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Ausgabe:

1904 Nr. 4

Spalte:

103-104

Autor/Hrsg.:

Nagel, Gottfried

Titel/Untertitel:

Der Zug des Sanherib gegen Jerusalem 1904

Rezensent:

Jensen, Peter

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103 Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 4. 104

Nagel, Lic. theo!. Dr. phil. Gottfried, Der Zug des Sanherib
gegen Jerusalem. Nach den Quellen dargeftellt. Leipzig
1902, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. (VIII, 124 S.
gr. 8.) M. 2.50

Die keilinfchriftlichen Berichte von SanheribsZug gegen
Jerufalem decken fich nicht mit den davon handelnden alt-
teftamentlichen. Darüber find Alle einig. Nicht aber
darüber, was diefen Quellen und jenen als gefehichtlich
und tatfächlich zu entnehmen ift, und wie fich die Differenzen
erklären laffen. Winckler hat die Hypothefe auf-
geftellt, daß die biblifchen Berichte fich auf 2 Feldzüge
Sanheribs, den vom Jahre 701 und einen nach dem
Jahre 691 beziehen. Von einem zweiten Feldzuge Sanheribs
gegen Jerufalem oder doch einem, durch den auch
Jerufalem bedroht war, wiffen wir aber jedenfalls nichts. ;
Denn daß diefer König nach einer Affarhaddon-Infchrift
Adumu in Arabien erobert hat, kann nur Wincklerfcher j
Kühnheit als Bafis für die Konftruktion eines folchen
zweiten Feldzuges genügen. Mit Recht beftreitet daher
Nagel die Wincklerfche Hypothefe und mit gleichem
Rechte leugnet er gegen Winckler, daß fie gar durch
Herodot glänzend beftätigt werde, indem er jenen Gelehrten
mit Warfen aus deffen eigener Rüftkammer bekämpft
: Herodot nennt Sanherib, der gegen Ägypten
heranzog, König der ,Araber und Affyrer'. Der Titel, fagt
Winckler, paffe nicht für 701, weil damals die Araber
noch nicht unterworfen worden feien, verweife alfo den
von Herodot erwähnten Feldzug in eine fpätere Zeit und
fei fomit derfelbe, in deffen Verlauf Sanherib Adumu in
Arabien erobert habe. Aber Nagel wendet gegen die
Wincklerfche Thefe, wenigftens für Winckler, — denn
foviel Vertrauen habe ich zu feiner Urteilsfähigkeit — fchla-
gend ein, daß ja Sanherib i.J. 701 in der Schlacht bei Altaka
Könige von ,Musuri d. i. aber nach Winckler felbft nicht
nur Ägypten fondern auch Nordarabien, befiegt habe! Alfo
Herodot könnte gerade Winckler nicht als Zeugen anrufen
. Im Übrigen ift der Zug gegen Adumu für unfere
Frage belanglos. Warum der, vielleicht von einem der
Unterfeldherren Sanheribs unternommen, nicht mit dem
Feldzuge von 701 in Verbindung flehen loll, ift nicht einzuleben
. Ja, warum kann er nicht gar vorher unternommen
fein, ohne in den Annalen Erwähnung gefunden
zu haben? Und gefetzt felbft, er hätte nach 691 ftatt-
gefunden, was beweift das für einen zweiten Zug Sanheribs
, der auch Jerufalem bedrohte?

Nagel fucht nun mit viel Gefchick und Scharffinn die
biblifchen Berichte zu retten. Sie follen einheitlich, durchaus
gefehichtlich, nicht tendenziös und nicht überarbeitet
fein. Ich fürchte, feine Arbeit kennzeichnet fich in der
Hauptfache als verlorne Liebesmüh. Mit Sympathie für
vaticinationes ante eventum, die er zum Erweis feiner Anficht
anerkennen muß, wird Nagel feine Pofition nicht
ftärken können. Sanherib mag uns fehr wohl allerlei
verfchwiegen, mag befchönigt und aufgefchnitten haben.
Aber daß der Feldzug, wie ihn eine faft gleichzeitige
keilinfchriftliche Urkunde fchildert, in feinem Verlauf, vor
allem, was die Folge der Ereigniffe anbetrifft, in der Hauptfache
hiftorifch ift; daß alfo nach einer jedenfalls nicht verlorenen
Schlacht bei ~Etheke-Altaku gegen dieVerbündeten
der Ekroniten, ,Könige' oder einen König von Ägypten (fo!)
und äthiopifche (fo!) Streitkräfte Jerufalem von einem
Heere Sanheribs eingefchloffen ward; diefem dann auf der
Heimkehr nach Niniveh Pöbel (?) und ,gute Kriegsleute',
die nach Jerufalem hereingebracht und wieder entlaffen
worden waren (fo!), mit einem gewaltigen Tribut des
Hiskia nachgefandt wurden, — weshalb auch immer Sanherib
vor Eroberung der Stadt abzog —, das zu bezweifeln
liegt doch kein Grund vor. Wo das alte Teftament mit
diefer Darftellung nicht übereinftimmt, deffen Angaben
zu verteidigen, muß man Andern überlaffen. Ein Affyrio-
loge wird fich dazu nicht verftehen können. Das kann
man eben nur unter dem Druck des Glaubens tun. Und

Glaubensfache dürfte es daher auch fein, ob man der
Darfteilung des Feldzuges bei Nagel S. iog{{. in allen
Punkten zuftimmen oder noch andere für möglich halten
kann.

Wir fprachen von ägyptifchen Königen und äthio-
pifchen Truppen in der Schlacht bei Eltheke. Nach der
von Winckler abhängigen Mode in der affyriologifchen
Hittoriographie hätte ich zeitgemäßer von nordarabifchen
Königen und nordweft- bez. weftarabifchen Truppen ge-
fprochen. Denn worunter man früher nur Ägypten ver-
ftand—Musuru-Musur; Musri, das fich dafür eingebürgert
hat, ift der Genetiv hiervon! — das bezeichnet als ein von
Musru = ,Ägypten' verfchiedenes Wort nach Winckler
häufig auch Nordarabien; _ und Meluhha, in dem man
früher mit fo gutem Grund Äthiopien fah, foll nachWin ekler
nur Weftarabien bezeichnen. Ich felbft habe früher in
Bezug auf diefen Punkt leider eine ähnlicheAnficht vertreten,
als mir noch nicht all' das bekannt war, was heute bekannt
ift. Aber jetzt geht das nicht mehr. Aus Meluhha
kommt der ,Rotftein', wie aus Äthiopien; Gold ift der
Staub von Meluhha und Äthiopien das Goldland; in Meluhha
wohnen Schwarze, wie in Äthiopien, und aus Meluhha
bezieht der Ägypterkönig Söldner wie aus Äthiopien;
und nach Arabien — Makan, worunter Winckler ohne
Grund gerade nur Oftarabien verlieht — und Meluhha
zieht der gegen Ägypten und Äthiopien marfchierende
König Sardanapal! Wie man unter diefen Umftänden in
Meluhha ftatt Äthiopien (bez. auch Afrika überhaupt)
Weftarabien fehen kann, das Rätfei löft mir wohl niemand
. Und was Musru (alfo nicht MusriK) betrifft, fo hat
zwar Winckler vollkommen Recht, wenn er manche Vorgänge
in Musru wie in dem entfprechenden altteftament-
lichen Mtsrajim nicht im Niltale, fondern im Süden
Paläftinas lieh ereignen läßt. Aber damit gewinnt er kein
doppeltes Musur-Musru. Das ägyptifche Reich umfaßte ja
wenigftens in manchen Perioden auch die Gebiete örtlich
vom Nillande und diefe mußten fomit auch zu Musru-Misra-
jim gerechnet und als Musru-Mtsrajim bezeichnet werden.

Ich mußte zu der noch immer nicht zu Tode gehetzten
Meluhha-,Musri1 -Theorie — faft fchärne ich
mich deffen — auch an diefer Stelle das Wort nehmen,
weil Nagel fie ebenfalls berührt hat und berühren mußte,
und, ohne fie zwar mit Haut und Haaren zu verfchlucken,
doch in der Hauptfache akzeptiert und zu feinen Gunften
verwertet. Er glaubt an nordarabifche Könige und weft-
arabifche Truppen in der Schlacht bei Eltheke, ftatt an
refp. ägyptifche und äthiopifche, und leugnet darum einen
Zufammenhang zwifchen den bei Eltheke kämpfenden
Bundesgenoffen der Ekroniten einer- und dem unverläßlichen
König von Ägypten und dem heranziehenden
Äthiopenkönig der biblifchen Berichte über den Sanherib-
zug andrerfeits. Wie wir meinen müffen, mit Unrecht.
Vielmehr dürfte deren Erwähnung nach der richtigen
Interpretation der Sanherib-Infchrift gerade auf den poli-
tifchen Verhältniffen beruhen, wie fie zur Zeit der Schlacht
bei Eltheke beftanden.

Bei vollfter Anerkennung für Nagel's Arbeitsmethode,
foweit fie vorausfetzungslos ift, müffen wir alfo fein Haupt-
refultat ablehnen.

Marburg. Jenfen.

Ley, Dr. Julius, Das Buch Hiob nach feinem Inhalt, feiner
Kunftgeftaltung und religiöfen Bedeutung. Für gebildete
Lefer dargeftellt. Mit einem Vorwort von
Prof. D. E. Kautzfeh. Halle 1903, Buchhandlung des
Waifenhaufes. (V, 153 S. gr. 8.) M. 2.—

Ley hat den literarkritifchen Problemen des Hiob-
buches eine Reihe Studien gewidmet (cf. das Vorwort
des Herausgebers), durch die er fich als felbftändigen Beobachter
auch für die feineren Gänge in der Entwicklung
des Gedichts erwiefen hat. Kautzfeh hat daher gern