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Ausgabe:

1904 Nr. 4

Spalte:

120-123

Autor/Hrsg.:

Kähler, Martin

Titel/Untertitel:

Die Sacramente als Gnadenmittel 1904

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 4.

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die am Schluffe abgedruckten Appendiccs hinzu, fo ift man an Duchemin und an Gerard Rouffel, die D. im Zu-
in der Lage, das einfchlägige Material felbftändig nach- fammenhang der italienifchen Ereigniffe analyfiert (22—27),
zuprüfen, die Urteile des Verfaffers zu kontrollieren und i wirklich in Ferrara gefchrieben und von dort abgefandt

eventuell auch andre Schlüffe zu ziehen, als welche er
vertritt und zu begründen fucht. Daß der Diffenfus
zwifchen den von dem Verf. eingenommenen Pofitionen
und den Ergebniffen, zu denen der Lefer an der Hand des

wurden, wird man vielleicht nicht mit der Beftimmtheit
behaupten dürfen, welche D. an den Tag legt. Mit
dankenswerter Gründlichkeit und Klarheit entwirrt der
Verf. die Fäden der komplizierten Verhältniffe des Genfer

Hiftorikers felbft gelangt, in manchen Fällen ein fehrwefent- Staates und fchildert die politifche und kirchliche Lage,
licher fein wird, kann nicht Wunder nehmen. Denn bei die C. bei feinem erften Erfcheinen dort antraf; die Sorgaller
Gewiffenhaftigkeit und Objektivität, mit welcher D. falt, mit welcher der Hiftoriker feinen Gegenftand in den
die einzelnen Momente der zu erörternden Probleme aus- ihn umfaffenden größeren Gefchichtsrahmen hineinftellt,
einanderfetzt, nimmt er doch ftets in jeder kontroverfen erleichtert zum voraus das Verftändnis der fpätern VerFrage
fehr entfehieden Partei und fucht feine Stellung Wicklungen. Zur Charakteriftik der kirchlichen Tätigkeit
nicht ohne Pathos zu wahren. Faß überall geftaltet fich und der Theologie Calvins liefern befonders Kap. IV

feine Schilderung des Charakters, der Taten, der Worte
Calvins zu einer beredten Apologie des von D. grenzenlos
bewunderten Reformators. Vor allem ift es ihm daran
gelegen, die ,Legende' zu zerftören, nach welcher Calvin
hart und herb, finfter und unliebenswürdig gewefen fein

und V (les articles de 1537, le Catechisme et la Confession
de foi — Caroli) wichtige und wertvolle Beiträge. Das
dritte, dem Straßburger Aufenthalt gewidmete Buch ift
vielleicht das bedeutendfte des ganzen Werkes; jedenfalls
ift es dem Verf. trefflich gelungen die Anregungen klarzu-

foll. Diefes bereits im erften Bande wahrgenommene Ver- 1 legen, die C. nach verfchiedenen Seiten aus der alten
fahren findet auch in einer kleinern, vor kurzem er- , Reichsftadt erhalten hat; bei der Darfteilung der Ent-
fchienenen Monographie Doumergues Hart et le sentiment > ftehung und des Ausbaus der Liturgie C.'s folgt D. den
dans Toeuvre de Catvin 1902 einen charakteriftifchen Aus- lehrreichen, z. Tl. bahnbrechenden Arbeiten Erichfons
druck. Mit bewunderungswürdiger Virtuofität verfteht es dem fich auch die Unterfuchung von Büchfenfehütz über
der begeifterte Anwalt Calvins, aus einzelnen Sätzen oder die deutfehen Liturgien der Kirche Straßburgs im XVI.
Worten weitgehende Folgerungen zu ziehen, die ihn felbft > Jahrhundert 1900 angefchloffen hat. Aus den folgenden
in gehobene Stimmung verfetzen und ihn veranlaffen, Kapiteln mag noch hervorgehoben werden die Würdigung,
lyrifche Töne anzufchlagen. In einem Brief an den ver- | welche C.'s Schrift Siipplex ex/iortatio ad Caesarevi
witweten Viret, der fich wieder zu verheiraten wünfeht, ! Carohmi V von Seiten D.'s erfährt (641 f.) und die Erberichtet
C. über ein Mädchen, das ihm empfohlen worden
fei und das ihm folcher Empfehlung würdig fcheint.
Bis eam vidi. Modestissima est vultu, et toto corporis liabitn
mire decora. De moribus ita loquuntur o/nnes, ut Joannes
Parvus mihi nnper dixerit se esse in ea captum (C. R. XII,
359). Diefe Worte, mit denen das kurze und im Tone
eines trockenen Gefchäftbriefs gehaltene Schreiben die
Sache erledigt, entlocken dem Verf. den Ausruf: ,Est-ce
vrahnent laplume de tInstitution chretienne et des conimen-
taires gut tracc ces lignes charmantes et trouve ces «Erklärung
der Faktoren, die. Calvins Rückkehr nach Genf
herbeiführten: hier war im Gegenfatz gegen Bolfec u. A
(705) die vonD. unternommene Apologie ebenfo glücklich
als wohl begründet.

Daß in einem an wichtigem Material, umfaffender und
gründlicher Forfchung, gefchichtlichen Urteilen fo reichen
Werke, Einzelausftellungen zu den leichten und wohlfeilen
Gefchäften der Kritik zählen könnten, verfteht fich von
felbft. Es hätte der Rezenfent leichtes Spiel, auch Kleinigkeiten
zu notieren, wie z. B. die durch eine mehr als

pressions deheates? Est-cc l'ascete sombre, dar qtti s'arreie hundertjährige Tradition feftgelegte falfche Überfetzung
d de tels details et fait ces gracieuses observationsL (451). 1 des virgilifchen Sunt lacrimae rerum (S. 13: cettc tristessc
Daß ein alfo disponierter Exeget in der Erzählung von des choses vous envahit); einer folchen Verfuchung nachCalvins
Heirat und ehelichem Leben erft recht fich in
poetifchen und rhetorifchen Hyperbeln ergehen wird, ift
gewiß in der Ordnung. Einige Wochen nach der Hochzeit
fchreibt der plötzlich erkrankte Gatte an Farel: Ne coniu-
gium ninns laetum esset, Dominus antevertit gaudium no-
strum temperando, ne modum excederet (XI, 83). Was lieft
D. nicht alles aus diefen Worten heraus? Le cocur
de Calvin bat tres fort; et ce qui est plus rare, il laisse
sentir ses battements joyeux. L'expression de June de fttiet
est-clle deplacce? (464). Glücklicher als diefe Paradoxie
von Calvins Flitterwochen ift die Befprechung der bekannten
Briefe über Idelette's Tod, die uns einen tiefern
Blick in Calvins Gemüt tun laffen (474f); indeffen
dürfte auch hier nicht das reiche Gefühlsleben, fondern
das mit Demut und Gehorfam gepaarte chriftliche Gottvertrauen
unfre Bewunderung erregen. Nunc moerorem Kahler, D. Martin, Die Sacramente als Gnadenmittel. Be-
sic devoro, ut a »innere meo nullam intermissionem ha- fteht ihre reformatorifche Schätzung noch zu Recht?

zugeben wäre aber, angefichts deffen, was der Verf. uns
bietet, unbillig und undankbar. — Die folgenden Bände
follen das reformatorifche Werk C.'s in Genf zur Dar-
ftellung bringen. Doeuvre se divisera cn deux piriodes:
de 1541 a 1555, quatorze ans de lüttes, et de 1555 ä 1564,
neu/ans de triomphe ("/'Ii). Möge es dem Verf. vergönnt
fein, diefes des Reformators würdige Gefchichtswerk zu
vollenden! Möge die begeifterte Liebe, die er feinem
Helden widmet, nicht in falfch angebrachte Apologetik
ausarten, die dem Hiftoriker ebenfowenig ziemt, als die
gehäflige, von ihm fo treffend gegeißelte Polemik übelwollender
oder unwiffender Gegner!

Straßburg i. E. P. Lobftein.

bnerim. Quin ctiam Dominus aliis certaminibus me interea
exereuit (XIII, 229).

Während im erften Band D.'s, welcher von Calvins
Jugend handelte, die Frage nach Calvins Bekehrung das
Hauptintereffe in Anfpruch nahm und daher auch den
wichtigften Punkt der Unterfuchungen bildete, bietet das
vorliegende Buch eine Reihe von Problemen, um deren
Löfung fich der Verf. eifrigft und wenigftens teilweife mit
Erfolg bemüht hat. Zur Aufhellung der italienifchen Reife
konnte er begreiflicherweife wenig bieten, da die Quellen
hier fo viel wie gänzlich vertagen; immerhin hat er die
vonMerle d'Aubigne und Bo n n et erfundene legendairc
evangelisation du val d'Aoste (93) mit Recht zurückge-
wiefen und durch gute Gründe widerlegt. Daß die Briefe

Leipzig 1903, A. Deichert, Nachf. (VII, 96 S. gr. 8.)

M. 1.80

,Die Zuverficht zu der bekenntnismäßigen Schätzung
der Sakramente ift erfchüttert; und zwar ift fie erfchüttert,
teils durch die hiftorifche Kritik der biblifchen Überlieferung
, teils durch einen Widerfpruch individueller Erfahrung
mit den Ausfagen der Erbauungsfchriften oder
mit ihren dogmatifchen Vorausfctzungen. Darum ift es
durchaus ratfam, ja erforderlich, unbefangen die Frage
zu unterfuchen, ob die alte bekenntnismäßige Schätzung
für einen Proteftanten des zwanzigften Jahrhunderts noch
zu Recht beftehe' (3).

Um diefe Frage zu beantworten, geht K. von dem