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Ausgabe:

1905 Nr. 6

Spalte:

177-180

Autor/Hrsg.:

Kirsch, Johann Peter

Titel/Untertitel:

Die päpstlichen Annaten in Deutschland während des XIV. Jahrhunderts. 1. Bd.: Von Johann XXII. bis Innocenz VI 1905

Rezensent:

Keller, Siegmund

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Theologifche Literaturzeitung 1905 Nr. 6.

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Souveränetät des Staates, mit Erfolg dem päpftlichen kameralen Verwaltung geführten Bücher gehen, foweit
Abfolutismus entgegengeftellt wird. Der Verfaffer der ! fie uns erhalten find, nicht über das Jahr 1323 zurück, ob-
Ouaestio in utramque partem geht zwar noch nicht fo - wohl fie nachweislich fchon im XIII. Jh. angelegt wurden,
weit: Er lal.lt der Kirche ihre dominierende Stellung, aber 1 Auch andere Quellen vertagen für diefe frühefte Zeit,
auf Korten des Zugeftändniffes der Trennung von Staat 1360 oder 1361 ift nur vorläufiger Schlußpunkt der Pub-
und Kirche (S. 233 ff.). Die Disputatio inter clericum et likation; ein weiterer Band foll die Materialien von Inno-
militem mutet fchon ganz modern an. Das Hauptinter- zenz VI, beziehungsweife Urban V ab enthalten,
effe ruht auf der Verteidigung der Anfprüche des König- J Die den Materialien des 1. Bandes vorangeftellte Ein-
tums an feine Landeskirche; die Frage nach einer leitung irt fehr umfangreich: LVI SS. Sie handelt zu-
Souveränetät des Papftes tritt gänzlich zurück, fie ift im nächft von Begriff und Urfprung der Annaten. Im XIV.
Wefen nur geiftlichen Charakters. Jh., alfo auch bei K., bedeutet Annate ausfchließlich die

Die lange Reihe der Publiziften fchließen jene , Steuer, welche auf niedrigen, vom Papfte verliehenen
königlichen Beamten (Peter Flöte, Wilhelm Nogaret, j kirchlichen Pfründen ruhte und in die päpftliche Kammer
Peter Dubois), die man mit einiger Beftimmtheit auch , floß. Ihr Urfprung liegt (das wußte bereits Thomaffin)
als Verfaffer einer Anzahl politifcher Streit- und Denk- ! in jener Art von Spolienrecht kirchlicher Perfonen und
fchriften zu bezeichnen vermag. Ihr Beruf, vornehmlich Inftitute, das bei Erledigung von Benefizien eintrat und
jener Nogarets, des berühmten Leiters der auswärtigen anfangs einen verhältnismäßig gefunden Sinn hatte, fo-
tranzöfifchen Politik, hat fie ja ganz befonders befähigt, auch | lange z. B. hieraus den Erben des Vorgängers Gnaden-
literarifch in den Kampf gegen die Kurie einzugreifen. 1 bezüge gezahlt worden find. Seit aber die Päpfte diefes
Selbftverftändlich find fie königstreu bis ins Mark, in Spolienrecht felbft ausübten, befonders von Johann XXII
ausgefprochenem Gegenfatze zu der volkstümlichen fran- 1 ab (der aber, wie K. nachweift, damit kein novum ein-
zöfifchen Literatur des ausgehenden XVIII. Jhs. [Kornau führte), und feit die Gelder ausfchließlich in die päpft-
de la Kose, du Kenard, etc. S. 458), die nicht den liehen Karten floffen, konnte man, wenn man ehrlich fein
geringrten Refpekt vor der Würde des Königtums oder wollte, die Forderung der Annaten nur mit den maßlos
gar dem Geburtsadel, Bureaukratie und Pfaffentum zeigen, gefteigerten Anfprüchen der päpftlichen Verwaltung
Dem Staate gehört i. A. n. die gefamte foziale Wohl- j motivieren. Eine Rechtfertigung damit, daß die Päpfte
fahrtspflege: darum vor allem Exemtion der Kirche vom ! vom XIII. Jh. ab in zahllofen Fällen an Stelle der ordent-
Staate, Befchränkung der geiftlichen Gerichtsbarkeit, ] liehen Kollatoren Pfründen verliehen, eine Rechtfertigung,
ftaatliche Befteuerung des Klerus, vollkommene Souve- ! die auch K. anfeheinend verfucht (p. XI sq.), beruht doch
ränetät des Königs gegenüber dem Papfte — kurz eine lediglich auf einem circulus vitiosus, und wir können uns
vollftändige Trennung von Staat und Kirche mit Zu- recht wohl vorftellen, daß den , Teutoni' damals eine
grundelegung des Princips der Staatshoheit. Es gibt j folche Begründung abfolut nicht einleuchten wollte,
kaum eine der im allermodernften Frankreich heißum- 1 SS. XX—XLVI enthalten eine ausführliche Befchrei-
ftrittenen Fragen auf dem Gebiete des Verhältniffes von 1 bung der Kameralregifter über die Annaten der
Staat und Kirche, die nicht im XIII. Jh. fchon des langen | deutfehen Benefizien. Während nämlich für den größ-
und breiten erörtert worden wäre; die Publiziften von ten Teil der Chriftenheit zur Erhebung der Annaten die
dazumal bieten ein unerfchöpfliches Repertoire. Einnahme- und Ausgaberegifter genügten, die von den

Der Einleitung in unfer Buch entlpricht ein Rück- ( Kollektoren geführt und nach ihrer behördlichen Prüfung
blick und Ausblick; den Schluß bilden (nebft einer - im Archiv der Kamera hinterlegt wurden, mußte für die
chronologifchen Tabelle der befprochenen Schriften) bis- | deutfehen Diözefen eine ganz befondere Verwaltung
her in alten Handfchriften fchlummernde Traktate von ■ organifiert werden, da fich die deutfehen Pfründner hart-
Heinrich von Cremona, Auguftinus Triumphus etc. Der | näckig wehrten, ihre guten deutfehen Grofchen nach
Stil ift gut; das Buch lieft fich fehr angenehm, wenn [ Rom, beziehungsweife Avignon abzuführen, und fich ganz
der Verfaffer (der Stoff entfchuldigt ihn) auch gelegent- j befonders der Einhebung der Annaten durch Kollektoren
lieh in den Kanzelton verfällt (z. B. S. 236: .Keine weit- ; widerfetzten. Mangels folcher Kollektoren mußte aber
liehe Macht ift alfo Petro . . . übertragen worden'). I der Benefiziat die Zahlung (oder das Verfprechen der-
Bonn Siegmund Keller. felben) an die Kamera direkt leiften. Über folches

wurden naturgemäß genaue Regifter geführt, doch find

Kirsch. Prof. Dr. Joh. Peter, Die päpstlichen Annaten in uns leider nur Bruchftücke hievon erhalten geblieben
Deutschland während des XIV. Jahrhunderts. Erfter Band: ™!eT^len 1°™* als Quellen insgefamt: die Libri or-

Von Johann XXII. bis Innocenz VI. (Quellen und For-
fchungen aus dem Gebiete der Gefchichte. In Verbindung
mit ihrem hiftorifchen Inftitut in Rom herausgegeben
von der Görres-Gefellfchaft. IX. Band.) Paderborn
, F. Schöningh 1903. (LVI, 344 S.) gr. 8"

M. tj —

dinarii(Hauptbücher mit denGefamtfummen der Annaten);
die Quittungsbücher der Canterarii (an welche das Verfprechen
und fpäter die Zahlung gefchah); die Quittungsbücher
der Thesaurarii (die die oberfte Kontrolle hatten);
Regifter der gelegentlich auftretenden Kollektoren; und
fchließlich die eigentlichen Regifterbände des Kameral-
archivs im Archivio segreto. Leider find diefe ehrwürdigen
Schätze des XIV. Jahrh. nicht einmal heute vor

Dem Bande ,Die päpftlichen Kollektorien in Deutfch- Dezimierung gefchützt; man lefe p. XXVIII die Vorbe-

land während des XIV. Jahrhunderts' hat Kirfch einen I merkung.

neuen Band folgen laffen: ,Die päpftlichen Annaten in K. hat 20 ,Collcctonae- ausfindig gemacht. Als be-

Deutfchland während des XIV. Jahrhunderts'. fonders charakteriftifch feien, foweit fie nicht zum Abdrucke

Während erfterer neben den anderen in Deutfchland ' gelangten, hervorgehoben: Coli Nutn 6 (p XXIV) ein
felbft erhöbe

nen Abgaben und Guthaben der apoftolifchen j Originalhandregifter verfchiedener Beamten von Kammer-
Kamera auch die von den Kollektoren in den einzelnen klerikern. Aus den Eintragungen ift erfichtlich, welches
Diözefen als Annaten eingezogenen und verrechneten ] Mißtrauen man den ,Teutont* entgegenbrachte. Deutfche
Gelder enthält, bringt der neue Band die infolge des Landsmannfchaft genügte, um an der Kurie als .fauler
befonderen Erhebungsfyftems der deutfehen Annaten an i Zahler' zu gelten, dem es nur fchwer beigebracht werden
der Zentralftelle der Kamera direkt von den einzelnen konnte, daß dem Papfte als oberftem Kirchenherrn ein Teil
Benefiziaten geforderten Abgaben diefer Art zur Ver- ! der Amtseinkünfte gebühre: Rcv. patcr dnus. vicecancel

öffentlichung, foweit fich diefe Annaten auf deutfche
Pfründen aus den Jahren 1323—1360 beziehen. Der Ter-
minus a quo ergibt fich von felbft, denn die von der

larius vult, quodrotuli seu supplicationes Tkeutonicorum
portentur ad cancellariam . . . . ut evitentur fraudes-
und weiter unten: retinebimus copias ad finetn ut possit