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Ausgabe:

1905 Nr. 6

Spalte:

186-187

Titel/Untertitel:

Kirchenbuch für die Evangelische Kirche des Grossherzogtums Hessen 1905

Rezensent:

Bassermann, Heinrich

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 6.

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der Moral nur durch enge Verbindung mit der Religion
zu erklären und zu halten find. Das gilt fowohl von der
Allgemeinheit des fittlichen Bewußtfeins, die auf den
Schöpfer als auf ihren Urheber weift, wie auch von dem
Zweck und der Möglichkeit des fittlichen Lebens, die
nur auf theiftifcher Grundlage denkbar find.

Die Schrift gibt weder neue noch tiefe Gedanken.
An das Buch von Ragaz ,Du follft' reicht fie lange nicht
heran. Die ganze Art der Behandlung, befonders die

fames Joch auf den Nacken zu legen, man weiß vielmehr
die Vergleichung Luthers zu würdigen, wonach
die Liturgie der Schuh in, der nur infoweit taugt, als er
paßt. Das in den Gemeinden tatfächlich Vorhandene
und ihnen Liebgewordene wird überall, wie als Endpunkt
einer gefchichtlichen Entwickelung verftanden, fo als
Ausgangspunkt der praktifchen Geftaltung benutzt. Ge-
meinfamkeit und Freiheit, Mannigfaltigkeit und Einheitlichkeit
werden hier verfchmolzen. Dabei wird auch die

Menge von fingierten Disputen mit Gegnern aus dem | Fühlung mit den Nachbarkirchen nicht vernachläffigt,
Alltagsleben laffen vermuten, daß fie mehr ein Beitrag j überall an Gewöhnung und Sitte angeknüpft und dabei

zur populären Apologetik als zur wiffenfchaftlichen Bearbeitung
des Problems fein will.

Heidelberg. F. Niebergall.

Kirchenbuch für die Evangelische Kirche des Grossherzogtums
Hessen. Erfler Band: Die Gemeindegottesdienfte.

Zweiter Band: Die gottesdienftlichen Gemeindehand- I Vorbereitung jeweils das auszuwählen (übrigens wird ge

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doch der darüber hinausführende, regulative Gedanke
nachdrücklich zur Geltung gebracht. Wohltuend berührt
auch, wie alle Akte als folche der Gemeinde aufgefaßt
und die Funktionen des Pfarrers durchaus als von ihr
ausgehend und fie darfteilend verftanden werden. Diefem
Pfarrer aber als Liturgen wird aufgegeben, fich aus dem
mannigfachen hier dargebotenen Material in forgfältiger

lungen. Darmfkadt, C. F. Winter 1904. (XLIV, 282
u. XXXII, 160 S.) gr. Lex. 8" M. 16—;

geb. M. 20 — ; m. Goldfehn. M. 21—
Handausgabe zum 2. Bande. (Taufe. — Begräbnis
— Kranken-Kommunion und Kranken-Seelforge.)
Ebd. 1904. (VIII, 16b S.) kl. 8° xM. i.6o; geb. M. 2.60
Diefes Kirchenbuch fcheint mir einen beachtens-

legentlich auch freies Gebet geftattet), was dem klar
erkannten Sinn und Zweck der jeweiligen Handlung
entfpricht und diefe in reichem und lebendigem Zu-
fammenklang einheitlich geftaltet. Der Liturg muß fo
zum Künftler werden.

Denn diefe Agende will ftudiert und mit feiner
Nachempfindung verftanden fein, um recht gehandhabt
zu werden. Vier Formen des Hauptgottesdieftes
werden, obigen Grundfätzen gemäß, dargeboten. Auf

werten Markftein in der liturgifchen Gefchichte zu be- den äußerften Seiten flehen einerfeits der ganz einfache
deuten. Die modern-liturgifchen Grundfätze in Anwen- füdweftdeutfehe Typus (in Heften 1836), andererfeits die
dung auf beftimmte territoriale Verhältniffe find wohl j vollentwickelte lutherifche Gottesdienftordnung, die 1859
noch nirgends offiziell fo deutlich zum Ausdruck ge- | ebenfalls in Heffen Eingang gefunden hat, zwifchen
kommen, wie hier. Dies gilt zunächft von den Ein - j beiden fodann zwei Mitteltypen, die fich als Erweiterung
leitungen, womit die beiden Bände eröffnet werden, des einen, als Vereinfachung des andern darfteilen. Für
in ihrer Ausführlichkeit (44 und 32 Seiten) (teilen fie fie alle werden (I, 18—153) "ach der Folge der Kirchen-
geradezu eine Liturgik im kleinen dar. Dies wird nie- ! jahrszeiten reichliche Materialien geboten, deren Benutzung
mand tadeln, der da weiß, mit welch elementarer Un- natürlich von der Wahl des einen oder andern Typus
kenntnis und wie bar alles fachkundigen Nachdenkens 1 abhängt. Diefe Materialien find außerordentlich forg-
die Geiltlichen mitunter dem liturgifchen Gebiet gegen- j fältig gewählt und zufammengeftellt, gefchickt und über-
über ftehen. Auf der Univerfität hat man es verfäumt, fichtlich geordnet. Eine fchöne Fülle biblifchen Stoffes
fich mit diefen fcheinbar fo untergeordneten Dingen zu be- J bietet fich hier in den Sprüchen zum Eingang, Kyrie,
faffen. und nachher hat man fie eben hingenommen wie j Gloria, Schriftlefung, Gebet dar. Der liturgifche Gebets-
fie waren. Daß dies eine unwürdige Stellung zu ihnen ton fcheint mir gut getroffen; kaum irgendwo habe ich
ift, daß hier nicht einfach ein Gegebenes vorliegt, dem ] Archaiftifches oder Allzubiblifches, Phrafenhaftes ge-
gegenüber man fich wefentlich pa-ffiv zu verhalten hätte, | funden. zuch der modernifierende Ton ift vermieden;
daß es vielmehr auch auf diefem Gebiete ein felbftändiges den Tenor gibt auch in den Gebeten die Bibel
Nachdenken und Tun gibt, von deffen Gelingen etwas | her. Die Sprache ift flüffig und fchön, die fonft
Wertvolles abhängt, muß jedem, der diefe Einleitungen I beliebte Inverfion verhältnismäßig feiten. Jeder fromme
aufmerkfam lieft, deutlich werden. Aus ihnen fpricht 1 Chrift wird hier etwas finden, woran er fich erbauen kann,
durchweg wirkliche liturgifche Bildung, und die gleiche j keiner wird über dogmatifchen Zwang oder unfruchtbare
Bildung fordern fie von dem, der das Buch in Gebrauch Monotonie klagen können. — Was dann die Abendnimmt
. Die liturgifchen Grundfätze, die hier zum Aus- | mahlsfeier betrifft (S. 154—188), fo ift hier von der
druck kommen, find folche, daß ich fie, wie ich mit j Fiktion, daß fie den Höhepunkt jedes Hauptgottesdienftes
Freuden konftatiere, nur billigen kann. Was die Theorie | zu bilden habe, natürlich nicht die Rede; fie tritt bald
als richtig erkennt, wenigftens die meinige — ich ver- i als Anhang zu ihm, bald felbftändig auf, fei es mit der
weife auf meine Liturgik —, ift hier in vorzüglicher I Beichthandlung verbunden, fei es von ihr getrennt. BeWeife
zum Leitftern der liturgifchen Praxis erhoben und , fonders erfreut bin ich, hier (p. XXXV) dem Gedanken
auf das Einzelne angewendet. Zu allererft, daß nichts zu begegnen, daß fie eventuell fogar an die Stelle des
zum Gefetz gemacht, vielmehr alles, das Ganze und ; Hauptgottesdienftes treten könne. Auch hier ift altes
das Einzelne, den Gemeinden nur empfohlen wird: der [ und neues Material verwendet und mancherlei Form und
Grundfatz der Freiheit. Das ift dadurch ermöglicht, daß 1 Formel (z. B. der Distribution) geftattet. Die Prä-
ihnen Mannigfaches zur Wahl geboten wird und dies j fation, nach den Feftzeiten variiert, findet hier (wie
Mannigfache auf gefunden Gefichtspunkten einerfeits, j in den Feft - Hauptgottesdienften) ihre Stelle. Neue
auf der territorial variierten Landesfitte, wie fie fich ge- | Wege find nicht eingefchlagen, aber die bisherigen
fchichtlich gebildet hat, andererfeits aufgebaut ift. j mit Sinn und Gefchick verfolgt. — Befonders forgfältige
Von dem katholifierenden Ideal der Uniformität ift diefes Behandlung haben die Nebengottesdienfte gefunden
Kirchenbuch ganz frei, wie denn überhaupt klar evan- | (S. 189—273). Diefe Ausnahme von der fonftigen Regel
gelifches Empfinden und Denken fich in all den hier 1 wird man nur loben können, ebenfo, daß diefe Sorgfalt
entwickelten Grundfätzen ausfpricht. Da hat man fich l ganz vornehmlich bei den ,lit. Gottesdienften' und ,lit.
auch nicht, trotz aller deutlich erkennbaren gefchicht- Feiern' hervortritt. Erftere find in freiem Anfchluß an
liehen Fundamentierung in ein hiftorifches Ideal, fei i die lutherifche Vefper, letztere nach der Weife gehalten,
es der altkirchlichen, fei es der reformatorifchen Zeit : die fich in den Kirchengefangvereinen dafür herausverliebt
, um es nun widerwilligen Gemeinden als heil- I gebildet hat. Eine Reihe bis ins Detail ausgeführter