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Ausgabe:

1905 Nr. 8

Spalte:

244-245

Autor/Hrsg.:

Batteiger, Jacob

Titel/Untertitel:

Der Pietismus in Bayreuth 1905

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 8.

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bez. Vorausdatierung der Wirkung des Todes Chrifti auf
die vorchriftliche, fpeziell a. t. Zeit (übrigens ift das ganz
ficher nicht, wie H. will, ein originaler Gedanke L.s, vgl.
z. B. die Apologie der Augustana bei Müller: fymbol.
Bücher S. 97); damit aber wird tatfächlich der Univerfa-
lismus aufgehoben und der Supranaturalismus eingeführt
d. h. das Heil ausfchließlich an Chriftus gebunden. Jene
Rückdatierung ift — das hat H. völlig mißverftanden —
gerade nicht humaniftifch, vielmehr kirchlich, fie bricht
den Humanismus (vgl. Kuyper I 508, 506 II 587). Freilich
kann dann L. wieder, fich Zwingli anpaffend, von
ecclesia invisibilis reden, unklar allerdings, was aber notwendig
fo fein mußte, denn Zwinglifchen Rationalismus
und kirchlichen Supranaturalismus einen wollen, heißt
Feuer mit Waffer mengen.

In dem zweiten Abfchnitt: ,Die theologifche Entwicklung
Laskys unter dem Einfluß des Verkehrs mit
Butzer und Calvin i. d. J. 1544—46' fei zunächft aufmerk-
fam gemacht auf die fcharffinnige Erörterung S. 63 fr.
über das Verhältnis der epistola Joannis a Lasco . . .
continens in se summam controversiae coenae domini bre-
viter explicatam zu dem von Dalton in den Lasciana abgedruckten
Schriftchen A bez. über die Kompofition und
Bedeutung desfelben; H.s Ausführungen, die ich hier im
einzelnen nicht wiedergeben kann, find fehr einleuchtend.
Auch in der ftarken ßeeinfluffung L.s durch Bucer und
Calvin jetzt kann ich H. zuftimmen; der Anknüpfungspunkt
war die Ablehnung der phyfifchen Präfenz Chrifti
im Abendmahl (S. 75). Doch möchte ich nicht mit H.
(S. 76f.) dieler Verbindung mit Calvin von vornherein
eine Spitze gegen Zwingli geben. (K. II 591 fleht per-
spectum, das man nicht mit suspectum gleichfetzen darf,
wie H. tut!) Die univerfaliftifchen Gedanken fchwinden
jetzt, der Glaubensbegriff wird wörtlich Calvin entlehnt,
die Prädeftinationslehre hingegen nach wie vor abgelehnt.
Muß aber die Bezeichnung der Sakramente als notae
professionis gerade Calvin entflammen? (S. 89h). Warum
nicht Zwingli oder auch der Augustana [art. XIII)? Im
übrigen wird jetzt im Abendmahl die wirkfame Gegenwart
Chrifti ftark betont, ohne daß auf Art und Weife
der Präfenz reflektiert würde. ,Damit, daß wir Chriftum
im Abendmahle gegenwärtig haben, foll man zufrieden
fein und mit allen vorwitzigen Unterfuchungen über das
Wie? die Gemeinden verfchonen' (S. 93).

Der dritte Abfchnitt: ,Die Sakramentslehre L.s in
den Jahren 1550—54' fucht gegen Kruske, dem ich a.a.O.
zugeftimmt hatte, die Entwicklung der Sakramentslehre
L.s während des Londoner Aufenthalts geringfügig er-
fcheinen zu laffen. Ich glaube, mit Recht (vgl. S. I04ff.
die gefchickte Widerlegung der Beweisftellen Kruskes).
L. bleibt bei einer ,Mittelftellung zwifchen denjenigen,
welche den Sakramenten eine zu große, und denjenigen,
welche ihnen eine zu geringe Bedeutung und Kraft zu-
fchreiben'. Betonung aber verdient, was H. felbft zuge-
fteht (S. 124), das ftarke Hervortreten der communio cum
Christo — ein Zeichen ,der Schulung unferes Polen in
der Züricher Theologie'. Eine fubftantielle Präfenz ift
dabei natürlich ausgefchloffen. Die unio sacramentalis
verlieht L. ,temporal' (S. 129) d. h. als ein nach Gottes
Willen zeitlich zufammen Vorhandenfein zweier fcharf
zu unterfcheidenden Momente signum und mysterium
(= Anteil an den Heilsgütern), actio externa und interna.
Auf die Art des Brotes oder Weines kommt es dabei
nicht an: Christo satis est, si mortis memoria quocunque
tandem pane aut potu celebreiur, modo ut sine ullo con-
temptu riteque ac decenter omnia agantur (S. 148). Die
fcharfe Trennung jener beiden Momente, des Materiellen
und Geiftigen, hebt L. von Calvin ab, der zudem das
,mysterium' als die verklärte Leiblichkeit Chrifti faßt.

Doch, fo fucht H. im Schlußabfchnitt zu zeigen, es
mündet fchließlich L.s Abendmahlslehre ganz in die
Calvinfche ein. In der Tat wird jetzt für den Polen das
mysterium der Leib Chrifti. Natürlich die essentia carnis

bleibt im Himmel, aber vita ex eius substantia manat ad
nos, sub pane et cum pane wird uns der Leib Chrifti mitgeteilt
.

Auf die Konfequenzen aus H.s Darftellung für den
äußeren Verlauf und die Beurteilung der L.fchen Politik
gehe ich nicht ein, H. felbft ftreift fie nur. An Kruskes
Auffaffung wird manches zu modifizieren fein, aber fo
total wie H. meint? Das glaube ich einftweilen nicht,
kann mich auch von der rückfichtslofen Offenheit (S. 185)
L.s nicht überzeugen; theologifch ift er kein bedeutender
Kopf, fondern Eklektiker; zu unterfuchen wäre — H. gibt
nur Andeutungen —, ob er nicht auch manches von
Luther und Melanchthon hat? Bei dem sub et cum pane
habe ich ihn freilich im Verdacht politifcher Schmeichelei
gegenüber dem Luthertum. Wie dem auch fei, H. hat
jedenfalls das Verftändnis L.s erheblich gefördert.

Gießen. Köhler.

Batteiger, Dr. Jacob, Der Pietismus in Bayreuth. (Hifto-
rifche Studien veröffentlicht von E. Ebering, Heft
XXXVIII.) Berlin, E. Ebering 1903. (164 S.) gr. 8"

M. 4.50

Die treffliche Schrift von ChriftophKolb ,Die Anfänge
des Pietismus und Separatismus in Württemberg', Stuttgart
1902, hat die Forfchung neu angeregt. In den Beiträgen
zur bayerifchen Kirchengefchichte Bd. VIII, 266ff.
hat zunächft Kolde ,Vorläufiges' ,zur Gefchichte des Pietismus
in Franken' gegeben und Erlangen als den älteften
Zentralpunkt der Bewegung mit dem Notar Rabe an der
Spitze wahrfcheinlich gemacht, und dann den Pietismus
in Neuftadt a. d. Aifch behandelt. Im neunten Band der
gen. Beiträge S. 153 ff folgte der junge Pfälzer Theologe
Jak. Batteiger mit einer Studie ,zur Gefchichte des Pietismus
in Bayreuth' mit 27 Briefen aus dem Herrnhuter
Archiv, die er in dem 38. Heft der hiftorifchen Studien
noch um 29 vermehrt hat, fo daß wir jetzt ein anfehn-
liches Briefmaterial für die Zeit von 1727—1743 befitzen.
Damit war es möglich, daß Batteiger feinen Gegenftand
in dem 38. Heft der hiftorifchen Studien auf breiterer
Grundlage behandelte und das Bild, das Kraußold 1860
in feiner Gefchichte der evangelifchen Kirche im ehemaligen
Fürftentum Bayreuth von jener Zeit gegeben
hatte, ergänzte und berichtigte. Jetzt lernen wir die
Stellung des Markgrafen Georg Friedrich Karl (1726—
1735) zum Pietismus erft recht verliehen. Wir fehen in
diefer Zeit den Pietismus in voller Herrfchaft in Bayreuth.
Der Hofprediger Silchmüller hat den größten Einfluß.
Die Erbauungsftunden führt er ein, und fie erhalten fich
auch nach feinem Abgang nach Kulmbach. Wir fehen
die Vertreter der Orthodoxie und der Aufklärung fich
die Hand reichen, um die Macht des Pietismus zu brechen
: die Zeit war günftig. Markgraf Friedrich (1735—
1763) hatte fich den Freimaurern angefchloffen und leine
Gemahlin Wilhelmine, die Schwerter Friedrichs des Gr.
war eine Verehrerin Voltaires.

Batteiger hat zuerft das Bild des Markgrafen Georg
Friedrich Karl in ein helleres Licht gedeiht und den ent-
fcheidenden Einfluß, den der evangelifch-lutherifche Prediger
in Haag auf den jungen Mann während feines
Aufenthalts in Holland gewonnen hatte, aus Silchmiillers
Leichenrede nachgewiefen. Wenn Batteiger von diefem
Fürften, der kein großer Geift und kein fetter Charakter
war, fagt, er habe den Pietismus als ein Kleid angefehen,
das man beliebig aus- und anziehen könne, fo dürfte ein
folches Urteil vielleicht angefichts der Unfelbftändigkeit
und der leidenfchaftlichen Erregbarkeit des Markgrafen,
die ihn für kurze Zeit den Führern des Pietismus entfremdete
, gemildert werden. Klar liegen jetzt die Beziehungen
Bayreuths zu Herrnhut und Zinzendorf, der
fogar Amtshauptmann in Neuftadt a. d. A. werden wollte.

Im Vordergrund fleht der Hofprediger Silchmüller,