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Ausgabe:

1905 Nr. 8

Spalte:

233-234

Autor/Hrsg.:

Grupp, Georg

Titel/Untertitel:

Kulturgeschichte der römischen Kaiserzeit. II. Band: Die Anfänge der christlichen Kultur 1905

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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233

Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 8.

234

bar vorangehende Verkündigung der Sittenlehre, an-
fchließend an Lev. 18 und 19. Diefe Sittenlehre' fei das
Urbild der ,Wege' gewefen, die bei dem chriftlichen Taufakte
dem Täufling feierlich vorgehalten feien. Da nun
aber neben diefer jüdifchen Sittenlehre bei der chriftlichen
Taufe doch von Anfang an auch das fpezififch
Chriftliche habe zum Ausdruck kommen muffen, fo habe
man neben den ,Wegen' die Glaubensformel gefprochen.
Durch den formelhaften, wenngleich nicht abfolut ftereo-
typen Charakter der ,Wege' fei es bedingt gewefen, daß
die Glaubenslehre bei dem Taufakte in einer analogen,
im ganzen feften, im Detail variablen Formel ihren Ausdruck
fand. So fei es fchon gleich nach dem Tode Jefu
gefchehen.

Alle auf die Entftehung der Glaubensformel bezüglichen
Deduktionen des Verf.s in diefem Buche ruhen auf
der Vorausfetzung, daß die Refultate feines früheren
Werkes richtig find, d. h. daß fpeziell die,Glaubensformel',
wie er ihren Grundbeftand rekonftruiert, im apoftolifchen
Zeitalter wirklich von Anfang an gegolten hat und im
Taufunterricht und bei der Taufe gebraucht ift. Wer der
früheren Beweisführung des Verf.s gegenüber fkeptifch ift,
findet natürlich auch feine jetzigen Ausführungen pro-
blematifch. Ihm können insbefondere auch die Ausführungen
über die Bedeutung des Begriffes ,Evangelium', die
die Hauptfubftanz der jetzigen Unterfuchung bilden, nicht
einleuchten. Ich felbft befinde mich in der Lage folches
Skeptikers. Ich kann nur wiederholen, was ich am Schluffe
meiner Anzeige des früheren Werkes ausfprach: daß die
forgfältigen Unterfuchungen, die der Verf. den unzweifelhaft
vorhandenen formelhaften Elementen in der urchrift-
lichen Verkündigung zuwendet, fehr berechtigt und dankenswert
find und im einzelnen viel Lehrreiches bieten;
daß der Verf. aber doch die Bedeutung diefer formelhaften
Elemente fehr überfchätzt, wenn er im apoftolifchen
Zeitalter, ftatt von unficheren und unbeteiligten
Anfängen einer Formelbildung zu fprcchen, mit wesentlich
teftftehenden und zufammengefchloffenen Formeln
rechnen zu können meint.

Jena. H. H. Wen dt.

Grupp, Georg, Kulturgeschichte der römischen Kaiserzeit.

II. Band: Anfänge der chriftlichen Kultur. München,
Allgemeine Verlagsgefellfchaft 1904. (VIII, 622 S. m.
67 Abbildgn.) 8° M. 9—; geb. M. 11 —

Schon bei der Befprechung des erften Bandes diefer
Kulturgefchichte der römifchen Kaiferzeit in diefer Zeit-
fchrift (1904, Nr. 11) ift darauf aufmerkfam gemacht
worden, daß wir es weder mit einer Gefchichte, noch mit
einer Kulturgefchichte im ftrengen Sinne des Wortes zu
tun haben. Auch in dem zweiten Bande werden, ohne
daß ein ftraffer Zufammenhang erkennbar wäre, einzelne
Bilder aneinandergereiht, welche, wie der Untertitel be

Rückgang des Handels, über den Großbetrieb im Gewerbe
und Ackerbau u. f. w. in vorkonftantinifcher
Zeit und auch für die Zeit nach Konftantin hat er es
nicht nur mit dem kirchlichen Stoffe zu tun. Bei der
lofen Aneinanderreihung der einzelnen Bilder war es wohl
nicht zu vermeiden, daß der Unterfchied der Zeiten auch
hier wieder nicht genügend zur Geltung kommt; daß
man — und ich empfinde dies als den größten Mangel
der Darftellung, — keine deutliche Vorftellung davon
erhält, worin denn nun eigentlich der Fortfehritt befteht,
der gegenüber der antiken Kultur auch in den Anfängen
der chriftlichen Kultur zu fehen ift. Ich führe diefen
Mangel hauptfächlich darauf zurück, daß es dem Ver-
faffer mehr darauf angekommen ift, Einzelheiten zu-
fammenzuftellen, als diefe Einzelheiten zu einem Gefamt-
bilde zu vereinigen. Darum auch lieft man fo vieles,
was Grupp bringt, beffer in anderen Büchern; man vergleiche
z. B. die Bemerkungen über die Beteiligung der
Chriften am öffentlichen Leben. Ich meine auch, daß
manche Bemerkung nicht gefchrieben worden wäre,
wenn Grupp fich etwas mehr in unferen Lehrbüchern
der Kirchengefchichte umgefehen hätte. Namentlich bei
feinen Angaben über die Martyrien ift mir eine Vernach-
läffigung der neueren kritifchen Arbeiten aufgefallen.
Daß die Kenntnis der Quellen und der Literatur bei
Grupp eine große ift, habe ich fchon bei der Befprechung
des erften Bandes rühmend hervorgehoben. Das Entgegenkommen
gegen die Refultate der proteftantifchen
Forfchung fcheint mir im zweiten Bande noch größer zu
fein als im erften. Dabei glaubt Grupp freilich feine
katholifche Grundftimmung aufrecht erhalten zu können.
Ich weiß nicht, ob nicht gerade aus diefem Beftreben,
zwei difparate Gedankenkreife zufammenzufchweißen,
unrichtige Urteile hervorgegangen find. Ich möchte darauf
Sätze, wie die folgenden, zurückführen (S. 354): ,Alle
diefe Dinge, Wallfahrten, Prozeffionen, Reliquien- und
Heiligenverehrung geftalteten die Religion ohne Zweifel
viel reicher und anziehender, wenn lie auch das religiöfe
Gefühl nicht immer vertieften. Aber deshalb darf man
nicht von einer Paganifierung des Chriftentums, von einem
Einbruch des Heidentums reden, da nur Äußerlichkeiten
an das Heidentum erinnern, der Geift aber ein ganz anderer
war'. Eine folche Bemerkung ift mir von meinem
Standpunkte aus völlig unverftändlich. Ich habe den
Eindruck, daß der Herr Verf. auch diefen zweiten Band
zu flüchtig gearbeitet hat; wenn er fleh in feiner litera-
rifchen Produktion etwas mehr Zeit ließe, würde er gewiß
Bücher von bleibendem Werte und großem Nutzen
fchaffen können.

Halle a. S. Gerhard Ficker.

Delaville Le Roulx, J., Les Hospitaliers en Terre sainte et
ä Chypre (1100—1310). Paris, E. Leroux 1904. (XIII,
440 p.) 4"

fagt. die Anfänge der chriftlichen Kultur zeigen follen. Der verdiente Herausgeber des monumentalen Car-

Und es ift gar keine Frage, daß uns auch hier wieder tulaire gencral de Pordre des Hospitaliers de S. Jean de
eine große Fülle intereffanter und lehrreicher Notizen ! Jerusalem (bis jetzt 3 Bände in foho; der 4. abfchließende
in anziehender Form geboten wird. Das Beftreben, die I Band ift im Erfcheinen begriffen) J. Delaville Le Roulx
Vergangenheit in größerer Lebendigkeit und größerem hat in dem vorliegenden Werke das von ihm zufammen-
Reichtum, als es lonft üblich ift, zur Anfchauung zu geftellte Material hiftorifch verwertet und damit feine
bringen, tritt deutlich hervor und hat auch bis zu einem früheren, demfelben Gegenftande gewidmeten Arbeiten
gewiffen Grade erfolgreiche Wirkung gehabt. Die Dar- , zu einem gewiffen Abfchluß gebracht. Er behandelt darin
ftellung erftreckt fich in 57 Kapiteln bis in das 5. Jahr- nur die erfte Periode der Gefchichte des Johanniterordens,
hundert; ein Kapitel über den chriftlichen Gottesdienft von den Anfängen bis zu feiner Feftfetzung auf Rhodus
der erften Jahrhunderte macht den Anfang; im letzten (1310), jene Periode, die er la phase herdique de son roh

Kapitel werden die kirchlichen Strömungen des 5. Jahrhunderts
aufgewiefen. Den größten Raum nimmt der
Stoff ein, den wir fonft in den Darftellungen der Kirchengefchichte
diefer Jahrhunderte zu finden gewohnt find;

militaire nennt. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß
nicht nur die in dem Urkundenbuch gefammelten Dokumente
für diefe Gefchichte nutzbar gemacht, fondern
auch die fonftigen zur Verfügung flehenden Quellen in

ausführlicher als hier wird über die chriftliche Kunft ge- I dem reichften Umfange herangezogen worden lind. Die
handelt. Außerdem aber fpricht der Verfaffer auch über Diskuffion der verfchiedenen Quellenangaben nimmt in
Steuerdefpotismus, über Kapital und Arbeit, über den I der Darftellung einen ziemlich breiten Raum ein. Le