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Ausgabe: | 1904 Nr. 3 |
Spalte: | 84-86 |
Autor/Hrsg.: | Schwalb, Moritz |
Titel/Untertitel: | Religion ohne Wunder und Offenbarung 1904 |
Rezensent: | Lobstein, Paul |
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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 3.
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XI) und Royal 16 D 1 (s. XIII). Zur Ergänzung find die
Lesarten des Korrektors von Cod. Bodl. Cromw. {saec. XIII
< /XII ineuntis') heranzuziehen. .Von den beiden Gruppen
zeigt die erfte Spuren von Textverderbniffen in früher
Zeit, während die Lesarten der zweiten anfcheinend überarbeitet
find. Im allgemeinen verdient aber die zweite
Gruppe den Vorzug'.
Ift der Text fauber und zuverläffig gearbeitet, fo
verdienen auch die Anmerkungen und die fachliche Einleitung
volles Lob. Der dogmengefchichtliche Abfchnitt
der letzteren zeugt von gutem Verftändnis. Die Literatur
ift überall ausreichend benutzt.
Gießen. G. Krüger.
Sanders, D. Leon, O. S. B., Budes sur Saint Jerome. Sa
doctrine touchant l'inspiration des livres saints et leur
veracite, l'autorite des livres deuterocanoniques, la
distinction entre l'episcopat et le presbyterat, l'Orige-
nisme. Paris 1903, V. Lecoffre. (VI, 395 p. gr. 8.)
In einer fehr ausführlichen Einleitung gibt der Ver-
faffer einen Lebensabriß des Hieronymus und eine Aufzählung
feiner Werke. Eine chronologifche Tafel ftellt
die Anfätze von Vallarfi-Zöckler und die des Referenten
zu vergleichender Uberficht nebeneinander. Diefe Einleitung
bietet nichts Neues, fie ift eine trockne Aufzählung
von Lebensdaten und Schriften des Hieronymus, die fich
im wefentlichen an Vallarfi und Zöckler anfchließt und
ängftlich jede Kritik des Heiligen vermeidet. Im erften
Kapitel behandelt Sanders die Infpiration der heiligen
Schrift bei Hieronymus. Es ift für die Methode des Ver-
faffers bezeichnend, daß er zunächft die Dekrete des
Tridentinifchen und Vatikanifchen Konzils über die Infpiration
zu Grunde legt und dann die einzelnen Sätze
aus den Schriften des Hieronymus belegt. Was dabei
herauskommt, ift leicht erfichtlich. Alles ftimmt aufs befte.
,Obgleich zur Zeit des Hieronymus die Lehre über die
Natur der Infpiration weniger ausgebildet war wie jetzt,
ift doch die Tatfache der Infpiration felbft mit ebenfo
großer Energie bejaht worden wie heute'. Im zweiten
Abfchnitt unterfucht Sanders die Irrtumslofigkeit der
heiligen Schrift. Sein Refultat ift: die Infpiration der
heiligen Bücher fchließt jeden Irrtum, jeden Widerfpruch,
jede Lüge aus, aber dies gilt nur von dem urfprünglichen
und authentifchen Text der Bibel und nicht von dem
Text, den wir befitzen; denn unfere Texte enthalten Irrtümer
, die die Abfchreiber begangen haben oder die fich
aus anderen Umftänden erklären, die aber nicht das
Dogma berühren. Nicht ganz fo glatt löft fich die Frage
nach der Kanonizität der deuterokanonifchen Bücher bei
Hieronymus. Sanders muß zugeben, daß Hieronymus den
hebräifchen Kanon des Alten Teftaments bevorzugt, aber
er ift wenigftens Zeuge dafür, daß die Tradition der
Kanonizität der deuterokanonifchen Bücher günftig ift.
Die deuterokanonifchen Bücher des neuen Teftaments,
Hebräerbrief, Jakobusbrief, die Apokalypfe, 2. Petrusbrief,
fieht Hieronymus als infpiziert und kanonifch an. Im
4. Kapitel folgt eine Aufzählung der von Hieronymus
erwähnten Apokryphen und im 5. Kapitel wird das Hebräerevangelium
und feine Zitation bei Hieronymus behandelt
. In den letzten beiden Kapiteln des Buchs wendet
fich Sanders zwei andersgearteten Problemen zu. Zunächft
befchäftigt er fich mit der question epineuse über den
Unterfchied zwifchen Bifchöfen und Presbytern bei Hieronymus
. Nach Hieronymus wurden die Kirchen im Anfang
von einem Kollegium von Prieftern oder Bifchöfen
geleitet, die die Macht hatten zu befehlen. Diefe Priefter
waren alfo Bifchöfe im wahren Sinn des Wortes. Dann
trat eine Veränderung ein, der Episkopat wurde monar-
chifch. Der Bifchof ftand höher als die Priefter und ihm
allein ftand fpäter das Recht zu, die Kirche zu verwalten
und zu leiten. Im letzten Kapitel ftellt Sanders die
Stellung des Hieronymus zu Origenes dar. Nach Sanders ift
Hieronymus nie Origenift gewefen. Er hat nie die Irrtümer
des großen Alexandriners geteilt, fondern nur feine
Gelehrfamkeit bewundert. Im Schluß preift Sanders
Hieronymus als doctor maximus ecclcsiac, deffen zahlreiche
Arbeiten der Verteidigung des wahren Glaubens gelten.
Das Buch zeugt von dem großen Fleiß des Verfaffers,
der in den Werken des Hieronymus eine ausgebreitete
Belefenheit befitzt, und der alle für die von ihm behandelten
Fragen in Betracht kommende Literatur benutzt
hat. Seine bibliographifchen Zufammenftellungen find
fehr nützlich und reichhaltig. Gewiffe Abfchnitte wie die
Stellung des Hieronymus zu den Apokryphen find flüchtiger
behandelt. Ift doch Sanders hier z. B. entgangen,
daß Hieronymus in dem Werke De nominibus Hebraicis
den Barnabasbrief in Abhängigkeit von Origenes als zum
neuen Teftament gehörig betrachtet und auch die Namen
diefes Briefes etymologifiert. Aber trotz aller Gründlichkeit
und Aufwendung eines nicht geringen Scharffinns
ift der Verfaffer von jeder hiftorifcher Methode ver-
laffen. Sein Buch hat deshalb nur den Wert einer Ma-
terialienfammlung. .
Heidelberg. Grützmacher.
Schwalb, Dr. theol. Moritz, Religion ohne Wunder und Offenbarung
. Billige Ausgabe der ,Rückfchau'. Bremen 1903,
E. Hampe. (V, 192 S. gr. 8.) M. 1.—
Unter diefer wohl abfichtlich herausfordernden Über-
fchrift hat der bekannte ehemalige Prediger an der Martini-
Kirche in Bremen die 18 Reden herausgegeben, in welchen
er 1893—1894 (die letzte wurde am Ofterfonntag, 25. März
1894 gehalten), auf feine dortige fechsundzwanzigjährige
Amtsführung zurückblickend, die Summe feiner Verkündigung
und feiner Tätigkeit zu ziehen verfucht. In rück-
haltslofer Offenheit, ,ganz brüderlich, nicht mit amtlicher
Autorität, nicht als der Dolmetfch eines unfehlbaren
Orakels, fondern ganz einfach und vertraulich, gleichfam
als Privatmann, als der langjährige Freund' feiner Gemeinde
(S. 4. 10. 24. 28 u. ö.), faßt er in vier Gruppen von Reden
feine Selbftbekenntniffe zufammen und unternimmt er es,
diefelben zu rechtfertigen und zu erklären. Die erfte
Reihe ,Religionslehre' (S. 3—48) umfaßt fünf Reden (Der
Glaube an Gott, der Nutzen der Frömmigkeit, das Fortleben
nach dem Tode, die Bibel, das Leben mit Gott),
in denen die wefentlichen Züge der religiöfen Weltan-
fchauung des Verf.'s entworfen find. Ganz konfequent
muß es erfcheinen, daß die drei Reden über Jefus
Chriftus' (S. 51—80) nicht in die ,Religionslehre' aufgenommen
worden find, da für Sch. Chriftus in keiner
Weife als Gegenftand der Religion in Betracht kommen
kann. In einer dritten Abteilung (S. 83—114) kommt
die Sittenlehre, in einer vierten ,Unfere Kirchenpolitik'
(S. 117—192) zur Sprache. Es ift charakteriftifch, daß
die Reden diefer letzten Gruppe (es find deren fieben),
zahlreicher find als die der übrigen.
Die Stellung des nicht nur von der ,orthodoxen und
der fogen. Mittelpartei', fondern auch von den Liberalen
desavouierten Predigers ift hinlänglich bekannt. Diefe
ifolierte Pofition, auf welche er öfters und zwar nicht
ohne Schmerz hinweift (S. 63 b 1291.), ift jedem mit
den Schriften des Verf.'s irgendwie Bekannten vollkommen
erklärlich, ja fie kann ihm felbft im Grunde nicht
befremdlich vorkommen. Ein Theologe, der in der ,Ver-
himmelung Jefu' (S. 68.169) den Krebsfehaden der Kirchenlehre
erblickt und den Ausfpruch tut, Jefus ift uns entbehrlich
' (S. 71) darf fich nicht wundern, daß auch die Liberalen
ihm felbft an der extremften Grenze ihres Gebiets keinen
Platz einzuräumen geneigt find. Mit der ihm eigenen
Offenheit hat er fich fei her hierüber geäußert: ,In den
erften Jahren meiner hiefigen Amtstätigkeit habe ich
euch denfelben Chriftus gezeigt, den ich euch in den