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Ausgabe:

1904

Spalte:

56-58

Autor/Hrsg.:

Tennant, F. R.

Titel/Untertitel:

The origin and propagation of sin 1904

Rezensent:

Clemen, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 2.

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(Leipzig 1845), weil mit bedauernswerter Leichtfertigkeit j
ausgeführt, das Verftändnis des Buches wenig gefördert, i
vielmehr dazu beigetragen hat, die weniger kundigen j
Lefer irrezuleiten, ift allen Fachgelehrten bekannt und |
auch von mir in meiner Schrift: Die Religionsphilofo-
phie des Saadia (Göttingen 1882) ausgefprochen worden.
Warum der Verfaffer der vorliegenden Schrift dies mit
dem Zufatz konftatiert, ,fogar Guttmann' habe über
die Fürftfche Überfetzung ein folches Urteil abgegeben
(S. 8 Anmerkg. 5), ift mir nicht recht erfindlich gewefen.
Herr Dr. Engelkemper wird doch wohl nicht der Meinung
fein, dal.i man fich bei der Beurteilung wiffenfchaftlicher |
Leiftungen von anderen als rein wiffenfchaftlichen Ge-
fichtspunkten, z. B. etwa von konfeffionellen Rückfichten, j
dürfe leiten laffen. Das ftände einem Judaiften' (S. 3)
ebenfowenig an, wie es bei einem katholifchen Gelehrten
zu billigen wäre. Derartige Wendungen follten als der
Würde einer wiffenfchaftlichen Diskuffion nicht ent-
fprechend vermieden werden. — Eine forgfältige Überfetzung
der Einleitung und des erften Abfchnitts auf
Grund der Tibbonfchen und mit Benutzung der anderen
hebräifchen Überfetzung oder Paraphrafe. über deren
Herkunft noch immer keine Übereinftimmung herrfcht,
hat Ph. Bloch (München 1879) gegeben. In der vorliegenden
Schrift bietet nun der Verfaffer, der bereits
im Jahre 1897 eine Differtation: De Saadiae Gaonis vita,
bibliorum translatione, hermeneutica veröffentlicht hat,
eine auf den arabifchen Grundtext zurückgehende Überfetzung
des dritten Abfchnittes des Amänät, der die Über-
fchrift: ,Über Gebote und Verbote' führt.

Der Verfaffer hat es fich zur Aufgabe gemacht, den
deutfchen Ausdruck möglichft genau dem arabifchen
Wortlaut und Satzbau des Originals anzupaffen (S. 10).
Ob er darin nicht manchmal doch zu weit gegangen ift,
möchte ich ihm für eine etwa beabfichtigte Fortfetzung
der Überfetzungsarbeit zu bedenken geben. Das Streben
nach Genauigkeit in der Wiedergabe des Originals darf
doch die Verftändlichkeit nicht in einer Weife beein- 1
trächtigen, dal.! es, wie es hier mitunter der Fall ift. ohne
Hinzuziehung des arabifchen oder hebräifchen Textes i
nicht möglich ift, den Sinn des Autors zu ergründen.
An einer nicht geringen Anzahl von Stellen hat aber
der Verfaffer felbft den Sinn der Saadianifchen Ausführungen
völlig mißverftanden. So z. B. gleich am
Anfang (S. 13). Es wird dort die Frage aufgeworfen,
ob Gott den Gefchöpfen das höchfte Gut nicht auch
ohne Erteilung von Ge- und Verboten hätte gewähren
können. Es fcheint doch, fo fügt Saadia im Sinne der
diefen Einwand Erhebenden hinzu, daß feine Gnade in
diefer Weife (d. h. ohne Auferlegung von Geboten) für
lie größer gewefen wäre wegen der Bemühungen (welche
die Ausübung der Gebote bereitet), die er von ihnen
ferngehalten hätte. Darauf folgt die Widerlegung diefes
Einwandes. Der Verfaffer läßt dagegen die Widerlegung
fchon mit dem vorangehenden Satze beginnen und überfetzt
folgendermaßen: ,Aber [derVerftand] fieht doch ein,
daß feine Gnade in diefer Hinficht beffer ift für fie, wegen
deffen, was Er an befchwerlichen Dingen von ihnen fernhält
', was trotz der in der Anmerk. I gegebenen Erläuterung
durchaus finnlos ift. Ich greife, um nicht zu weitläufig zu
werden, nur noch ein Beifpiel heraus, das um fo bedauer- j
licher ift, als der Verfaffer an diefer Stelle (S. 15—17)
durch das von ihm begangene Mißverftändnis eine der
wichtigften Partien diefes Abfchnitts in ein falfches Licht j
gerückt hat. Der Verfaffer meint im Gegenfatz zu der
von mir in der erwähnten Schrift gegebenen Darftellung, j
daß an diefer Stelle fpeziell nur von Vernunftgeboten
unter Ausfchluß der fbgenannten üffenbarungsgebote j
(mVlCO TbXTc) die Rede fei, und muß deshalb zu den j
gewaltfamften Interpretationen feine Zuflucht nehmen.
Saadia aber will hier nur den Nachweis führen, daß die
Vernunft einfehe, es müßte gewiffe Gebote geben.
Von den vier Kategorien, die er dann erwähnt, find die j

drei erften Vernunftgebote, die vierte aber umfaßt Offenbarungsgebote
. Er bezeichnet diefe Gebote als folche,
die gegeben find ohne einen erfichtlichen Zweck,aber
fie find trotzdem berechtigt, weil Gott für deren Befolgung
einen Lohn gewähre. Ganz damit übereinftim-
mend charakterifiert er auch weiter ausdrücklich die
Offenbarungsgebote. Nachdem er zuerft von den Vernunftgeboten
gehandelt hat, fährt er fort: die zweite
Klaffe (nämlich die Offenbarungsgebote) find Dinge, über
welche die Vernunft kein Urteil abgibt, daß fie an fich
gut oder verwerflich feien, die aber Gott durch Gebot
oder Verbot hinzugefügt hat, um unferen Lohn und
unfere Glückfeligkeit um ihretwillen zu mehren.

Der Verfaffer begleitet die Überfetzung mit Anmerkungen
, in denen er zur Beleuchtung der Saadianifchen
Ausführungen vielfach Parallelftellen aus den
Werken der fpäteren jüdifchen Religionsphilofophen
herbeibringt, die allerdings mitunter in nur lofem Zu-
fammenhange mit dem Texte flehen, aber immerhin
von einer gewiffen Vertrautheit mit diefer Literatur
Zeugnis ablegen.

Am Schluffe feien noch einige Berichtigungen zu
der der Überfetzung vorangehenden Einleitung hinzugefügt
. Die Sammlung der Schriften des Ifaac Israeli
unter dem Titel: Isaaci Opera (S. 2) ift nicht in Leiden
(Lugdunum Batavorum), fondern in Lyon (Lugdunum) er-
fchienen. Daß Ifaak's Schrift: Über die Definitionen älter
fei als Saadias Amänät (S. 2), dafür gibt es meines Wiffens
kein Zeugnis. Ein Druckfehler ift es wohl nur, wenn (S. 6
Anmerk. 3) für das nn&rtt (nicht D^fflnfi) n^nnri "ISO
| (Mantua) 1856 anftatt 1556 als Druckjahr angegeben wird.
Im Übrigen erkennen wir gern den hingebenden Fleiß an,
den der Verfaffer feiner Aufgabe zugewendet hat.

Breslau. J. Guttmann.

Tennant, F. R., M. A. (Camb.), B. Sc. (Lond.), The origin
and propagation of sin. Being the Hulsean Lectures
delivered beforethe univerfity of Cambridge in 1901—2.
Cambridge 1902, The Univerfity Press. (XV, 231 p.
gr. 8.) 3 s. 6 p.

,J attempt to supply a criticism of thc implications of
a traditional doctrine, and a restatement of so much of
its essential meaning as can bc retained. . . and, in doing
so, to öfter a small contribution to lnductive aud Critical
Theology! So hat der Verf. felbft den Zweck feiner Vor-
lefungen bezeichnet und danach geftaltet fich fein Gedankengang
.

Er weift alfo in der erften zunächft darauf hin, daß
die Zuftimmung, die die Lehre von der Erbfünde auch
bei Pfychologen wie Pascal, Herder, Browning (aber nicht
Shakefpeare) gefunden, weniger ihrer befonderen Form,
als ihrem allgemeinen Inhalt gegolten habe und daß jene
vielmehr von jeher in der chriftlichen Kirche und befonders
feit der Reformation bekämpft, ja neuerdings, was den
eigentlichen Sinn des Ausdrucks angeht, aufgegeben worden
fei. Wir können eben einen angebornen Zuftand
nicht als Sünde bezeichnen und auch abgefehen davon
bietet die Lehre mancherlei Schwierigkeiten. Eine iustitia
originalis ift unhaltbar; wäre es aber auch anders, fo bliebt
doch der Übergang zur Sünde unerklärlich; ebenfo die
davon abgeleitete Ümgeftaltung der menfchlichen Natur
und endlich ihre Vererbung auf die Nachkommen. Die
traduzianifche Theorie ift nämlich aufzugeben; eine Vererbung
aber findet nur bei phyfiologifchen Eigentümlichkeiten
ftatt und ift auch hier, fofern es fich um erworbene
handelt, noch immer zweifelhaft.

In der zweiten Vorlefung werden die philofophifchen
Erklärungen des Urfprungs und der Verbreitung der Sünde
vorgeführt, von denen aber die von Descartes, Malebranche,
Spinoza und Leibniz keinen großen Einfluß auf die Theologie
ausgeübt haben. Dagegen hat Kants Theorie von