfentant der Gemeinde,
hat er wie überall, fo auch in der fpeziellen Seelforge
fein Amt zu führen; daß er Gott und dem Herrn Chriftus

dient, indem er der Gemeinde und den Einzelnen dient,
und nicht von der Gemeinde, fondern von Gott abhängig
ift, bedarf wohl nicht ausdrücklicher Erwähnung. Aber
diefer Gefichtspunkt, daß das geiftliche Amt ein Gemeindeamt
fei, nicht nur für fie, fondern auch von ihr, tritt
nirgends hervor. — Die Paftoraltheorie hat es (S. 7 f.)
ferner mit dem einzelnen Gemeindegliede zu tun, wenn
diefes, ,um beim Herrn Chriftus zu bleiben, noch einer
weiteren Anfaffung (als durch den öffentlichen Gemeinde-
gottesdienft) bedarf'. 'Inhalt und Umfang diefer Tätigkeit
zu befchreiben, die Fälle zu erörtern, die Art und Weife zu
lehren, wie fie richtigerweife geübt wird', ift die Aufgabe
der Disziplin. Diefe ift demnach die Theorie der fpeziellen
kirchlichen Seelforge; allein deshalb kann fie fich nicht
auf die befchränken, die ,bei dem Herrn Chrifto bleiben'
wollen, fie hat die ganze Gemeinde in allen ihren Gliedern
ins Auge zu faffen, wie an anderm Orte der Verfaffer
fehr wohl hervorzuheben weiß. Sodann aber: foll die
richtig fixierte Aufgabe der Disziplin durchgeführt werden,
fo würde es fich doch empfehlen, der Darfteilung ein
Schema zugrunde zu legen, in dem die ,Fälle' und die
,Art und Weife' zum Ausdruck kämen; und da empfiehlt
fich immer wieder die Dreiteilung, die C. I. Nitzfeh in
dem trefflichen, auch vom Verfaffer durchaus gewürdigten
Abfchnitte feiner praktifchen Theologie angewendet hat:
die Seelforge am kranken, irrenden, fündigenden Menfchen
oderparakletifche,didaktifche,pädeutifche Seelforge. Statt
deffen ftellt der Verfaffer das Schema auf: das paftorale
Wirken in der kirchlichen, der bürgerlichen, der gefell-
fchaftlichen Sphäre. Er findet dadurch freilich Gelegenheit
, fehr dankenswerte Erörterungen über das Verhalten
des Paftors zu anderen religiöfen Gemeinfchaften, zur
Schule, zum Staate ufw. zu geben, wenn auch das ietzte
Kapitel, welches das perfönliche Leben des Geiftlichen
behandelt, kaum in das ,paftorale Wirken in der gefell-
fchaftlichen Sphäre' hineingehört. Allein der Gefichtspunkt
, daß die Paftoraltheorie es mit dem einzelnen
Gemeindegliede zu tun habe, ift damit verlaffen, was zur
Folge hat, daß manches Unerläßliche gar nicht zur
Sprache kommt (z. B. das ganze Gebiet der prophylak-
tifchen Seelforge), anderes zu aphoriftifch behandelt wird
(z.B. die didaktifcheSeelforge, die Seelforge am Krankenbett
, an den Hinterbliebenen). Zu diefen Defiderienrechne
ich auch die vermißte Hervorhebung der Wahrheit, daß
alle evangelifche Seelforge nur unter der doppelten Vor-
ausfetzung ftatthat, daß jedem Chriften nach dem Maße
feiner Mündigkeit auch das Maß der Selbftverant-
wortlichkeit eignet, und daß alle religiös-fittliche Bewahrung
und alles religiös-fittliche Fortfehreiten von der
Selbfterziehung abhängig ift.

Der Herausgeber hat fich pietätsvoll darauf befchränkt,
einige wünfehenswerte Kürzungen anzubringen und die
Literatur bis auf die neuefte Zeit in dankenswerter Weife
zu bereichern. Einige Ungenauigkeiten dürften zu korrigieren
fein. S. 19: Gregors d. Gr. Buch hat den Titel:
Liber curae pastoralis oder Regula pastorahs. Verfaffer
des Micrologus ift wohl nicht Ivo von Chartres, fondern
nach Bäumer: Neues Archiv der Gefellfchaft für ältere
deutfehe Gefchichtskunde XVIII, 2 (1893) S. 421—446:
Bernold von Konftanz. S. 20: Das Werk des Dänen
Nicolaus Hemming ift nicht deutfeh, fondern lateinifch
gefchrieben unter dem Titel: Pastor sive Pastoris optimas
vivendi agendique modus. Sal. Deylings Institutioncs
find 1734 erfchienen. Ferner: A. H. Francke (auch S. 160),
Hüffell. S. 24: van Koetsveld, H. Cremer: Paftoraltheo-
logie, S. 80: Johann Arnd, endlich ift des Referenten
literarifche Firma (S. 24) nicht: Ch. E., fondern

Marburg. E. Chr. Achelis.