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Ausgabe:

1904 Nr. 3

Spalte:

88-90

Autor/Hrsg.:

Stalker, James

Titel/Untertitel:

Die Christologie Jesu oder Was sagt Jesus Christus über sich selbst? 1904

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 3.

88

Identifizierung von Offenbarung und Schriftbuchftaben,
fondern auch den modernen theologifchen Begriff einer
allmählichen gefchichtlichen Entwickelung, den er eine
,Verwäfferung' der früheren Theorie nennt, lehnt D.
mit der größten Entfchiedenheit ab. Entweder ift das Alte
Teftament das Wort Gottes im Sinne eines von Anfang
bis zu Ende offenbarten Religionsbuches, oder wir haben
es im Alten Teftament mit einem religionsgeschichtlichen
Entwickelungsgange zu tun, in den Gott nicht, wie die
Theologie glaubt, durch befondere außergewöhnliche
Geiftesinfpirierung eingegriffen hat. Diefe theologifche
Betrachtungsweife will Delitzsch mit der Affyriologie |
vernichten.

Obgleich Delitzfch allen Theologen, die nicht um- |
faffende keilfchriftliche Studien gemacht haben, das kompetente
, fachverftändige Urteil über den Offenbarungscharakter
des Alten Teftamentes abfpricht, läßt fich Th.
durchdiefen kühnen Machtfpruch nicht imponieren, fondern
unternimmt es, den Offenbarungsglauben nach feinem
Wefen und feinen Merkmalen zur Darfteilung zu bringen.
Wichtig ift zunächft in feinen Augen die Unterfcheidung 1
zwifchen primärer und fekundärer Offenbarung. Die
primäre Offenbarung ift die für uns bereits vergangene
Offenbarungsgefchichte, deren Zentrum der irdifche Jefus
ift. Von diefen der Vergangenheit angehörigen heils-
gefchichtlichen Tatfachen gehen fortdauernd göttliche,
den Glauben in jedem Einzelnen weckende Wirkungen
aus, deren Medium vor allem das Neue Teftament ift.
Die von einigen beklagte Tatfache, daß der Babel-Bibel-
Streit von der Offenbarungsfrage zur chriftologifchen
Frage weiter geführt hat, findet Th. durchaus in der Ordnung
, da ja in letzter Inftanz der Streit auch das Neue
Teftament betrifft (5 f. 31 f.). Der Schöpfer hat, indem
er Jefu heiligen Liebesgeift erzeugte, in die Ge-
fchichte eingegriffen, — diefes Glaubensurteil ift felbft
ein Akt inneren Erlebens, den keine Wiffenfchaft zu
fchaffen oder zu verbieten vermag.

Die weiteren Ausführungen des Vfs., die hier nicht
im Einzelnen wiedergegeben werden können, enthalten
zwar wertvolle und treffende Beiträge zur Beurteilung
und Begrenzung des Offenbarungsbegriffs. Immerhin muß
ein Doppeltes bedauert werden, was die Kraft und Klarheit
des Vortrages beeinträchtigen dürfte. Einmal wird
der auch fonft nicht immer leicht zu verfolgende Gedankengang
Th's durch die ftets wieder aufgenommene
polemifche Auseinanderfetzung mit Delitzfch geftört.
Zum zweiten hat es der Vf. dem Lefer nicht leicht gemacht
, den Begriff des Übernatürlichen, mit welchem
er operiert, genau zu fixieren und zu beftimmen. Mit
Recht weift er den bekannten Lofungsverfuch Rothes ab,
Gott trete mitteilt einer unzweideutig übernatürlichen
Gefchichte in die natürliche menfchliche Gefchichte ein,
fo daß er auch dem natürlich fündigen Menfchen evident
werden könne; dagegen bezeichnet er es als eine ,Un-
fertigkeit unfers theologifchen Offenbarungsbegriffs' daß
,über die Erkennbarkeit von Taten Gottes in der Gefchichte
eine merkwürdige Unklarheit' obwaltet. Diefes Urteil,
aus welchem hervorzugehen fcheint, daß dem Vf. der
Offenbarungsgedanke ein empirifcher Begriff ift, den wir
mit den Mitteln der Weltwiffenfchaft feftftellen können,
muß um fo mehr befremden, als Th. an zahlreichen
Stellen der Überzeugung kräftigen Ausdruck verleiht,
daß die Offenbarung rein religiös zu werten ift. ,Wie
nun eine gottesgläubige Perfon wie König Wilhelm den
Erfolg von Sedan als eine Wendung durch Gottes Fügung
deuten konnte, fo kann auch die übernatürliche, heilige
Gefchichte als folche, als Gottes Offenbarungswerk nur
von folchen Perfonen erkannt werden, in deren Geift fich
Gott fchon übernatürlich geoffenbart hat'. Warum bleibt
der Vf. nicht bei diefer Frageftellung flehen, die allerdings
noch fchärfer zu faffen und in allen ihren Konfe-
quenzen zu entwickeln wäre?

Der Bibel- und Babelftreit, deffen Literatur nachgerade
unheimliche Proportionen annimmt, wird hoffentlich
dazubeitragen,den Offenbarungsbegriff zu vertiefen und
zu klären und dadurch für die Theologie bleibende Ergeb-
niffe erzielen. DaßTh.'s Schrift zur Löfung diefer Aufgabe
beachtenswerte Beiträge liefert, wird auch derjenige anerkennen
, der weder an der oft zu breiten und fchwerfälligen
Form, noch an dem nicht immer durchfichtigen Inhalt
eine ungeteilte Freude finden kann.

Straßburg i. E. Lobftein.

Stalker, D. James, Jesus Christus unser Vorbild. Imago
Christi. Autorifierte Überfetzung. 3., durchgefehene
Auflage. Deffau 1901, A. Haarth. (VIII, 157 S. 8.)

Geb. M. 2.40

— Die Christologie Jesu oder Was sagt Jesus Christus über
sich Selbst? Nach den Synoptikern dargeftellt. Autorifierte
Überfetzung. Ebd. 1902. (VIII, 157 S. 8.)

Geb. M. 2.80

1. Diefe Schrift, deren Original bereits in diefem
Blatte (1890, Nr. 9: von Duff) angezeigt worden ift, bezeichnet
der Verf. felbft als ,eine Art chriftlicher Ethik
mit dem praktifchen Zweck der Erbauung'. ,Wir haben
in diefem Buche den Verfuch gemacht, dem Herrn in
die wichtigften Verhältniffe des menfchlichen Lebens zu
folgen, um zunächft zu fehen, wie Er fich in jedem der-
felben verhielt, und fodann daraus zu lernen, wie wir
uns darin zu verhalten haben . . . Wir verliehen aber
unter der Nachfolge des Herrn nicht eine bloße buch-
ftäbliche Nachahmung feiner Handlungen, fondern vielmehr
eine Anwendung feines Geiftes und feiner Lebensprinzipien
auf die Pflichten und Fragen unfrer Zeit.'

Diefem Programm ift der für gebildete Laien
fchreibende Verf. mit Gefchick und Erfolg nachgekommen
. Er betrachtet Chriftus in der Familie, im Staat,
in der Kirche, als Freund, in Gefellfchaft, als Beter, als
Bibelkenner, als Arbeiter, als Menfchenfreund, als Seelenhirt
, als Prediger, als Lehrer, als Glaubensftreiter, Chrifti
Gefühle, Chrifti Einfluß auf die Gefühle andrer. Der
Wert diefer Ausführungen liegt in den praktifch erbaulichen
Beiträgen zur Schilderung des vom Geifte chriftlicher
Gottes- und Nächftenliebe beherrfchten und durchdrungenen
Lebens, das freilich mit dem Bilde Chrifti oft
nur in lofen und allgemeinen Zufammenhang gebracht
wird (vgl. z. B. Kap. 2. 3. 12. 14. und öfter). Die Bezugnahmeauf
moderne Ethiker wie Rothe, Martenfen, Dorner,
ift faft ausnahmslos eine glückliche; der Exkurs über
Tholucks perfönlichen Einfluß auf feine Studenten
(S. 127 sq.) beweift, wie lebendig die Erinnerung an den
geiftvollen Theologen auch noch im Auslande fortwirkt.
Die an die Spitze eines jeden Kapitels zufammengeftellten
Belege find promiscue aus den vier Evangelien entnommen
, und im Verlaufe der einzelnen Ausführungen
liefert das vierte Evangelium zur Imago Christi zahlreiche
Züge, die mit dem aus den Synoptikern gefchöpften
Material zu einem Gefammtbild zufammengefügt werden.
Daß durch diefes harmoniftifche Verfahren den Forderungen
der hiftorifchen Kritik nicht entfprochen wird, liegt
auf der Hand. Auch dogmatifch laffen fich manche Einwendungen
machen, namentlich an den Stellen, wo die
kirchliche Zweinaturenlehre mit der ,auf biblifcher Grundlage
beruhenden Darfteilung des Erdenlebens Chrifti' hart
genug zufammenftößt. ,Es ift ohne Zweifel etwas Geheimnisvolles
um die Gebete Jefu. Wenn er, wie wir
I glauben, nicht weniger als Gott war, wie konnte Gott
zu Gott beten, oder welches Bedürfnis konnte in feiner
Natur liegen, um deffen Befriedigung Er hätte bitten
müffen'? (S. 47, vgl. S. 65). Es wäre leicht nachzu-
! weifen, daß von diefer Vorausfetzung aus der Gedanke
der Imitatio Christi überhaupt aufzugeben ift: die von
■ j dem Verf. in Angriff genommene Aufgabe läßt fich nur