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Ausgabe:

1904 Nr. 6

Spalte:

173-175

Autor/Hrsg.:

Grützmacher, Georg

Titel/Untertitel:

Hieronymus. Eine biographische Studie zur alten Kirchengeschichte. 1. Bd 1904

Rezensent:

Preuschen, Erwin

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173

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 6.

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betreibt. Ob freilich ein unmittelbares Bedürfnis für die
hier begonnene Serie kleiner Texte vorliegt, vermag ich nicht
zu beurteilen. Mir erfchien es, als ich die Texte der
Analecta und Antilegomena fr. Zt. zufammenflellte, zweckmäßig
, in einem mäßig umfangreichen und daher leidlich
billigen Band mehrere zufammengehörige Texte zu
vereinigen, weil ich dachte, daß mancher wohl auch über
die Seminarzeit hinaus an diefen Stoffen Intereffe haben
werde. Kleine Hefte, die man einzeln nicht binden
laffen kann, unterliegen leicht der Gefahr, zerlefen und
dann bei Seite geworfen zu werden. Ob jenes oder
dies nützlicher ift, mag alfo die Zukunft lehren. Jedenfalls
darf man fich über die Konkurrenz freuen. Denn
wenn das neue Unternehmen dazu beiträgt, die Ver-
tefung in die Quellen der chrifllichen Kirchengefchichte
zu fördern, fo hat es damit vollauf feine Existenzberechtigung
erwiefen. Daß es dazu in hohem Maße geeignet ift,
darf nach den vorliegenden Heften nicht bezweifelt werden.

Der Text des muratorifchen Fragmentes ift abgedruckt
nach dem unvollkommenenFacfimile vonTregelles
— Cerianis langerwartete phototypifche Reproduktion ift
leider immer noch nicht erfchienen — und der neunten
Collation von Achelis und Schüler (in meinen Analecta).
Den Wuft der älteren Lefungen hat L. über Bord geworfen
. Die Stellen, die in den Prologen von Monte
Caffino ausgefchrieben wurden, find in extenso nach der
Ausgabe in den Mifcellanea Caffinefe II, 1, 1 sqq. unterm
Rand abgedruckt. Auf der Kolumne daneben gibt L.
einen eignen RekonSruktionsverfuch, den Franz Bücheler
begutachtet hat; darunter einen knappen kritifchen und
fachlichen Kommentar. Auf den Kanon folgen die
monarchianifchen Prologe, im wefentlichen nach Corffens
muntergültigem Abdruck. Auch fie find von einem
knappen, hier rein textkritifchen Kommentar begleitet.
Das ganze füllt einen Bogen und koftet nur 30 Pf. Daß
alles zuverläffig und forgfältig gearbeitet ift, dafür bürgt
der Name von L. Vermiffen könnte man höchstens eine
kurze Literaturangabe. Doch wird L. guten Grund gehabt
haben, eine folche nicht zu geben. Alles in allem ein
nützliches Büchlein, dem recht viele Käufer zu wünfchen
find. Für die ganze Sammlung erhoffe ich guten Fortgang
. Über die inzwifchen noch erfchienenen Hefte hat
in diefer Ztg. Knopf berichtet (19x13, Nr. 25). Was fonft
noch auf dem Programm Steht, erweckt die beften Erwartungen
.

DarmSadt. Erwin Preufchen.

Grützmacher, Prof. Lic. Dr. Georg, Hieronymus. Eine
biographifche Studie zur alten Kirchengefchichte.
Erlte Hälfte: Sein Leben und feine Schriften bis zum
Jahre 385. (Studien zur Gefchichte der Theologie
und der Kirche, herausgegeben von N. Bonwetfch und
R. Seeberg. Sechster Band, Heft 3.) Leipzig, Dieterich,
1901. (VIII, 298 S. gr. 8.) M. 6.—

Eine Biographie des Hieronymus Seilt an den Biographen
befondere Anforderungen. Zu der Perfon des
DarzuSellenden ein rechtes, inneres Verhältnis zu gewinnen
wird für Jemand, der nicht feine Schwärmerei
für Askefe teilt, oder der den Mann verehrt, weil er im
Hciligenkalender Seht, kaum möglich fein. Treten aber
dem DarSeller die häßlichen Züge des Mannes, feine
Verlogenheit, fein maßiofer Ehrgeiz, feine unbezwingbare
LüSernheit, feine ungemeffene SelbSfucht, feine Prahlerei,
feine Oberflächlichkeit fo eindrucklich entgegen, daß er
wie G. dagegen nur den großen Fleiß zu Sellen vermag
und allenfalls noch die Leidenfchaft für fein Evangelium
der Askefe geltend machen kann (S. 2), fo fcheint mir
das Unternehmen einer großen Biographie von vornherein
auf einen etwas unliebem Boden geSellt zu fein.
Doch könnte man fleh das Fehlen einer innern Sympathie
des DarSellers für feinen GegenSand, das bei

einer Biographie immerhin fchwer genug in die Wag-
fchale fällt, noch gefallen laffen, wenn die DarSellung
felbS den Stoff in feiner ganzen Breite erfaßt und fo das
fachliche Intereffe den Mangel des perfönlichen Intereffes
zu erfetzen im Sande iS. In diefer Hinficht ließe fich
der Schilderung des Hieronymus ohne Zweifel viel abgewinnen
. So widerwärtig leine Perfönlichkeit auch iff,
fo abSoßend er uns erfcheint, wenn wir feine verlogenen
und pathetifchen Beteuerungen der Demut und Befchei-
denheit mit feiner Aufgeblafenheit vergleichen: als
Theologe und als ChriS war er eine charakteriSifche Er-
fcheinung in feiner Zeit und als Gelehrter verlangt er
den Vergleich nicht nur mit den Theologen, fondern auch
mit den heidnifchen Gelehrten feiner Epoche. Ein Lebensbild
diefes Mannes auf dem Hintergrunde der gefamten
geiSigen Kultur des Zeitalters wäre in der Tat eine
lockende und dankbare Aufgabe, bei der zudem eine
gerechte Würdigung des Hieronymus allein möglich iS.
G. hat fich feine Ziele enger geSeckt und lediglich die
Perfon des Hieronymus zu zeichnen unternommen. Dies
Ziel hat er infofern erreicht, als er eine lesbare DarSellung
gefchaffen hat, bei der das Chronologifche den
Faden bildet. Daß diefe Biographie die Forfchung wefent-
lich weiter geführt hätte, iß, foweit ich fehe, nicht zu
fagen. Aber auf dem Boden des Vorhandenen hat G.
mit Gefchick eine glatte DarSellung geliefert, und das iff
dankbar zu begrüßen.

Er teilt in dem vorliegenden Bande feinen Stoff in
der Weife, daß er zunächS in den Prolegomena die
Quellen für die Biographie und die Chronologie befpricht.
Darauf folgt das Leben des Hieronymus; feine Jugend,
fein Eremitenleben, fein Aufenhalt in KonSantinopel und
fr ine Anwefenheit in Rom bilden hier die einzelnen
Etappen. G. hat fich bemüht, überall die Quellen d. h.
die Schriften des Hieronymus felbS reden zu laffen.
Doch hat er, wo es not war, auch die Literatur herangezogen
. Dabei vermißt man in den Prolegomena ungern
eine Überficht über die früheren Biographien und
die Arbeiten, die irgend welche Punkte der Biographie
klarSellen können. Aus der Nichterwähnung da, wo man
einen Verweis erwartet (z. B. S. 160: M. Rahmer, die
hebr. Traditionen in den Werken des Hieronymus 1861 •
dazu Monatsfchr. f. Gefch. u. Wiffenfchaft des Judent'
1865. i867f. Siegfried, Jahrb. f. prot. Theol. IX, 346(1"!
Zeitfchr. f. altteS. Wiffenfch. IV, 348". u. a.) wird man
nicht ohne Weiteres auf Unbekanntfchaft fchließen dürfen.

In dem der Chronologie gewidmeten Abfchnitt iS
G. nicht über die Anfatze der früheren Forfcher hinausgegangen
; an einzelnen Stellen zeigt fich ein unentschiedenes
Schwanken, wo man ein feSeres Urteil erwarten könnte.
Als Geburtsjahr wird von Profper Tiro ausdrücklich 331
angegeben (Mommfen, Chronica minor. I, 451). Damit
Simmt freilich nicht die Notiz desfelben Profper zum
Jahr 420, wonach Hieronymus in diefem Jahre als 9ijähriger
geSorben fein foll. Das Datum des Todes iS genau be-
Simmt prid. Ca/. Od. =30. September (p. 649 Mommfen-
der Tag iS noch jetzt feinem Gedächtnis geweihtV, man
darf daher diefem Datum Zutrauen fchenken. Dann aber
muß entweder die Zahl XCI falfch überliefert fein (einige
Hlf. fchwanken; vgl. Mommfens Note z. d. St.), oder 331

kann als Geburtsjahr nicht Simmen, oder es liegt _

wenn Profper die erSe Zahl aus dem Lebensalter und
Todesdatum berechnet hat — ein Subtraktionsfehler vor.
Von diefen Möglichkeiten fcheint die erSe am wenigSen
Schwierigkeiten zu machen. Man müßte nur annehmen
daß in der Überlieferung IXC in XCI verdorben wurde
(vgl. v. Cölln bei Erfch u. Gruber II, 8, 72). Warum
man diefe Üoerlieferung als unglaubwürdig beifeite
fchieben foll, iS nicht einzufehen. Die vagen Bemerkungen,
die Hieronymus gelegentlich über fein Alter macht!
können dem gegenüber nicht ernShaft in Betracht kommen,
da fie es nicht ermöglichen, feine Geburtszeit danach
genau zu berechnen. Daher wird man G. nicht zuSimmen