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Ausgabe:

1905 Nr. 8

Spalte:

236

Autor/Hrsg.:

Rothschild, Leoipold

Titel/Untertitel:

Die Judengemeinden zu Mainz, Speyer u. Worms von 1349-1438 1905

Rezensent:

Bossert, Gustav

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235

Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 8.

236

Roulx hat den Stoff fo eingeteilt, daß in dem erften, bei
weitem größten Abfchnitte (S. 1 — 284) die Gefchichte des
Ordens, im zweiten (S. 285—309) feine Einteilung, im
dritten (S. 311—352) die Verwaltung an der Stelle der
Gefamtleitung, im vierten (S. 353—404) die Verwaltung
in den einzelnen Provinzen dargeftellt wird. Ein fehr
reichhaltiges Verzeichnis der Literatur macht den Anfang
; in einem Anhang werden die Würdenträger des
Ordens in der Zeit von IIOO—1310 nach den einzelnen
Ämtern, und innerhalb diefer Rubriken chronologifch
zufammengeftellt; hier finden fich auch die Verweifungen
auf die Urkunden, in denen fie erwähnt werden. Im erften
Abfchnitt hat Le Roulx der Gründung des Ordens be-
fondere Aufmerkfamkeit zugewendet; freilich kommt er
hier auch nicht zu ficheren Refultaten. Auch die forg-
fältigfte Befragung und Diskuffion der Quellen, wie er fie
vornimmt, läßt uns in vielen Fällen im Dunkel. Er ift
geneigt, die Gründung des Jerufalemer Hofpitals durch
die Amalfitaner in irgend welchen Zufammenhang zu
bringen mit dem Karolingifchen Hofpiz in Jerufalem.
Sicher ift der Urfprung des Johanniterordens zu fuchen
in der Gründung eines Hofpizes und einer Kirche durch
die Amalfitaner; die Anftalten wurden bedient durch
italienifche Benediktiner; ihre Gründung erfolgte jedenfalls
vor dem erften Kreuzzug. Durch die Tätigkeit der
Kreuzfahrer und Gerhards, des erften Großmeifters, wird j
aus diefen Anftalten der Orden, zunächft nur humanen j
Zwecken dienend, nicht militärifchen, Die entfcheidende
Wandlung erfolgt durch Raymond du Puy: auf ihn geht i
die maßgebende Regel, der militärifche Charakter und
die Scheidung der Hofpitaliter in 3 Klaffen (worüber im
2. Abfchnitt ausführlich gehandelt wird) zurück. Le
Roulx fchildert die Gefchichte der einzelnen Großmeifter j
und läßt uns an diefem Gerüfte die Gefchichte des Ordens
fehen. Sehr deutlich wird dadurch das Übergewicht des
franzöfifchen Elements im Orden erkennbar; fchon die '
Perfonalien der Großmeifter, denen Le Roulx fehr genau
nachforfcht, laffen darauf fchließen. Weniger deutlich j
wird uns durch eine folche Einteilung die fortlaufende
Entwickelung des Ordens. Höhepunkte und Tiefpunkte I
feiner Gefchichte treten für den Lefer dabei etwas fehr
zurück. Aber, im großen und ganzen gefprochen, erhalten
wir ein reiches Bild der Tätigkeit des Ordens im Morgenlande
, des Wachstums feiner Befitzungen im Often und
Werten; und auch über die innere Gefchichte des Ordens
erhalten wir fchon im erften Abfchnitte reiche Auffchlüffe.
Diefe ergänzen die Ausführungen in den weiteren Ab-
fchnitten. Hier, meine ich, find am wertvollften die Angaben
über die Ausbreitung des Ordens in den einzelnen
Ländern, über feine Anfiedlung und fein Wachstum. Le
Roulx hat, geftützt auf die Urkunden, immer aufgezeigt,
zu welchen Zeiten in den einzelnen Ländern das Wachstum
des Ordens geringer oder größer gewefen ift. Die
Fragen, warum ihm die Stimmung zu diefer Zeit entgegenkam
, zu jener nicht; warum er in dem einen Lande noch
Fortfehritte machte, während in anderen Ländern ein
Stillftand eingetreten war, hat Le Roulx nicht beantwortet
(wiewohl er fie aufgeworfen hat). Es bleibt alfo der
Lokalforfchung und Detailarbeit noch ein reiches Feld
zu bearbeiten. Wer aber jetzt über die Johanniter in
dem Zeitraum bis 1310 arbeiten will, hat lieh in jedem
Falle an die Werke des Verfaffers zu halten; das gilt
auch von dem vorliegenden Werke, das uns feine außerordentlich
reiche Spezialkenntnis von neuem eindringlich
gezeigt hat. Ich werde felbttverftändlich nicht den Vernich
machen, ergänzende Bemerkungen zu liefern oder
Fehler aufzufpüren. Nur auf einen Punkt möchte ich
aufmerkfam machen, den der Verf. mir nicht genügend
berückfichtigt zu haben fcheint. Das Leben der großen
Orden des Mittelalters fpiegelt mehr oder weniger fcharf
das Leben der allgemeinen katholifchen Kirche des
Mittelalters wieder. Arbeiten fie auch an der Peripherie,
fo flehen fie doch nicht nur unter dem Einfluffe der

allgemeinen kirchlichen Stimmung, fondern laffen auch
die Bewegung am Zentrum, im Papfttume deutlich erkennen
. Auf den Zufammenhang der kirchlichen Teil-
erfcheinungen mit dem Gefamtleben der Kirche fcheint
mir der Verf. zu wenig eingegangen zu fein. Und doch
erhält erft dadurch die Gefchichte eines einzelnen Ordens
die richtige Beleuchtung. Freilich werden wir für diefen
Mangel durch die Fülle von Tatfachen entfehädigt, die
der Verf. aus der Gefchichte des Johanniterordens uns
mitteilt. — Leider fehlt ein Regifler.

Halle a. S. Gerhard Ficker.

Rothschild, Dr. Leopold, Die Judengemeinden zu Ma nz,
Speyer u. Worms von 1349—1438. Ein Beitrag zur Gefchichte
des Mittelalters. Berlin, Nathanfen & Lamm
1904. (VII, 118 S.) gr. 80 M. 2 —

Rothfchild gibt eine Fortfetzung von E. Carlebach
,Die rechtlichen und fozialen Verhältniffe der jüdifchen
Gemeinden Speyer, Worms und Mainz von ihren Anfängen
bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts' (Leipzig 1901)
für die Zeit von 1349—1438. Er hat das gedruckte
Quellenmaterial forgfältig gefammelt und gefchickt bearbeitet
. Seine kritifchen Aufhellungen, z. B. S. 10 Anm. 8
über eine zweimalige Vertreibung der Juden in Speyer
1349 und 1353 und über König Ruprechts Stellung zu
den Juden S. 72, find verfländig. Was Rothfchild bietet,
ift eine ergreifende Leidensgefchichte, die um fo fchmerz-
licher ift, als nicht etwa nur gedrückte Bauern, wie um
Worms, oder leicht erregbares Stadtvolk, im Gegenfatz
zu dem Billigkeitsgefühl des Rates, das Recht kränkten,
fondern das Oberhaupt des deutfehen Reiches das unglückliche
Volk auf jede Weife ausbeutete und immer wieder
mit neuen Steuern belegte, befonders die beiden Prüder
Wenzel und Sigismund. Wie hatte fich doch feit dem
großen Judenmord 1349, der barbarifchften Art von Geld-
krife, die Lage des Judenvolks verfchlimmert! Jetzt war
es heimatlos, konnte kein Haus und keinen Grund und
Boden mehr als Eigentum erwerben, kein Handwerk und
keinen andern Handel mehr treiben als den Handel mit
Geld, der nichts anderes als Wucher fein konnte. Das
geiflige Leben der Juden fank am Rhein, während es in
Ofterreich blühte. Jetzt kam die Zeit, da die jüdifchen
Gelehrten fich für die Unterweifung von ihren Schülern
zahlen ließen, während noch Maharil den Unterricht
unentgeltlich gab, aber durch Heiratsvermittlungen fich
feinen Unterhalt erwarb. Intereffant ift, was Rothfchild
über die innern Verhältniffe der rheinifchen Judengemeinden
berichtet. Man beachte den romanifchen Stil der
alten Synagoge in Worms aus dem Jahr 1039 und den
gothifchen Bau von 1213. Das Gemeindehaus dient Beratungszwecken
, aber auch dem Vergnügen und hieß
Tanzhaus und Brauthaus. Das Zerbrechen des Glafes
an der Hochzeit erinnert an fränkifche Sitte bei der Abfahrt
des Brautwagens und an fchwäbifche Sitte beim
Hausbau. Auffallend ift, daß der Judenbifchof' nicht ein
Rabbiner ift, fondern ein Ratsherr aus dem Judenrat,
obgleich der Rabbiner eine geiftig dominierende Stellung
in der Gemeinde einnahm. Begreiflich ift, daß das vom
deutfehen König gefchaffene Amt der Judenmeifter oder
Hochmeifter bei den Juden keine Anerkennung fand,
denn es war kein von der Gemeinde, fondern von einem
Goi erteiltes Amt und diente nur zur Erleichterung des
Einzugs der Judenfteuer. Es war deswegen kein Wunder,
wenn einen Judenmeifter der Bann der Synagoge traf.
Der Stil ift ab und zu etwas nachläffig. Vgl. z. B. S. 17
Z. II ff. S. 55 und 56 ift der fchwäbifche Bund ein Anachronismus
. Gemeint ift der fchwäbifche Städtebund.
Einen Pfalzgrafen von Türingen gab es nicht. Vgl. S. 94
Z. 25. S. in Z. 24 1. Helmftadt (Baden). S. 96 Z. 24 1.
weiplich bild (Weibsbild). S. 8 Z. 13 1. Ghetto-Ordnung.

Nabern. _ G. Boffert.