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Ausgabe:

1904 Nr. 3

Spalte:

80-81

Autor/Hrsg.:

Harnck, Adolf

Titel/Untertitel:

Der pseudocyprianische Traktat De singularite clericorum, ein Werk des donatistischen Bischofs Macrobius in Rom 1904

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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Theologifche Literaturzeitung 1904. Nr. 3.

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Bedeutung für die Entwicklung des Beichtinftituts und
der Seelforge überhaupt nur in der Faffung bekannt geworden
ift, die ihr Zöcklers verdienftliche Arbeit gegeben
hat. Wäre Hannay diefer Frage felbftändiger nachgegangen
, hätte er vielleicht auch ein zutreffenderes Urteil
über das Mönchtum überhaupt gewonnen, das jetzt,
— und darin erblicke ich einen weiteren Mangel —
etwas monoton und einfeitig ausfällt. Es ift gewiß richtig,
wenn Hannay auf das individuelle, religiöfe Element der
Bewegung und ihren fittlichen Ernft aufmerkfam macht.
Aber daneben befleht doch die völlige Unficherheit bezüglich
deffen, was fittliche Aufgabe ift, wie es draftifcher
als in den von Caffian mitgeteilten Mönchsgefchichten
nicht feinen Ausdruck finden kann. Wenn ferner Hannay
die Bewegung des 4. Jahrh. mit der ,Askefe' Chrifti
und der apoftolifchen Zeit vergleicht, fo wird man freilich
zugeben, daß im N. T., auch bei Paulus, Elemente
nachweisbar find, die fogar über die efchatologifch
motivierte Weltflucht hinausgehen. Wenn Hannay aber
die Differenz der Askefe diefer und der fpätern Zeit
auf den Unterfchied einer inftinktiven und organifierten
zurückführt, fo verwirrt diefe Unterfcheidung ftatt zu
klären. Denn Hannay unterläßt es nun, die anders gerichtete
, prinzipiell pofitive Grundanfchauung Chrifti und
Pauli aufzudecken. Mit der Gefamthaltung der ,ntl.
Askefe' ift doch die fpätere nicht wefensverwandt, die
teil genommen hat an der unterchriftlichen Entwicklung
des Verdienftbegriffs, und die umgekehrt, wie die ntl.,
ihrer prinzipiellen Haltung nach negativ orientiert ift. Hannay
hat leider das allgemeine religionsgefchichtliche Problem
in der Ausführung felbft nicht zur Geltung kommen
laffen (cf. p. 255), Und wenn er endlich keinen wirklichen
Unterfchied zwifchen orientalifchem und abendländifchem
Mönchtum auffinden kann, fo hat dies feinen Grund
darin, daß er überhaupt auf eine prinzipielle, fyttematifche
Erörterung, refpektive Vergegenwärtigung verzichtet und [
ftatt den Differenzierungen nachzugehen, von beftimmten,
z. T. formalen, immer wiederkehrenden Vorftellungen
fich feinem Urteil die Richtung geben läßt. Was an
Hannays Arbeit originell ift, die Thefe von der wefent-
lichen Identität der Entwicklung, das ift einfeitige und
extreme Durchführung eines Gedankens, dem man nur
unter großem Vorbehalt und umfaffenderer Problem-
ftellung Raum gewähren darf. Ein Hannays Leiftung
wirklich gerecht werdendes Urteil wird man aber wohl
nur vom Standpunkt der gegenwärtigen englifchen
Forfchung aus fällen können. Denn wenn, wie Hannay
im Vorwort mit Recht bemerkt, die englifchen Forfcher
fich überhaupt nur wenig und z. T. ohne die erforderliche
Sachkunde diefem Gegenftand zugewandt haben, fo bedeutet
Hannays Arbeit für die englifche Literatur eine
Bereicherung, für die ihm gewiß feine Landsleute den
Dank nicht fchuldig bleiben werden. Im übrigen glaube
ich, daß es gegenwärtig an der Zeit ift, Einzelmonographien
zu geben.

Eine folche hat Preufchen geliefert. Weingartens 1
bekannte Thefe über den Urfprung des Mönchtums ift
durch Preufchens gründliche Abhandlung jetzt hoffentlich
endgiltig befeitigt. Zuerft als Beilage zu einem ;
Gymnafialprogramm 1899 erfchienen, ift fie jetzt in neuer i
Ausgabe einem größeren Publikum vorgelegt. Die
xcctoxoi find nicht Mönche, ,Büßer', die in .unverbrüchlicher
Klaufur' lebten und als ,Väter und Brüder im geift-
lichen Sinn' galten, nicht reclusi, fondern Inkubanten,
Perfonen, die das Heiligtum des Gottes zum Zweck der
Inkubation befuchen, um ein Orakel zu erlangen oder
Heilung zu finden (50). Die Befeffenheit dauerte, folange
der Befeffene feinen Zweck nicht erreicht hatte. Dann
löfte der Gott felbft das mit der xarox^ bezeichnete
Verhältnis. Daneben gab es folche, die als Orakelfucher
für längere Zeit in dies Verhältnis zur Gottheit fich beißen
und auch für andere die Gottheit befragten.
Sprachlich fteht diefer Erklärung der xaxox^l nichts im

Wege und fachlich dürfte fie das Richtige treffen.
Preufchen meint, feine Abhandlung habe als Programm
nur wenig Beachtung gefunden. Es ift jedoch ihr Ergebnis
bereits in die Literatur übergegangen. Vgl.
Grützmacher, RE:i, Artikel .Mönchtum' und Leipoldt,
Schenute von Atripe TU. NF.X. 1 p. 70 A. 2.

Kiel. Otto Scheel.

Harnack, Adolf, Der pseudocyprianische Traktat De singu-
laritate clericorum, ein Werk des donatistischen Bischofs
Macrobius in Rom. — Die Hypotyposen des Theognost. —
Der gefälschte Brief des Bischofs Theonas an den Oberkammerherrn
Lucian. (Texte und Unterfuchungen zur
Gefchichte der altchriftlichen Literatur. Herausgegeben
von Oscar von Gebhardt und Adolf Harnack. Neue
Folge. Neunter Band, Heft III.) Leipzig 1903,
J. C. Hinrichsfche Buchhandlung. (118S.gr. 8.) M. 3.50

In dem vorliegenden Hefte der Texte und Unterfuchungen
bringt Ad. Harnack drei literarkritifche Unterfuchungen
, in denen er teils eigene, teils anderer Forfcher
Arbeit weiterführt refp. zum Abfchluß bringt.

Die wichtigfte und umfangreichfte Studie (S. 1—72)
ift dem pfeudocyprianifchen Traktat, de singularitate
clericorum gewidmet. ,Der übrig gebliebene fchwarze
Fleck in der Reihe der fich lichtenden pfeudocyprianifchen
Schriften ließ mir keine Ruhe' fagt H. in der Einleitung
und es ift ihm in der Tat gelungen, das Dunkel aufzuhellen,
das noch über diefer Schrift lag. Morin hat die von
Harnack jetzt erwiefene Behauptung, daß der donatiftifche
Bifchof Makrobius, der ca. 363—375 in Rom lebte, der
Verfaffer fei, zuerft aufgeftellt (vgl. Kcv. Benedict T VIII
1891 p. 236 f.), aber ohne Gründe anzugeben. H. Achelis
(virgines stibtutroductae Leipzig 1902 S. 35 ff.) hatte die
Zeit Diokletians oder auch die Mitte des vierten Jahrhunderts
als Möglichkeiten zur Auswahl geftellt, fich aber
gegen die Abfaffung durch Makrobius erklärt.

H. prüft zuerft die handfchriftliche Ueberlieferung,
in der Cod. Paris 13 331 saec. IX allen andern Zeugen
voranfteht. Hier ift die Schrift noch anonym und fteht
unmittelbar vor einem Stück des Gaudentius von Brescia.
Im zwölften Jahrhundert ift fie dann an Stelle der das
gleiche Thema behandelnden Epift. 4 in das corpus der
cyprianifchen Schriften aufgenommen worden. Im folgenden
bietet H. eine Überfetzung der fechs erften und
eine Analyfe der übrigen Kapitel. Die Unterfuchung
fchreitet dann dazu fort, den Charakter des Traktats zu
beftimmen. Es handelt fich um einen Lehrbrief, den ein
Bifchof an den Klerus feiner Diözefe fchreibt, von dem
er fchon längere Zeit getrennt ift und dem er fchon in
einem früheren Schreiben fittliche Lebensregeln gegeben
hatte. Die Mahnung ift gerichtet an folche Kleriker,
die Frauen in ihre Hausgemeinfchaft aufnehmen, nicht
als gelobte Jungfrauen, Bräute Chrifti (fo Achelis),
fondern einfach als Haushälterinnen. Das gerade hat
diefen Traktat fpäter beliebt gemacht, daß er den Schriftbeweis
darbot für die Polemik gegen jedes Wohnen von
Klerikern mit Weibern. Nach einer kurzen Charakteriftik
des ziemlich fchwülftigen Stils unteres Traktats (§ 4)
geht H. zur näheren Beftimmung der Abfaffungszeit über.
Hier fetzt er fich mit Achelis auseinander und man wird
ihm darin beiftimmen inüffen, daß auch die von Achelis
angeführten Momente nicht davon abhalten können, bis
zu der Zeit + 365 herabzugehen. H. felbft macht vor allem
auf die fakrale und klerikale Terminologie aufmerkfam,
die der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts angehöre
(z. B. ius ecclesiasticum c. 36, ccclesiastica tribunalia c. 36,
crimen ecclcsiae c. 34, interdicta diorna c. 29, die Kleriker
als spiritalcs c. 44, sacrati c. 38 u. A.). Dann hebt er als
durchfchlagend die Tatfache hervor, daß der Verfaffer
den 2. Petrusbrief (2, 19 11) als Teil feiner Bibel zitiert,