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Ausgabe:

1905 Nr. 7

Spalte:

204-205

Autor/Hrsg.:

Gry, Prêtre Léon

Titel/Untertitel:

Le Millénarisme dans ses origines et son développement 1905

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 7.

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posmythus nach. Das Refultat feiner mit glänzender
Kombinationsgabe durchgeführten Unterfuchung, in der
u.a. auch die jüdifche und PaulinifcheLehre vom jiQmzog
und öevrsQoq äv&Qcvjcoq eingehende Berückfichtigung erfährt
, zeigt, daß wir es mit einem wohl aus Babylonien
ans Mittelmeer gedrungenen Mythus zu tun haben, der
unter dem fynkretiftifchen Zwang der Zeit fich mit den
verfchiedenften religiöfen Vorftellungen verband: das
typifche Beifpiel liefert die von R. (S. 83—98) in ihrer
vermutlich älteren vorchrifllichen Form hergeftellte
Naaffenerpredigt. Bis hierhin dürfte R.s Beweisführung
völlig einleuchtend fein: nur in dem Momente, wo R.
das Tipfelchen aufs i fetzen will, muß Widerfpruch erhoben
werden. Daß diefer die Menfchen aus der Herrfchaft
der d[iaQ[iEvrj befreiende "Avirgmeioq wie im Poi-
mandres als Hirte aufgefaßt worden fei, findet R. durch
eine altchriftliche Lampe (Garrucci Storia VI 474,2) und
eine ebensolche Gemme (Garr. VI 477, g) bewiefen:
beide Male ift der gute Hirte dargeftellt, der von fieben
Schafen — nach R. den Repräfentanten der ,fieben Völker'
der Erde — umdrängt ift: über feinem Haupte leuchten
7 Sterne — die Planeten als Götter der eluctQfie'vT] —,
aus deren Gewalt alfo der Hirt das Schaf auf feiner
Schulter befreit. Aber: die Siebenzahl der Sterne ift
wahrfcheinlich rein zufällig, denn 7 find es nur auf der
Gemme, die Lampe hat 7 -J- Sonne und Mond. Auf der
Tonfeherbe Garr. VI 465,1 ftanden mindeftens 15 Sterne
nebft Sonne und Mond zu Häupten des guten Hirten,
die (gnoftifche?) Gemme 492,« zeigt 4 Sterne, eine andere
492,17 nur einen nebft Mond; vgl. auch 477,8. Die Sterne
charakterisieren eben nicht die ti/iagpevrj fondern den
Himmel, felbft wenn die Zahl 7 (= viel) abfichtlich gewählt
fein Sollte: auf einem in Brescia befindlichen Sarkophag
Garr.V 323,2 Streckt der Engel des Herrn feine
Hand zwifchen 7 Sternen hindurch nach dem Haarfchopf
des Plabakuk aus. Mit den Schafen ifts nicht anders:
auf der Lampe finds freilich 7, aber auf der Gemme
doch nur 6, und fo kann man fich jede gewünfehte Zahl
bis zu 1 herunter aus den Darftellungen zufammenfuchen.
Und das Gewichtigfte: der gute Hirt ift, wie nun Wilpert,
Malereien der Katakomben S. 430SY. klar gezeigt hat,
Symbol für den Eingang der Verstorbenen ins Paradies,
die Schafe repräfentieren die Seligen (Wilpert Taf. 190.
236): es geht nicht an, die Gruppe hier ohne zwingenden
Grund anders zu erklären. Die Parallelfymbolik mit Noah
und Jonas auf der Lampe ift tatfächlich nicht vorhanden
— wie fo oft!

Das vierte Kapitel weift Ägypten als die Heimat
auch der literarischen P'orm der Hermetifchen Schriften
nach. Die Offenbarung des Gottes an feinen Sohn oder
Schüler ift geradezu die klafiifche Form der Darftellung
in der helleniftifchen religiöfen Literatur Ägyptens, und
daß Sie an nationale Vorftellungen anknüpfte, hat R. gleichfalls
erwiefen. Direkt vorgebildet fcheint der Typus
in Altägypten jedoch nicht zu fein. Mit dem zweiten
Typ, der Himmelswanderung der Seele, hat es die gleiche
Bewandtnis. Die Frage, ob es fich da nur um eine zufällige
Lücke unferes Materials handelt, läßt fich m. E.
noch nicht ficher beantworten. Wie Recht R. hatte, als
er S. 147 ein Zaubergebet des Papyrus Mimaut für ein
Denkmal einer der Hermesgemeinden analogen Sekte
erklärte, zeigt fein Auffatz im Archiv f. Religionswiffen-
fchaft VII, 1904 S. 393—411: ein Stück des Gebetes fand
fich nachträglich in dem lateinifchen Asklepiusdialog des
Pfeudo-Apuleius. Es ift der gleiche Tenor, wie er fich
im Schlußgebet des Poim. § 31—32 findet, aber dies ift,
wie das neunmalige dyioq zeigt, jüdifch unterbaut. Die
fchönfte Parallele ift Joh. 17. Von der Ausbreitung der
Hermetifchen Literatur und der fie hütenden Gemeinden
redet das V., von der Kompofition des ganzen Corpus
das VI. Kapitel: die Anfetzung in die Zeit Diokletians
trifft ficher das Richtige. Das VII. Kapitel ift der Würdigung
einer jüngeren Hermetifchen Schrift, der Nr. XIII

des Corpus, gewidmet. Die hieran geknüpften Erörterungen
über .gnoftifches'undaltchriftlichesProphetentum,
gefchlechtliche Vereinigung mit der Gottheit und den
gleichfalls bereits in der altägyptifchen Religion vorgebildeten
Pantheismus, der fich dann in den Hermetifchen
Schriften ebenfo wie in chriftlich-gnoftifchen, namentlich
in den neuen Oxyrhynchuslogia 1 und 3 auch in der
Form an alte Mufter anklingend, wiederfindet, find für die
theologifche Forfchung von höchstem Werte. Von R.s
feinem Taktgefühl gibt die Einordnung des Johannesevangeliums
in diefe Zufammenhänge (S. 245 ff.) ein beherzigenswertes
Beifpiel. Es folgen die ,Beigaben':
i)Senecaund Pofeidonios, 2) Buchftabenmyftik und Aionen-
| lehre, 3) Amulette, 4) Entlehnungen aus Piaton, 5) Zum
Alexander-Roman, fchließlich die (NB. vor dem Studium
der Abhandlungen zu lefenden!) Texte des Poimandres,
der Nr. XIII des Corpus und der für die Gefchichte der
Kompofition und die Datierung des Ganzen wichtigen
letzten Kapitel, alle auf neu befchaffter handfehriftlicher
Grundlage. Unter den ,Zufätzen' ift befonders beachtenswert
ein Beitrag Bruno Keils (S. 370ff.) über die
rythmifche Kompofition der Satzkadenzen in den letzten
Texten.

Wieviel der Theologe aus R.s Buch lernen kann,
davon geben diefe notgedrungen nur flüchtig Streifenden
Andeutungen kaum eine Vorftellung: es hat der Forfchung
tatfächlich ein neues Gebiet erfchloffen, deffen Bebauung
reichften Ertrag verfpricht. Möchte ihm die kühle Ablehnung
durch befchränkte Voreingenommenheit eben
fo fehr erfpart bleiben, wie die kritiklofe Annahme des
Neuen, was es bringt. Es ift ein ernftes, fchweres Buch,
zu fchade, um eine neue Mode zu inaugurieren.

Bonn. Hans Lietzmann.

Gry, Pretre Leon, Le Millenarisme dans ses origines et son
developpement. Paris, A. Picard et Fils 1904. (144 p.) X"

Diefe am 5. Juli 1904 vor der theologifchen Fakultät
von Angers verteidigte Doktordiffertation ift nicht eine
auf erneuter Quellenforschung beruhende, die früheren
Arbeiten kritifch Sichtende, das Problem des Chiliasmus
daher direkt fördernde Unterfuchung; immerhin zeichnet
fich die Schrift durch redlichen Fleiß, reiche Belefenheit
und lichtvolle Darfteilung aus. Der Verf. verfolgt die
,idee mülcnaire' im Alten Teftament und in den jüdifchen
Apokalypfen (9—32), im Neuen Teftament und im zeit-
genöffifchen Judentum (33—61), in der älteren kirchlichen

i Literatur bis zu Tertullian (62 — 86), in der orientalifchen
Theologie bis zu ihrer Ausrottung, refp. ihrem Verblaffen
(87 — 107), in der occidentalifchen Kirche bis auf die ent-
fcheidende Stellungnahme Auguftins (108—129). Am
Schluß (130—136) wirft der Verf. die Frage nach dem
Verhältnis des Chiliasmus zum katholifchen Dogma auf.
Er gelangt zu dem Ergebnis, daß der Chiliasmus weder
als ein Dogma, noch als eine Ketzerei, wohl aber als ein
Irrtum zu betrachten fei. ,En voyant ce rabougrissement
du chiliasme qui da jamais pu croitre et devenir un dogme,
malgre le nombre et le talent de ceux qui le cultiverent, on
ne peut s'empecher de redire les paroles evangeliques: Tout

| arbre qui n'aura point ete plante par mon Pere des cieux
sera drracki .... Aucun concile general ni document de
l'Eglise, ä notre connaissance du moins, da proscrit le
chüiasme. L'Eglise et ses theologiens out voulu se tenir dans
cette meme reserve qui fut celle de saint Jeröme: tant d'ecri-
vains ecclesiastiques et des plus celebres, tant de martyrs ont
suivi ces doctrines qu'clle ne les a point condamnees, bien
qdelle se soit refusee a y souscrire. Aujourd'hui tout es
les ecoles de theologie sont unanimes sur ce point que le
Millenarisme fut une erreur plus qu'une hcresie, une er rcur
grossiere des esprits na'ifs de l'antiquite' (134—136). Der
Verf. hat fich um das Studium der proteftantifchen Forfcher
redlich bemüht, und ift mit den wichtigften Pvrzeugniffen
und Ergebniffen deutfeher Wiffenfchaft vertraut. Zur Em-