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Ausgabe:

1904 Nr. 26

Spalte:

718-719

Autor/Hrsg.:

Sägmüller, J. B.

Titel/Untertitel:

Lehrbuch des Katholischen Kirchenrechts 1904

Rezensent:

Frantz, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 26.

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ebenbürtig ift. In dem vorliegenden Werk wird uns von i
der kundigen Hand des Herausgebers der erfte Abdruck
eines Rituale aus dem 12. Jahrh. zugänglich gemacht.
Aus den römifchen Ordines, aus Alkuin's Zufätzen zum
Sacramentarium Gregorianum und aus lokalen Obfervan-
zen gingen erft im 12. Jahrh. vollftändige und abge-
fchloffene Ritualien für den praktifchen Gebrauch der
Priefter in den Klöftern hervor, denen erft im 14. Jahrh.
folche für den Weltklerus, zunächft fehr mannigfaltigen
Inhalts, geordnet durch die Bifchöfe im 15. und 16. Jahrh.,
folgten. Charakteriftifch für unfer Rituale find die ausführlichen
Benediktionen bei Vollziehung der Ordalien
durch glühendes Eifen, heißes und kaltes Waffer, Brot
und Käfe. Diefe Benediktionen fowie die Skrutinienord-
nung vor der Taufe find in dem zum Vergleich herbeigezogenen
Rituale von St. Florian aus dem 14. Jahrh.
weggefallen; jene waren durch das 4. Laterankonzil von
1215 unterfagt, diefe war nicht mehr üblich; bereichert
jedoch ift dies fpätere Rituale durch die an den Sterbenden
vorgenommenen Interrogationes S. Anselmi in
lateinifcher und deutfcher Sprache aus dem 14. Jahrh.
und durch ein dramatifches Ofterfpiel. Nicht weit entfernt
vom Stifte St. Florian liegt das Benediktinerftift
Lambach, das die Handfchrift eines Rituale ebenfalls
aus dem 12. Jahrh. mit reichem Bilderfchmuck birgt, Schrift
und Bild von einem Priefter Haymo gefertigt. In chromo-
lithographifcher Ausführungwerden uns außer einer Schrifttafel
mit Neumen aus unferem Rituale fieben Bilder des
Lambacher Rituale auf vier Tafeln mitgeteilt: die Benediktion
eines Pilgers, die Abrenuntiation zweier Taufkinder,
die Taufe zweier Kinder, die Contprobatio durch kaltes
Waffer und glühendes Eifen, den Kirchgang einer vornehmen
Wöchnerin und die Einfegnung einer Wöchnerin
darfteilend.

Die Einleitung (S. 3—24) gibt uns eingehende ,
Kunde von den mittelalterlichen handfchriftlichen Ritualien
, die Befchreibung des St. Florianer Rituale aus dem
12. Jahrh., des St. Florianer Rituale aus dem 14. Jahrh.
und der rituellen Bilder des Lambacher Rituale aus dem
12. jahrh. Es folgt S. 31 —144 der Abdruck der Rituale Sancti
Floriani, deffen Inhalt bereits S. 19 und 20 verzeichnet
war. Für den evangelifchen Theologen ift es von großem !
Intereffe, in den Abfchnitten Ordo catecumenorum und
Ordo baptismi genau diefelben Formeln der Abrenuntiatio
und des Credo, diefelben Gebete und Befchwörungen zu
entdecken, die uns aus Luther's Schrift: ,Das Taufbüchlein
verdeutfcht' vom Jahre 1523 bekannt find. Nur das ]
fogen. Sündflutgebet Luther's habe ich vergeblich ge-
fucht. Neben der Erwähnung zahlreicher anderer Typen
ift freilich auch die Sintflut erwähnt; in dem Ordo baptismi
p. 68 im. heißt es: deus, qui nocentis mundi crimina
per aquas abluens regenerationis speciem in ipsa diluvii
effusionc signasti, in der Bcncdictio sepulcri p. 94 u:
deus . . . qui captum laqueo mortis liominem alluvione
reparasti; die ,Erläuterungen' erklären p. 172: ,Der Sinn
ift: Gott hat den von den Banden des Todes infolge der
Erbfünde umfangenen Menfchen durch die Sintflut errettet
. Die Sintflut ift ein Typus der Taufe'. Allein
damit ift das Vorkommen des ,Sündflutgebetes' in der
vorreformatorifchen Kirche noch nicht nachgewiefen
(vgl. Ii Pt 3snf.). Bemerkenswert ift auch, daß der Aaro-
nitifche Segen Num. 622)-., der vor der Reformation, abge-
fehen von Const. Ap. 257, meines Wiffens nur in der Missa
paschalis VI Feria des Missale Gallicamim vetus aus der
Mitte des 7. Jahrhunderts (Muratori 2751) nachgewiefen
wurde, auch in unferem Rituale (p. 115 3or.) in dem Ab-
fchnitt Ad benedicendum sanum fich findet.

Zu lebhaftem Danke erweckt der Abfchnitt Textkritik
und Erläuterungen' S. 147—190, die ein reiches
Material zur Gefchichte der Liturgie vor uns ausbreiten.
Als befonders wertvoll hebe ich die gefchichtliche Darlegung
der Skrutinienordnung S. 152 f. fowie die litera-
rifchen Nachweife über den Betrieb der Seelforge in der

mittelalterlichen Kirche S. i66f. hervor. In den .Anlagen
zu den Erläuterungen' (S. 193—200) werden die kanoni-
ftifchen Stücke am Schluß unferes Rituale, die Aufer-
ftehungsfeier im Rituale des 14. Jahrhunderts und die
fogen. Anfelmfchen Interrogationes ad moricnteni mitgeteilt
. Ich bedaure, daß der Herausgeber den gereizten
konfeffionellen Ausfall gegen ,die Kirche der Reformation
' (S. 200), veranlaßt durch die harmlofe-Bernerkung
von A. Hardeland (Gefchichte der Seelforge S. 200):
in jenen Interrogationen finde fich ,der Geift der Reformation
', nicht unterdrückt hat.

Ein Perfonen- und Sachregifter und ein Verzeichnis
der Orationen-Initien befchließt das höchft wertvolle Buch,
das auch in feiner vornehmen Ausftattung fich vorteilhaft
empfiehlt. Dem in Ausficht geftellten Werke des
verdienftvollen Herausgebers über die kirchlichen Benediktionen
im deutfchen Mittelalter fehen wir mit Freude
entgegen.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Sägmüller, Prof. Dr. J. B., Lehrbuch des katholischen

Kirchenrechts. Dritter (Schluß )Teil. Die Verwaltung

der Kirche. Freiburg i. B. 1904, Herder. (VI u.

S. 401—834.) M. 6.—

Mit dem vorliegenden dritten Teil, der fich mit der
Verwaltung befchäftigt und an Ausdehnung den Gefamt-
umfang der bisher erfchienenen Teile überfteigt, ift das
Werk zum Abfchluß gelangt. Freilich ift der für die
Vollendung des Ganzen in Ausficht geftellte Zeitraum
von etwas über zwei Jahren erheblich überfchritten, und
ich muß die Bedenken, die ich gelegentlich der Be-
fprechung des erften Teiles gegen das lieferungsweife
Erfcheinen eines derartigen Werkes äußerte, in vollem
Umfang aufrecht erhalten. Es wird Sache einer gewiß
nicht ausbleibenden neuen Auflage fein, die hieraus fich
ergebenden Unzuträglichkeiten zu befeitigen. Im übrigen
treffen die Vorzüge, die hinfichtlich der früheren Lieferungen
hervorzuheben waren, auch bei diefem Schlußteile
zu. Auch diefer ift äußerft forgfältig und in durchaus
wiffenfchaftlicher Weife gearbeitet und nimmt fowohl auf
die gefchichtliche Entwicklung, als auch auf die Literatur
fehr eingehend Rückficht. Auch hier wird der ftreng
katholifche Standpunkt in im ganzen durchaus maßvoller
Weife zur Geltung gebracht. Das gilt insbefondere auch
von der Stellung dem Staate gegenüber, dem übrigens
fo gut wie keine Rechte über die von der Kirche bean-
fpruchten Gebiete zugeftanden werden. So z. B. wird
S. 468 ff. ein ausfchließliches kirchliches Eherecht behauptet
, S. 763 werden alle Rechte des Staates dem
Kirchenvermögen gegenüber beftritten, S. 413 wird von
einem Sicheindrängen des modernen Staates in die Volks-
fchule gefprochen u. a. m.

Obfchon Verf. zugibt (Teil 1, S. 24f.), daß die
Kirchengewalt ,ftrenggenommen' nur in potestas ordinis
und potestas jurisdictionis zerfällt, fo hat er doch feiner
Darfteilung der Verwaltung ,in Hinblick auf die Materie
und im Intereffe der Überficht' die Trichotomie zu Grunde
I gelegt und behandelt demgemäß in drei Abfchnitten die
Verwaltung der postestas magisterii (Lehre), ordinis (Sa-
kramente und Kultus) und jurisdictionis (Auf ficht, Gerichtsbarkeit
, Orden und Kirchenvermögen). Gelegentlich der
Behandlung der Sakramente wird eine ziemlich eingehende
Darftellung des kirchlichen Eherechts gegeben
[S. 458—593] und nur mehr anhangsweife werden auch
die Grundfatze des B. G. B. kurz erörtert. Seinem Standpunkte
entfprechend verwirft Verf. die obligatorifche Zivil-
[ ehe als die Gewiffensfreiheit verletzend vollftändig [S.474ff.].

Sie ift ihm im Geltungsbereich des tridentinifchen Rechts'
I ein iündhaftes Verhältnis. Doch gefleht er wenigftens
I den Geiftlichen nicht das Recht zu, fie als Konkubinat
zu bezeichnen. Wenn S. 601 gefagt ift, § 1588 B. G. B.