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Ausgabe:

1904 Nr. 4

Spalte:

101-102

Autor/Hrsg.:

Bohn, Friedrich

Titel/Untertitel:

Der Sabbat im Alten Testament und im altjüdischen religiösen Aberglauben 1904

Rezensent:

Beer, Georg

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Seite 1

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IOI

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 4.

102

man fich durchaus einverftanden erklären. Daß die kleine
Schrift auch in Einzelheiten eine reiche Fülle von Belehrung
bietet, fei nur noch nebenher erwähnt.

Zürich. V. Ryffel.

Bohn, Hülfspred. Lic. Friedrich, Der Sabbat im Alten
Testament und im altjiidischen religiösen Aberglauben.

Gütersloh 1903, C. Bertelsmann. (VI, 97 S. gr. 8.)

M. 1.80; geb. M. 2.40

Als Hauptergebniffe der Bohn'fchen Schrift möchte
ich nennen:

1) Es wäre ,eine fehr voreilige Behauptung, wollte
man aus der Ähnlichkeit der Worte sabattu und inaiS
fchließen, das hebräifche Wort fei ein Lehnwort aus dem
Affyrifchen' S. 3. Vgl. dagegen Zimmern, Die Keil-
infchriften u. das alte Teftament3 S. 594, wonach ,in jedem
Fall' rat} mit babylon. sabattu {sapattu) nicht urverwandt
, Yondern ein altes Lehnwort aus der örtlichen
Kulturfphäre ift. 2) ,Das Charakteriftikum der hebr.
Form' ... ,ift die Bildung nach der gefchärften qa-tal-at-
Form' — das leuchtet jedem hebräifchen ABC-Schützen
ein. 3) Das Babylonifch-Affyrifche kennt Siebner-Tage
nur für den Schaltmonat Elul S. 32 ff. Vgl. dagegen
Zimmern a.a.O. S. 593 Anm. 1, wonach ,mit Sicherheit'
anzunehmen ift, daß auch für die übrigen Monate des
Jahres folche Siebner-Tage im Bab.-Affyr. exiftierten.
4) Die bab.-affyr. Verbote der Siebner-Tage befchränken
fich auf König, Priefter und Arzt, während im Alt. Teft.
die Sabbatbeftimmungen auf das ganze Volk ausgedehnt
feien S. 44. 5) ,Als Hauptunterfchied der bab.-affyr.-
Siebner-Tage des Schalt Elul u. des Sabbat' ift S. 45
genannt, ,daß die erfteren an den Monatstag gebunden
waren, der letztere vom Monat völlig losgelöft in regelmäßiger
Folge eintrat' — das wußte man fchon längft
(vgl. z. B. Wellhaufen Prolegomena 6 S. III, Baentfch,
Komment, z. Exod. S. 182) — ebenfo 6) daß die bab.
äff. Siebner-Tage Unglückstage und der ifraelitifche
Sabbat ein Freudentag war S. 46/7 (vgl. z. B. Holzinger
Komm. z. Exod. S. 73). Daß die Babylonier den 7. Tag
zum Ruhetag ftempelten, will D e 1 i t z f ch (— nach Archen-
hold — Babel und Bibel4 S. 63) daraus erklären, daß
diefer Tag dem Saturn geweiht war, von deffen fchein-
barer Bewegungslofigkeit das unbewaffnete Auge des
babylonifchen Priefters fich täufchen ließ — dann wäre
alfo die Ruhe des Saturn das Primäre — vielleicht verhält
fich aber die Sache umgekehrt: man weihte den
Ruhetag dem Saturn, weil diefer keine Bewegung zeigt!
Mit Recht betont übrigens Zimmern (a.a.O. S. 594
Anm. 4), um die Verwandtfchaft zwifchen ifraelitifchem
und babylonifchem Sabbat zu beweifen, daß die Bedeutung
des erftern als fpezififchen Ruhetages ihr Vorbild an
dem babylonifchen hatte, da ja auch an diefem gewiffe
Handlungen unterlaffen blieben ; nur war eben der Grund
dafür, wie Z. felbftverftändlich zugibt, beide mal ein
andrer. 7) Die Sabbatgebote des A. T. find innerlich
einheitlich— ähnlich Smend, Altteftamentl. Theologie2
S. 322: ,Ezechiel und der Priefterkodex verliehen den
Sabbat im Grunde fchwerlich anders als die Schrift von
Jef. 56 ff. und fchon der Dekalog von Ex. 20'. 8) Nach
S. 16,17 fcheint Bohn den Sabbat als mofaifche Inftitution
anzufehen. Mofe habe die fpätre Seßhaftigkeit des
Volkes, auf der der Sabbat beruht, vorausgefehen. —
Auch Wellhaufen nimmt für den Sabbat als Mondfeft
ein ,fehr hohes Alter' an (Prolegomena5 S. III.). Und
wenn B. zu verftehen gibt, daß der Sabbat nicht für ein
Nomaden-, fondern für ein Kulturvolk paßt, fo denkt er
nicht viel anders über den Sabbat als z. B. Reuß (Gefch.
d. heil. Schrift d. A. T. 2 S. 87), oder Nowack (Archaeo-
logie I, 144), die vermuten, daß der Sabbat den Israeliten
erft nach der Anfiedlung in Kanaan bekannt geworden fei.
Sieht man ab von Nr. 4, deffen Bedeutung für den

Unterfchied des babylonifchen von dem biblifchen Sabbat
B. gut betont, während Delitzfch und Zimmern diefen
Punkt überfehen oder ignorieren, fo bietet das Schriftchen
dem Fachmann nichts Neues {cf. Nr. 5—8), oder
Dinge, über die man in berechtigter Weife auch anders
urteilen kann {cf. Nr. 1 u. 3). Da der Verfaffer, wie gezeigt
, häufig landläufige modernwiffenfchaftliche Anflehten
über den Sabbat vertritt, fo wirkt feine Abficht, ,der
jetzt herrfchenden perverfen Auffaffung der altteftament-
lichen Religion' (S. 15) den Fehdehandfchuh zuzuwerfen,
gelinde gefagt, komifch. Auch ift das .erftklaffige
Material', das er (S. 5) für feine Zwecke verwenden will,
kein anderes als das, deffen fich die Kritiker bedienen.
Der ganze Unterfchied zwifchen Bohn und der Kritik
läuft darauf hinaus, daß er für den Sabbat auf alttefta-
mentlichem Boden kein Wachstum, keine Entwicklung
anerkennen will. Es gehört aber doch eine Portion Befangenheit
oder Eigenfinn dazu, nicht einzufehen oder
zuzugeben, daß das Gebot, am Sabbat feine Behaufung
nicht zu verlaffen Ex. 16 an gegenüber der Sitte an diefem
Tage kleine Reifen zu machen 2 Kg. 4 23 eine Steigerung
der Idee der Sabbatruhe bedeute, oder mit der Androhung
der Todesftrafe auf die Nichtobfervanz ftrikter
Sabbatruhe Ex. 31 u 352 das Sabbatruhegebot Ex. 2010
Dt. 5 12 verfchärft wird, oder der Gedanke, daß Gott
felbft bei der Schöpfung fich der Sabbatheiligung unterworfen
habe Gen. 2 2 f., eine fekundäre theologifche Begründung
des Sabbat fei, oder endlich die Auffaffung
des Sabbat als eines rvis Ex. 31 13. 17. erft im exilifchen
Judentum aufgekommen fein kann — mit andern Worten,
daß das alte Teftament felbft Zeugnis von einer Ge-
fchichte des Sabbat ablege. Es bedarf gar nicht des
Appelles an den Glauben an ,das Geheimnis des göttlichen
Ratfchluffes, eine in Sünde gefallene Welt durch
| den Tod feines Sohnes zu erlöfen' (S. 50), um die Frage
entfeheiden zu können, ob den Gen. 1 —11 erzählten Er-
| eigniffen und Offenbarungen ein hiftorifcher Kern zu
Grunde liege. Diefen wird für Gen. 2 2 f. eine nüchterne
Wiffenfchaft m. E. darin finden, daß der Sabbat älter
ift als Ifrael. Daß die Stempelung der babylonifchen
Siebner-Tage zu dies nefasti auf einer Entartung einer
reineren Sabbatidee beruhe (S. 49), zeigt den Verfaffer
als Anhänger der in rechtsftehenden theologifchen
Kreifen beliebten, aber hie und da auch fchon aufgegebenen
{cf. Oettli!) Idee des Abfalls von einer ,Ur-
offenbarung des großen guten Gottes' (S. 36). Eine
häßliche Verdächtigung ift es, wenn der Verf. S. 28/9
behauptet, daß es Sitte geworden fei, die älteften Anfänge
Ifraels in Hörfälen und Schriften ins Lächerliche
zu ziehen.

Trotz des etwas felbftbewußten und zuweilen zelotifchen
Tones des Schriftchens habe ich einzelne Ausfuhrungen,
z. B. über die allgemeinen Grundlagen für die Auslonde-
rung von religiös ausgezeichneten Tagen und Zeiten,
Glücks- und Unglückstage und den Kalenderaberglauben
(hier befonders die wertvollen, auf Sethe zurückgehenden
Quellenbelege für die abergläubifchen Tendenzen des
ägyptifchen Kalenders S. 57 ff.), fowie den ganzen 5. Ab-
fchnitt (die Sabbatfeier zur Zeit der Makkabäer u. im
Judentum der folgenden Jahrhunderte) — hier ift B.
gut orientiert — mit Intereffe gelefen. Auch ftimme ich
dem Verfaffer gern in der Anficht (S. 6.) bei, daß aus
der wachfenden Erfchließung des Babylonifch-Affyi ifchen
und der Inangriffnahme der rabbinifch-talmudifchen
Literatur, wozu ich als Drittes das Studium des modernen
femitifchen Orients fetze, Nutzen für das A.T. zu fchöpfen
fei — freilich, in den Mittelpunt ftelle ich felbft die
hiftorifch-kritifche Erfaffung des A.T., die ich auch dem
Herrn Verf. ans Herz lege! Die nicht wenigen hebr.
Fehler (z. B. TfüTf] S. 13, Tin ftatt rtitt S. 14, trirrt 2 mal
S. 22) hat gewiß nur der Drucker zu verantworten.

Ruprechtsau b. Straßburg i. E. Georg Beer.

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