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Ausgabe:

1904 Nr. 4

Spalte:

109-111

Autor/Hrsg.:

Lewis, Agnes

Titel/Untertitel:

Apocrypha Syriaca. The Protevangelium Iacobi and Transitus Mariae 1904

Rezensent:

Ryssel, Viktor

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 4.

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wir auch heute noch imftande, irgend etwas Sicheres über
fie auszufagen. Selbft die Theorie von der Sühnkraft des
Märtyrertodes Gerechter wird zwar gern, fo auch von Pfl.
S. 58, als herrfchende Doktrin der pharifäifchen Theologie
hingeftellt, läßt fich aber durch zwei Stellen des 4. Makk.
fchwerlich als herrfchend erweifen. Auch die Stufen, die
die Beurteilung des Todes Chrifli feitens der Gemeinde

Jefus Sirach (18, 18—33), zu welchem feitdem ein zweites,
von Br. Violet in der Omajjaden-Mofchee ?.u Damaskus
gefundenes Stück (45, 25b—26. 46, 1—8) hinzugekommen
ift, das Fr. Schultheß bereits in feinem eben erfchienenen
Lexicon Syropalaestinum verwertet hat. Auch auf die
philologifche Seite der Textausgabe jener Apokalypfe vom
Leben und Hinfchiede der Maria wollen wir nicht näher

gehabt hat, fprechen nicht dafür. So bedürfen auch eingehen (vgl. Deutfche Literatur-Zeitung 1903, Nr. 24,
manche andre Punkte einer genauem Unterfuchung. : Sp. 1457/8). Dagegen wollen wir die literargefchichtlichen
Um fo mehr muß die überzeugende Kraft des Totalein- Zufammenhänge hier näher ins Auge faffen.
drucks hervorgehoben werden. Wichtige Grundlinien des Daß der fyrifche Text des Proteva/igelium Iacobi kein

urchrifllichen Chriftusbildes haben ihre beachtenswerten 1 Original, fondern eine Überfetzung des bekannten, von
religionsgefchichtlichen Parallelen. Für die Kindheits- I Tifchendorf in den Evangelia Apocryplia herausgegebenen
gefchichte Jefu, für feine Wundertaten (hier befonders l griechifchen Textes diefer apokryphen Schrift ift, geht

wertvolles Einzelmaterial bei Pfl.), für die chriftlichen
Sakramente wird dem weithin zugeftimmt werden. Aber
der Autor zeigt mit Recht, daß die Berührungen weitergehen
. Es ift befonders dankenswert, daß hier der Ver-
fuch gemacht ift, bisher zerftreutes Einzelmaterial zu einem
vorläufigen Gefamtumriß zu vereinigen.

Zu den prinzipiellen Ausführungen Pfl.'s bemerke ich
hier in Kürze nur Folgendes. Ein Leben Jefu im Sinne
einer Biographie ift unmöglich. Aber die entfcheidenden
Hauptzüge des gefchichtlichen Jefus können wir erreichen,
manches'ift fchon erreicht. Die verfchiedene Beurteilung
feitens der theologifchen Darfteller ift nur eine Spezial-
erfcheinungdes bef Biographien überhaupt zu Beobachtenden
. Die Differenz zwifchen dem urchriftlichen und dem
modernen Chriftusbild geftehe ich in vollem Umfang zu,
wenn wir nur mit Recht behaupten dürfen, den eigentlichen
Kern der Religiofität Jefu ergriffen zu haben. Der
Unterfchied zwifchen der chriftlichen Idee und der erften
Verkörperung in Jefus wird für das wiffenfchaftliche Denken
ftets beftehen bleiben. Aber die Lebenskraft ruht in
der Verkörperung der Idee. Die Idee, ifoliert, ift blaß

aus zwei Stellen hervor, auf die Eb. Neftle in der Einleitung
(S. XIII) aufmerkfam gemacht hat. In der einen
(p. 4, Z. 1) geht das fyrifche ,meine Mutter Sarra' = rijv
li7]T£Qa uov 2ctQQctv auf Mißverftändnis von rrjv /uz/rpar
SEännac (Tifch. § II Ende) zurück, und in der zweiten
(p. 10b, Z. 13) geht das fyrifche Wort ,Sieb' auf xööxtvov
zurück, wofür der gewöhnliche griechifche Text (Tifch.
§ XII) irrtümlich xoxxivov bietet, was fonach innergrie-
chifche Textverderbnis ift. Auf ein griechifches Original
weift auch die Stelle p. 5i Z. 7 hin, wo im fyrifchen Texte
eine Lücke ift, das hinter der Lücke flehende Wort ,bis
daß' aber auf die falfche Lefung tcoc (die fich noch in 2
Handfchriften findet) ftatt coq zurückgeht (Tifch. § Vi.
Dagegen erhält man aus zwei andern Stellen den entgegengefetzten
Eindruck. Denn es ift kein Zweifel, daß
in der auch erft von Neftle herausgehobenen fyrifchen Stelle
p. 3, Z. 7 v. u.: ,denn Gott hat fein Erbarmen vor dir
verfchloffen' wohl die Raffung des am i. S. v. /Mutterleib
' (fo auch im Hebräifchen; f. Gen.49, 25; Ez. 20, 26 u. f.)
die griechifche Faffung r.iv pr'jrqctP Oov (Tifch. 5} II) hervorrufen
konnte, aber nicht umgekehrt der griechifche

und zerrinnt vor der rauhen Wirklichkeit unter den Hän- Wortlaut die fyrifche Wendung ,Erbarmen'. Auffällig ift
den. Aber von Perfon zu Perfon fprüht der zündende auch eine zweite Stelle: p. 3, Z. 11, wo es im Syrifchen
Funke, auch wenn Perfon und Idee nicht identifch find. I ganz natürlich und dem Zufammenhänge entfprechend

Dafür ift gerade die Gefchichte des Chriftentums der
fchlagendfte Beweis. Und der Konnex mit der Vergangenheit
kann gerade auch zur Bereicherung des in uns
fprudelnden religiöfen Lebens dienen —■ freilich darf er
nicht nur ,Hiftonzismus' fein.

Halle a. S. Georg Hollmann.

heißt: ,den mir meine Herrin als Lohn (NUN) gegeben
hat', wogegen die entfprechende griechifche Wendung
?] xvpla rov Ipyov (Tifch. § II) fo merkwürdig ift, daß
man es auf ein Mißverftändnis des NUN zurückzuführen
geneigt ift. Diefe verfchiedenen fich widerftrebenden Er-
gebniffe würden eine ganz natürliche Erklärung dann
finden, wenn man annehmen dürfte, daß zunächft eine
I fyrifche Erzählung exiftierte und diefe ins Griechifche
Lewis, Dr. Agnes Smith, M. R. A. S., LL.D., Apocrypha | überfetzt wurde, wie diefes Verhältnis ja betreffs vieler

Syriaca. The Protevangelium Iacobi and Transitus Mariae.

With texts from the Septuaginr, the Corän, the Pes-
hitta, and from a Syriac hymn in a Syro-Arabic palim-
psest of the fifth and other centuries. Edited and trans-
lated by A. S. L. With an appendix of Palestinian Syriac
texts from the Taylor-Schechter Collection. (Studia
Sinaitica XI.) London 1902, C. J. Clay and Sons.
(LXXII, 71 u. 161 S. 4. mit 8 phototyp. Tafeln.) 15 s.

Neben dem Hauptinhalte des neueften Heftes der
Studia Sinaitica, einer fyrifchen Rezenfion des Protevan-
geiiu/n Iacobi und des Transitus Mariae, flehen verfchiedene
kleinere Stücke, die wir in aller Kürze namhaft
machen wollen: Bruchftücke zweier fehr alter (nach der
Verfafferin zwifchen 655 und 79S gefchriebener) Koran

Legendenftoffe in fyrifcher und griechifcher Sprache als
tatfachlich erwiefen worden ift, und daß dann fpäter diefer
griechifche Text wieder ins Syrifche übertragen wurde.

Während aber bei dem fyrifchen Texte des Protevangelium
Iacobi die Seitenzahlen des griechifchen Textes
in der Ausgabe Tifchendorfs in dankenswerter Weife am
Rande notiert find, fehlt bei dem fyrifchen Texte des
Tratisitus Mariae jeder Hinweis auf einen griechifchen
Paralleltext, fo daß man, da auch in der Einleitung jeglicher
Hinweis auf einen folchen Paralleltext fehlt, wohl
annehmen muß, daß der Herausgeberin diefe Tatfache
entgangen ift. Nun bietet aber der Nachweis des tat-
fächlich vorhandenen, von Tifchendorf in den Apocalypses
Apocryphae herausgegebenen griechifchen Paralleltextes
in diefem Falle um fo größeres Intereffe, weil er mit
einer andern Erzählungsquelle verfchmolzen ift, die wir

handfchriften; ein Septuagintafragment aus dem 7. Jahr- i gleichfalls noch nachzuweifen vermögen, nämlich der
hundert, Gen. 40,::, 4 und - umfaffend; Blätter aus Pefchittha- I (leider nur lückenhaft erhaltenen) fyrifchen Legende, die
handfchriften des 5. und 6. Jahrhunderts; ein fyrifcher ! W. Wright in feinem der Herausgeberin wohl bekannten
Hymnus aus dem 9. Jahrh.; Bruchftücke fyrifcher Gedichte Büchlein Contribntiotts to the Apociyphal Literature of the
von Ephraim, Jakob u. a.; drei Blätter von einem Doppel- New Testament 1865 unter dem Titel The Obscquies of
palimpfeft; ein arabifches Privatdokument; ein wefentlich j the holy Virgin herausgegeben hat. Es ergibt fich näm-
verbefferter Neudruck verfchiedeuer Blätter der ,'Taylor- lieh aus einer Vergleichung diefer Texte folgende Gleich-
Schechtcr-Fragmc?itsl (1900 zuerft herausgegeben), deren ftellung (wobei wir in Rückficht auf die des Syrifchen Un-
lext mittlerweile identifiziert werden konnte, darunter das kundigen überall die Seitenzahlen der englifchen Über-
erfte Stück der fyrifch-paläftinenf.fchen Überfetzung des fetzung angeben): 1) fyrifcher Text Studia Sinaitica p. 24